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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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noch durch vielfältigen Verkehr gestört wurde, dreimal die Woche schrieb; er
enthalt, was man in jener Zeit begreiflich finden wird, Spuren unerträg¬
licher Sentimentalität): aber die Hauptsache, und das macht die "Briefe
eines jungen Gelehrten" so interessant, ist der heftige Drang, sich über jeden
Fortschritt seines Wissens mitzutheilen und den Freund zur Ausdauer auf dem
Pfad des Ruhms anzustacheln. Es ist nicht blos der leidenschaftliche Drang
des Ruhms, der ihn beseelt, er will sich wirtlich durch Tugend seiner grie¬
chischen und römischen Muster, die ähnliche Freundschaftsverhältnisse cul-
tivirt, würdig machen, und bei dein rührenden Ernst, mit dein er seine Bil¬
dung betreibt, nimmt man gern einige Deklamationen und Reminiscenzen mit
in den Kauf.

". Septembr. bis 15. Nov. 1773"*) besuchte er Bonstetten auf seinem
Landgut Valeires, wo er einige glückliche Wochen verlebte; von dort gingen
sie gemeinschaftlich nach Neufchatell, Genf u. a. O. -- Erst damals begann
M. ernsthaft Französisch zu lernen. Bonstetten, der von da aus Italien be¬
suchte, bemühte sich, zu Bern oder Genf einen. Platz für ihn zu finden, wo
er sich im Umgang mit der großen Welt und frei von Amtsgeschäften, die
ihm selten angenehm waren, zu seinem Beruf besser ausbilden könne. Es
fand sich bald eine Hauslehrerstelle bei dem Generalprocurator Tronchin zu
Genf. Die geringe Gelegenheit, die er in Schaffhausen hatte, sich Erfah¬
rungen vom Geschäftsgang der höhern Politik zu sammeln, mancherlei klein¬
liche Neckereien, die Furcht, ein geistliches Amt annehmen zu müssen, das
ihm die Fortsetzung seiner Lieblingsstudien fast ganz unmöglich machen würde,
endlich Bonstettens Vorstellungen machten ihm eine Entfernung von Schaff-
Hausen für mehre Jahre erwünscht. "Du weißt, schreibt er an Füßli
". Dec. 1773, ob ich die Wissenschaften meine Hauptpassion sein lasse. Der
gute Ton aber und eine Menge Details, deren Abgang man leichter fühlt
als ersetzt; viele Weltkenntnisse -- du weißt so gut als ich, was alles sich
nicht in der Studirstube lernen läßt -- die alle mangeln mir. Ich bin also
entschlossen, nach dem Beispiel der großen Weisen aller Zeiten, und nachdem
Beispiel meines Lieblingsautors Montesquieu, ehe ich für die Menschen
schreibe, sie zu sehen." Am 14. Jan. 1774 legte er seine Professur nieder;
die Regierung, zum Beweis ihres Wohlwollens, behielt ihm die Stelle auf
unbestimmte Zeit vor. Am 12. Febr. reiste er von Schaffhausen ab, besuchte
Füßli in Zürich, Haller in Bern, "den gelehrtesten unter den Europäern", und




') Z, B, 2 Nov. 1774: "Ich will nichts werden in gleichem Augenblick wie Sie, wenn
der Hauch der Gottheit verfleugt: ich will das Universum unter tausend Metamorphosen an
Ihrer Seite durchwandeln, wenn sich diese unsere Seelen gleich Schmetterlingen entwickeln ze."
1 Febr. 177": "Adieu, du kleiner Herzcnsteufel: mein Tyrann und Räuber meiner Stunden
und meines Herzens."
") Ueber die Chronologie die genaueste" Bestimmungen im Brief an Bonstetten, Il^Nov. 1800.
Grenzboten II. 1858. 8

noch durch vielfältigen Verkehr gestört wurde, dreimal die Woche schrieb; er
enthalt, was man in jener Zeit begreiflich finden wird, Spuren unerträg¬
licher Sentimentalität): aber die Hauptsache, und das macht die „Briefe
eines jungen Gelehrten" so interessant, ist der heftige Drang, sich über jeden
Fortschritt seines Wissens mitzutheilen und den Freund zur Ausdauer auf dem
Pfad des Ruhms anzustacheln. Es ist nicht blos der leidenschaftliche Drang
des Ruhms, der ihn beseelt, er will sich wirtlich durch Tugend seiner grie¬
chischen und römischen Muster, die ähnliche Freundschaftsverhältnisse cul-
tivirt, würdig machen, und bei dein rührenden Ernst, mit dein er seine Bil¬
dung betreibt, nimmt man gern einige Deklamationen und Reminiscenzen mit
in den Kauf.

». Septembr. bis 15. Nov. 1773"*) besuchte er Bonstetten auf seinem
Landgut Valeires, wo er einige glückliche Wochen verlebte; von dort gingen
sie gemeinschaftlich nach Neufchatell, Genf u. a. O. — Erst damals begann
M. ernsthaft Französisch zu lernen. Bonstetten, der von da aus Italien be¬
suchte, bemühte sich, zu Bern oder Genf einen. Platz für ihn zu finden, wo
er sich im Umgang mit der großen Welt und frei von Amtsgeschäften, die
ihm selten angenehm waren, zu seinem Beruf besser ausbilden könne. Es
fand sich bald eine Hauslehrerstelle bei dem Generalprocurator Tronchin zu
Genf. Die geringe Gelegenheit, die er in Schaffhausen hatte, sich Erfah¬
rungen vom Geschäftsgang der höhern Politik zu sammeln, mancherlei klein¬
liche Neckereien, die Furcht, ein geistliches Amt annehmen zu müssen, das
ihm die Fortsetzung seiner Lieblingsstudien fast ganz unmöglich machen würde,
endlich Bonstettens Vorstellungen machten ihm eine Entfernung von Schaff-
Hausen für mehre Jahre erwünscht. „Du weißt, schreibt er an Füßli
». Dec. 1773, ob ich die Wissenschaften meine Hauptpassion sein lasse. Der
gute Ton aber und eine Menge Details, deren Abgang man leichter fühlt
als ersetzt; viele Weltkenntnisse — du weißt so gut als ich, was alles sich
nicht in der Studirstube lernen läßt — die alle mangeln mir. Ich bin also
entschlossen, nach dem Beispiel der großen Weisen aller Zeiten, und nachdem
Beispiel meines Lieblingsautors Montesquieu, ehe ich für die Menschen
schreibe, sie zu sehen." Am 14. Jan. 1774 legte er seine Professur nieder;
die Regierung, zum Beweis ihres Wohlwollens, behielt ihm die Stelle auf
unbestimmte Zeit vor. Am 12. Febr. reiste er von Schaffhausen ab, besuchte
Füßli in Zürich, Haller in Bern, „den gelehrtesten unter den Europäern", und




') Z, B, 2 Nov. 1774: „Ich will nichts werden in gleichem Augenblick wie Sie, wenn
der Hauch der Gottheit verfleugt: ich will das Universum unter tausend Metamorphosen an
Ihrer Seite durchwandeln, wenn sich diese unsere Seelen gleich Schmetterlingen entwickeln ze."
1 Febr. 177»: „Adieu, du kleiner Herzcnsteufel: mein Tyrann und Räuber meiner Stunden
und meines Herzens."
") Ueber die Chronologie die genaueste» Bestimmungen im Brief an Bonstetten, Il^Nov. 1800.
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[0065] noch durch vielfältigen Verkehr gestört wurde, dreimal die Woche schrieb; er enthalt, was man in jener Zeit begreiflich finden wird, Spuren unerträg¬ licher Sentimentalität): aber die Hauptsache, und das macht die „Briefe eines jungen Gelehrten" so interessant, ist der heftige Drang, sich über jeden Fortschritt seines Wissens mitzutheilen und den Freund zur Ausdauer auf dem Pfad des Ruhms anzustacheln. Es ist nicht blos der leidenschaftliche Drang des Ruhms, der ihn beseelt, er will sich wirtlich durch Tugend seiner grie¬ chischen und römischen Muster, die ähnliche Freundschaftsverhältnisse cul- tivirt, würdig machen, und bei dein rührenden Ernst, mit dein er seine Bil¬ dung betreibt, nimmt man gern einige Deklamationen und Reminiscenzen mit in den Kauf. ». Septembr. bis 15. Nov. 1773"*) besuchte er Bonstetten auf seinem Landgut Valeires, wo er einige glückliche Wochen verlebte; von dort gingen sie gemeinschaftlich nach Neufchatell, Genf u. a. O. — Erst damals begann M. ernsthaft Französisch zu lernen. Bonstetten, der von da aus Italien be¬ suchte, bemühte sich, zu Bern oder Genf einen. Platz für ihn zu finden, wo er sich im Umgang mit der großen Welt und frei von Amtsgeschäften, die ihm selten angenehm waren, zu seinem Beruf besser ausbilden könne. Es fand sich bald eine Hauslehrerstelle bei dem Generalprocurator Tronchin zu Genf. Die geringe Gelegenheit, die er in Schaffhausen hatte, sich Erfah¬ rungen vom Geschäftsgang der höhern Politik zu sammeln, mancherlei klein¬ liche Neckereien, die Furcht, ein geistliches Amt annehmen zu müssen, das ihm die Fortsetzung seiner Lieblingsstudien fast ganz unmöglich machen würde, endlich Bonstettens Vorstellungen machten ihm eine Entfernung von Schaff- Hausen für mehre Jahre erwünscht. „Du weißt, schreibt er an Füßli ». Dec. 1773, ob ich die Wissenschaften meine Hauptpassion sein lasse. Der gute Ton aber und eine Menge Details, deren Abgang man leichter fühlt als ersetzt; viele Weltkenntnisse — du weißt so gut als ich, was alles sich nicht in der Studirstube lernen läßt — die alle mangeln mir. Ich bin also entschlossen, nach dem Beispiel der großen Weisen aller Zeiten, und nachdem Beispiel meines Lieblingsautors Montesquieu, ehe ich für die Menschen schreibe, sie zu sehen." Am 14. Jan. 1774 legte er seine Professur nieder; die Regierung, zum Beweis ihres Wohlwollens, behielt ihm die Stelle auf unbestimmte Zeit vor. Am 12. Febr. reiste er von Schaffhausen ab, besuchte Füßli in Zürich, Haller in Bern, „den gelehrtesten unter den Europäern", und ') Z, B, 2 Nov. 1774: „Ich will nichts werden in gleichem Augenblick wie Sie, wenn der Hauch der Gottheit verfleugt: ich will das Universum unter tausend Metamorphosen an Ihrer Seite durchwandeln, wenn sich diese unsere Seelen gleich Schmetterlingen entwickeln ze." 1 Febr. 177»: „Adieu, du kleiner Herzcnsteufel: mein Tyrann und Räuber meiner Stunden und meines Herzens." ") Ueber die Chronologie die genaueste» Bestimmungen im Brief an Bonstetten, Il^Nov. 1800. Grenzboten II. 1858. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/65>, abgerufen am 21.12.2024.