Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.die Spannung und Gereiztheit, welche von jeher zwischen Weißen und Far¬ Wie gehässig die Negierung dem gebildeten Theile der Gesellschaft gesinnt Dazu kamen noch andere dem Gemeinwohl gefährliche Congrcßbeschlüsse. Man rechne dazu die kleineren, aber ost tiefer empörenden Bexationeu die Spannung und Gereiztheit, welche von jeher zwischen Weißen und Far¬ Wie gehässig die Negierung dem gebildeten Theile der Gesellschaft gesinnt Dazu kamen noch andere dem Gemeinwohl gefährliche Congrcßbeschlüsse. Man rechne dazu die kleineren, aber ost tiefer empörenden Bexationeu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186931"/> <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> die Spannung und Gereiztheit, welche von jeher zwischen Weißen und Far¬<lb/> bigen geherrscht hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1171"> Wie gehässig die Negierung dem gebildeten Theile der Gesellschaft gesinnt<lb/> war, zeigt ein anderes durch den Kongreß sauctionirtcs Gesetz-, das über die<lb/> Militürpslichtigkeit. Bisher war die weiße Classe mehr oder weniger frei vom<lb/> Militärdienste gewesen. Farbige zumeist setzten das stehende Heer zusammen,<lb/> es gab auch schwarze Generäle. Nach dem neuen Gesetz sollte jeder Vene¬<lb/> zolaner zwischen 18 und 45 Jahren Soldat sein, und der Sohn guter Fa¬<lb/> milie unter dem Befehle roher Farbigen dienen, an der Seite von Leuten,<lb/> die kurz vorher seine Sklaven gewesen waren. Das griff ins Herz und Leben<lb/> der Familie ein. Die Bäter verheimlichten den Aufenthaltsort ihrer Sohne,<lb/> andre gingen auf Reisen, aber es geschah auch in den Tagen der Aufregung,<lb/> daß gebildete junge Leute auf der Straße gegriffen, fortgeschleppt und zum<lb/> Dienst gezwungen wurden, Man denke sich die Zerrüttung in den Familien.<lb/> Die Dienstboten, welche Sklaven gewesen, liefen meist fort, theils freiwillig,<lb/> theils verführt durch Versprechungen höheren Lohnes; die Söhne verfolgt oder<lb/> nur durch bedeutende Geldopfer vor Aushebung sicher, und dazu die Subsi-<lb/> stenzmittcl täglich mehr in Frage gestellt- der Terrorismus konnte nicht är¬<lb/> ger sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1172"> Dazu kamen noch andere dem Gemeinwohl gefährliche Congrcßbeschlüsse.<lb/> vor allem die außerordentliche Vollmacht, mit welcher der Präsident auf un¬<lb/> bestimmte Zeit ausgerüstet wurde. Zugleich ließ sich dieser ermächtigen, 7<lb/> neue Divisions-, 9 neue Brigadegenerale und 29 Obersten zu creiren — ganz<lb/> im Mißverhältnisse zum Bestand des Heeres, und unter diesen Offizieren zählte<lb/> man allein 5 oder 6 Mvnagas. Obendrein ließ Gregorio sich und seinen<lb/> Bruder Tadeo zu Obergeneralen auf Lebenszeit ernennen, womit sich entsprc<lb/> chender Gehalt verband. Es war nichts als die abgefeimteste Blutsaugerei,<lb/> gehässigste Verfolgung und gewaltsamste Brandschatzung der Gesellschaft, und<lb/> der Congreß das gehorsame Organ.</p><lb/> <p xml:id="ID_1173"> Man rechne dazu die kleineren, aber ost tiefer empörenden Bexationeu<lb/> im täglichen Leben von Seiten theils der Regierung, theils der übermüthigen,<lb/> höhnischen Zambos und Neger, und man wird sagen : dieser Zustand war<lb/> zum Verzweifeln. Aber der Venezolaner verzweifelt nicht so leicht. Nicht etwa<lb/> aus sittlicher Kraft: wol aber aus Apathie, aus schlaffer, thatenloser Hingabe<lb/> an die Gewalt, ans sanguinischer Hoffnung einer plötzlichen Hilfe von irgend<lb/> woher, wo nur seine stetige, ausdauernde, straffe Mitthätigkctt nicht in An¬<lb/> spruch genommen wird. Indeß fanden sich noch mehre knmpfcslustige Jüng¬<lb/> linge, deren Patriotismus über die Phrase hinausging. Entschlossen, unter<lb/> der Fahne der Freiheit zu dienen und sonder Bedenken ihr Leben einzusetzen,<lb/> reisten sie heimlich nach den Westprovinzen ab. —</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0518]
die Spannung und Gereiztheit, welche von jeher zwischen Weißen und Far¬
bigen geherrscht hatte.
Wie gehässig die Negierung dem gebildeten Theile der Gesellschaft gesinnt
war, zeigt ein anderes durch den Kongreß sauctionirtcs Gesetz-, das über die
Militürpslichtigkeit. Bisher war die weiße Classe mehr oder weniger frei vom
Militärdienste gewesen. Farbige zumeist setzten das stehende Heer zusammen,
es gab auch schwarze Generäle. Nach dem neuen Gesetz sollte jeder Vene¬
zolaner zwischen 18 und 45 Jahren Soldat sein, und der Sohn guter Fa¬
milie unter dem Befehle roher Farbigen dienen, an der Seite von Leuten,
die kurz vorher seine Sklaven gewesen waren. Das griff ins Herz und Leben
der Familie ein. Die Bäter verheimlichten den Aufenthaltsort ihrer Sohne,
andre gingen auf Reisen, aber es geschah auch in den Tagen der Aufregung,
daß gebildete junge Leute auf der Straße gegriffen, fortgeschleppt und zum
Dienst gezwungen wurden, Man denke sich die Zerrüttung in den Familien.
Die Dienstboten, welche Sklaven gewesen, liefen meist fort, theils freiwillig,
theils verführt durch Versprechungen höheren Lohnes; die Söhne verfolgt oder
nur durch bedeutende Geldopfer vor Aushebung sicher, und dazu die Subsi-
stenzmittcl täglich mehr in Frage gestellt- der Terrorismus konnte nicht är¬
ger sein.
Dazu kamen noch andere dem Gemeinwohl gefährliche Congrcßbeschlüsse.
vor allem die außerordentliche Vollmacht, mit welcher der Präsident auf un¬
bestimmte Zeit ausgerüstet wurde. Zugleich ließ sich dieser ermächtigen, 7
neue Divisions-, 9 neue Brigadegenerale und 29 Obersten zu creiren — ganz
im Mißverhältnisse zum Bestand des Heeres, und unter diesen Offizieren zählte
man allein 5 oder 6 Mvnagas. Obendrein ließ Gregorio sich und seinen
Bruder Tadeo zu Obergeneralen auf Lebenszeit ernennen, womit sich entsprc
chender Gehalt verband. Es war nichts als die abgefeimteste Blutsaugerei,
gehässigste Verfolgung und gewaltsamste Brandschatzung der Gesellschaft, und
der Congreß das gehorsame Organ.
Man rechne dazu die kleineren, aber ost tiefer empörenden Bexationeu
im täglichen Leben von Seiten theils der Regierung, theils der übermüthigen,
höhnischen Zambos und Neger, und man wird sagen : dieser Zustand war
zum Verzweifeln. Aber der Venezolaner verzweifelt nicht so leicht. Nicht etwa
aus sittlicher Kraft: wol aber aus Apathie, aus schlaffer, thatenloser Hingabe
an die Gewalt, ans sanguinischer Hoffnung einer plötzlichen Hilfe von irgend
woher, wo nur seine stetige, ausdauernde, straffe Mitthätigkctt nicht in An¬
spruch genommen wird. Indeß fanden sich noch mehre knmpfcslustige Jüng¬
linge, deren Patriotismus über die Phrase hinausging. Entschlossen, unter
der Fahne der Freiheit zu dienen und sonder Bedenken ihr Leben einzusetzen,
reisten sie heimlich nach den Westprovinzen ab. —
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