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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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und mit der ihm eignen schamhafter Miene blickte er seitwärts seinem kom-
menden Sohne ins Angesicht, dann fielen Heide unter Weinen und Schluchzen
sich einander in die Arme. Die Studenten standen dabei. Pater, fing der
Professor an, Ihr habt seit t3 Jahren sehr gealtert. Das habe ich auch,
Sie sehen recht mein Sohn. Nicht Sie, ehrwürdiger Mann, sondern Du!
Ich bin Euer Sohn und stolz darauf es zu sein. Euer Gebet und Eure Er¬
ziehung haben mich zu dem Manu gemacht, der ich nun geworden hin; ohne
Euch wäre ich nichts u. s. w. Einige Tage blieb der alte Pater in Marburg,
dann ging er wieder heim. Er glaubte einen Vorgeschmack des Himmels
genossen zu haben."

Nach seiner dritten Heirath 17!>l machte die französische Revolution auf
ihn, der sein Leben lang in treuer Liebe an seinem Heilande gehangen, den
betrübendsten Eindruck. Um dem hereinbrechenden Perderben nach Kräften zu
wehren, faßte er den Entschluß, erbauliche Bücher zu schreiben und darin ein
kräftiges Zeugniß von dem Herrn abzulegen. Zu dem guten Wollen gab
Gott ein glückliches Vollbringen; die Schriften, die von jetzt an von ihm aus¬
gingen, machten weit und breit ein ungemeines Aufsehn; sie wurden, so weit
die deutsche Zunge reicht, in allen Ständen mit Begeisterung gelesen; vom
Throne bis zum Pfluge kamen Briefe an, welche den herzlichsten Dank für die
köstlichen Gaben aussprachen. Zu diesen Schriften gehören unter andern
das Heimweh 1704 und Schlüssel zu demselben 1707, der graue Mann, eine
Polksschrift 1705 -- 1816. Scenen ans dem Geisterreiche 1797. Im Durch¬
schnitt kann man sie als Verdumnmngsschriften bezeichnen, ausgehend von
einem Halbgebildeten, den sein gutes Naturell nicht ganz vor Bösartigkeit
bewahrte. 180Z wurde er vom Großherzog vou Baden als geheimer Hofrath
nach Heidelberg berufen, mit keiner andern Verpflichtung, als in seinem
Kampf für die gute Sache fortzufahren. Der Fürst zog I8"et den frommen
Mann in sein Schloß nach Karlsruhe, wo er bei ihm wohnen und speisen
mußte. Er war jetzt als Vorkämpfer des Throns und des Altars eine wichtige
Persönlichkeit. Als Kaiser Alexander 1818 durch Karlsruhe kam, überhäufte
er ihn mit Wohlwollen und sandte ihm später sehr erhebliche Geschenke zu.
Seine Schriften zur Bekämpfung des revolutionären Geistes wurden immer
prophetischer, so seine Theorie der Geisterkunde 1808 und verschiedene Gedichte.
Er starb 1817 in der festen Ueberzeugung, daß in seinem reifern Lebensalter
Ehristus in ihm eine Gestalt gewonnen hahe. Für uns ist der leichtsinnige,
aber gutmüthige. Schneiderlehrling und Schulmeister eine erbaulichere Erschei¬
nung als der salbungsreiche geheune Hofrath, der Günstling der Potentaten.




und mit der ihm eignen schamhafter Miene blickte er seitwärts seinem kom-
menden Sohne ins Angesicht, dann fielen Heide unter Weinen und Schluchzen
sich einander in die Arme. Die Studenten standen dabei. Pater, fing der
Professor an, Ihr habt seit t3 Jahren sehr gealtert. Das habe ich auch,
Sie sehen recht mein Sohn. Nicht Sie, ehrwürdiger Mann, sondern Du!
Ich bin Euer Sohn und stolz darauf es zu sein. Euer Gebet und Eure Er¬
ziehung haben mich zu dem Manu gemacht, der ich nun geworden hin; ohne
Euch wäre ich nichts u. s. w. Einige Tage blieb der alte Pater in Marburg,
dann ging er wieder heim. Er glaubte einen Vorgeschmack des Himmels
genossen zu haben."

Nach seiner dritten Heirath 17!>l machte die französische Revolution auf
ihn, der sein Leben lang in treuer Liebe an seinem Heilande gehangen, den
betrübendsten Eindruck. Um dem hereinbrechenden Perderben nach Kräften zu
wehren, faßte er den Entschluß, erbauliche Bücher zu schreiben und darin ein
kräftiges Zeugniß von dem Herrn abzulegen. Zu dem guten Wollen gab
Gott ein glückliches Vollbringen; die Schriften, die von jetzt an von ihm aus¬
gingen, machten weit und breit ein ungemeines Aufsehn; sie wurden, so weit
die deutsche Zunge reicht, in allen Ständen mit Begeisterung gelesen; vom
Throne bis zum Pfluge kamen Briefe an, welche den herzlichsten Dank für die
köstlichen Gaben aussprachen. Zu diesen Schriften gehören unter andern
das Heimweh 1704 und Schlüssel zu demselben 1707, der graue Mann, eine
Polksschrift 1705 — 1816. Scenen ans dem Geisterreiche 1797. Im Durch¬
schnitt kann man sie als Verdumnmngsschriften bezeichnen, ausgehend von
einem Halbgebildeten, den sein gutes Naturell nicht ganz vor Bösartigkeit
bewahrte. 180Z wurde er vom Großherzog vou Baden als geheimer Hofrath
nach Heidelberg berufen, mit keiner andern Verpflichtung, als in seinem
Kampf für die gute Sache fortzufahren. Der Fürst zog I8«et den frommen
Mann in sein Schloß nach Karlsruhe, wo er bei ihm wohnen und speisen
mußte. Er war jetzt als Vorkämpfer des Throns und des Altars eine wichtige
Persönlichkeit. Als Kaiser Alexander 1818 durch Karlsruhe kam, überhäufte
er ihn mit Wohlwollen und sandte ihm später sehr erhebliche Geschenke zu.
Seine Schriften zur Bekämpfung des revolutionären Geistes wurden immer
prophetischer, so seine Theorie der Geisterkunde 1808 und verschiedene Gedichte.
Er starb 1817 in der festen Ueberzeugung, daß in seinem reifern Lebensalter
Ehristus in ihm eine Gestalt gewonnen hahe. Für uns ist der leichtsinnige,
aber gutmüthige. Schneiderlehrling und Schulmeister eine erbaulichere Erschei¬
nung als der salbungsreiche geheune Hofrath, der Günstling der Potentaten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/493>, abgerufen am 22.12.2024.