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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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da.ß in kurzen Perioden immer neue Parteistellungen auftauchen. Indessen sind
es-doch nur die Personen, die Stichwörter der Parteien, welche wechseln, welche
so mannigfaltig sind. Im Grunde geht ein rother Faden durch alles hin¬
durch. Schon der Schauplatz, der Boden, das Klima ist verwandt-, nächst
ihnen die Menschen mit ihren Traditionen, ihren Sitten, und die Racen in
ihren Unterschieden wie Mischungen. Und auf Grund aller dieser Factoren
sind es endlich die Interessen, welche von Mexico bis Chile, vom atlantischen
bis zum stillen Ocean überall dieselben, das weite Festland des spanischen
Amerika unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt stellen. Daher gruppiren sich
auch, obwol mit verschiednen Namen, die Parteien wesentlich auf gleiche
Weise : einer conservativen Partei, die in den bestehenden Institutionen ihren
eigenen Bestand sieht, arbeitet eine Umsturzpartei entgegen, welche hierbei
nicht ihre Rechnung findet. Freilich nüancirt sich zumal die letztere hie und
da verschieden: Gemäßigte und Ultras befehden sich wieder untereinander.
Aber jene zwei Principien begegnen sich überall.

In Venezuela stellen sie sich mehr denn anderswo klar und nackt gegen¬
über: Oligarchen hatte man die conservative Partei benannt, die andern
usurpirter den Titel der Liberalen. Jos6 Tadeo Monagas bewies mit seinem
blutigen Attentat auf die Volksvertretung am 24. Jan. 1848, was dieser
Liberalismus wirklich zu bedeuten habe. Es war eine Mischung von mili¬
tärischer Autokratie und Herrschaft der Massen; es war schließlich das Re¬
giment der Sonderinteressen einer nichtswürdigen Familie, verbrämt mit dem
Mantel der Konstitution. --

So geben denn die' letzten zehn Jahre ein so trostloses Bild der Republik,
daß es sich fast der Schilderung entzieht. Mit der Verbannung von Paez
waren zunächst die Oligarchen völlig gesprengt. Mehre von ihnen traf ein
gleiches Schicksal und verwaist blieben in Trauer die Familien zurück, theil¬
weise der Unterstützung mitleidiger Verwandten Preis gegeben. Kleinmuth
und Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der wenigen Patrioten, die ihrer
Bildung und ihren Grundsätzen treu von vornherein, selbst um den Preis
ihres Amtes. Front machten gegen die mit Gewalt einreißende Korruption
und ihre Hände von jeder Berührung mit dem Schmuze und der Unsauber-
keit, welche von oben herab die ganze Gesellschaft zu überziehen begann,
rein erhielten. Nur in den Köpfen einiger heißblütiger Jünglinge wälzte
sich das unsinnige Project einer Verschwörung gegen das Leben des Präsi¬
denten, die bei Zeiten vereitelt wurde. Hatte es von jeher an rechtem
Gemeinsinn, der sich über die bloße Phrase erhob, gefehlt: jetzt gab es
gar kein öffentliches Interesse mehr. Theilnahmlos an der Gegenwart,
ohne Glauben an die Zukunft lebten auch die Besseren des Volks dahin,
vom Forum wendete sich der Blick auf den engen kümmerlichen Kreis des


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da.ß in kurzen Perioden immer neue Parteistellungen auftauchen. Indessen sind
es-doch nur die Personen, die Stichwörter der Parteien, welche wechseln, welche
so mannigfaltig sind. Im Grunde geht ein rother Faden durch alles hin¬
durch. Schon der Schauplatz, der Boden, das Klima ist verwandt-, nächst
ihnen die Menschen mit ihren Traditionen, ihren Sitten, und die Racen in
ihren Unterschieden wie Mischungen. Und auf Grund aller dieser Factoren
sind es endlich die Interessen, welche von Mexico bis Chile, vom atlantischen
bis zum stillen Ocean überall dieselben, das weite Festland des spanischen
Amerika unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt stellen. Daher gruppiren sich
auch, obwol mit verschiednen Namen, die Parteien wesentlich auf gleiche
Weise : einer conservativen Partei, die in den bestehenden Institutionen ihren
eigenen Bestand sieht, arbeitet eine Umsturzpartei entgegen, welche hierbei
nicht ihre Rechnung findet. Freilich nüancirt sich zumal die letztere hie und
da verschieden: Gemäßigte und Ultras befehden sich wieder untereinander.
Aber jene zwei Principien begegnen sich überall.

In Venezuela stellen sie sich mehr denn anderswo klar und nackt gegen¬
über: Oligarchen hatte man die conservative Partei benannt, die andern
usurpirter den Titel der Liberalen. Jos6 Tadeo Monagas bewies mit seinem
blutigen Attentat auf die Volksvertretung am 24. Jan. 1848, was dieser
Liberalismus wirklich zu bedeuten habe. Es war eine Mischung von mili¬
tärischer Autokratie und Herrschaft der Massen; es war schließlich das Re¬
giment der Sonderinteressen einer nichtswürdigen Familie, verbrämt mit dem
Mantel der Konstitution. —

So geben denn die' letzten zehn Jahre ein so trostloses Bild der Republik,
daß es sich fast der Schilderung entzieht. Mit der Verbannung von Paez
waren zunächst die Oligarchen völlig gesprengt. Mehre von ihnen traf ein
gleiches Schicksal und verwaist blieben in Trauer die Familien zurück, theil¬
weise der Unterstützung mitleidiger Verwandten Preis gegeben. Kleinmuth
und Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der wenigen Patrioten, die ihrer
Bildung und ihren Grundsätzen treu von vornherein, selbst um den Preis
ihres Amtes. Front machten gegen die mit Gewalt einreißende Korruption
und ihre Hände von jeder Berührung mit dem Schmuze und der Unsauber-
keit, welche von oben herab die ganze Gesellschaft zu überziehen begann,
rein erhielten. Nur in den Köpfen einiger heißblütiger Jünglinge wälzte
sich das unsinnige Project einer Verschwörung gegen das Leben des Präsi¬
denten, die bei Zeiten vereitelt wurde. Hatte es von jeher an rechtem
Gemeinsinn, der sich über die bloße Phrase erhob, gefehlt: jetzt gab es
gar kein öffentliches Interesse mehr. Theilnahmlos an der Gegenwart,
ohne Glauben an die Zukunft lebten auch die Besseren des Volks dahin,
vom Forum wendete sich der Blick auf den engen kümmerlichen Kreis des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/513>, abgerufen am 30.12.2024.