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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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dem Vermögen. Gutes zu thun, durchaus nicht hat fehlen lassen ; was den Bund
nationalisiren, was jedem Deutschen werth machen muß, in diesen Kreisen zu
leben, dies einzurichten, überließ er ihrer Weisheit. . . Alles, sagt er. möget
ihr nun thun. Aber nicht, sagt er, was immer ihr vornehme, ist recht und
nützlich. Wenn die Unterthanen unzufrieden würden und öfters der Protector,
auch wol mit Macht, einschreiten müßte . . ., was könnte man mehr beklagen,
als den Mißverstand über den Geist der neuen Ordnung der Dinge? Formen
wurden durch dieselbe gelöst, welche als Schuldigkeit manchem lästig sein
mochten, deren Erneuerung aber und Vervollkommnung aus freier Gnade
das erste Pfand einer guten Negierung werden kann. Ueberhaupt wir alle,
Regenten und Völker, laborirten an dem Aberglauben an längst erstorbene
Namen und Formeln; die ersten edlen Zwecke waren über dem Schlendrian
vergessen. Dieser Todesschlaf wurde durch gewaltige Stöße gestört . ,. . All
der todte Buchstabe, all die eingebildeten Stützen, an die man sich zu lehnen
pflegt, es ist alles ab; alles reducirt sich auf Geist und Kraft." In diesem
Sinn wird gerühmt, daß der Rheinbund den Fürsten keine ständische Beschränkung
.auflegt. -- "Je mehr Einheit, Stärke, Befriedigung, Zweckmäßigkeit, Fort¬
schritte, desto besser würde der Plan erfüllt, statt einer veralteten, den Keim
einer trefflichen Verfassung Deutschland zu geben: wozu der edelste Wetteifer
der alten und neuen Fürsten das Beförderungsmittel würde. Im Uebrigen ist
alles im Bunde der Zeit gemäß, die Leitung, der Schutz in der mächtigsten
Hand, wie der Augenblick erforderte." Weiter über Napoleon: "Der einsichts¬
volle Fürst ist weit entfernt, was er für die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse
seines großen Kaiserthums. und naeh den gebietenden Umständen, die aus
augenblicklichen Ereignissen folgen, für dasselbe gut findet, einem alliirten
Bundesstaat, oder dessen Gliedern, vis Muster oder Gesetz vorzuschreiben; er
verweiset sie auf ihre Lage, ihre Nationalbedürfnissc und Ideen; sie dürfen,
sie sollen darnach handeln." -- Das alles steht bereits im ersten Heft; noch
mit völliger Naivetät; im zweiten (abgedruckt 7. März 1807) ist die Stimmung
durch Angriffe schon gereizt, bittere Ausfälle über die "höhere Kritck" u. f. w.
verrathen die Unruhe des' Lobredners. "Die Rede ist von einer Wiedergeburt,
deren Schmerzen nicht vergeblich sein sollen, von Grundfesten, über deren
Güte die Nachwelt uns richten wird." "Das Uebrige, wie es sich bilden und
setzen, wie es endlich sein wird, beruht auf nicht vorherzusehenden Fügungen,
welche der Verstand und Sinn, welchen wir hier fordern eder aufgeklärte Des¬
potismus), allenfalls besser nutzen und lenken dürfte, als mancher geiht- und
herzlosen Versammlung in der Steifheit ihres Herkommens hätte einfallen mögen.
Wir sind nicht mehr lüstern nach Ausgeburten abstracter Speculationen, deren
Gründe außer dieser Sinnenwelt liegen." -- Das bezieht sich auf den Glauben
an das avstracte Recht. Müllers bisherigen Leitstern, an dessen Stelle jetzt der


dem Vermögen. Gutes zu thun, durchaus nicht hat fehlen lassen ; was den Bund
nationalisiren, was jedem Deutschen werth machen muß, in diesen Kreisen zu
leben, dies einzurichten, überließ er ihrer Weisheit. . . Alles, sagt er. möget
ihr nun thun. Aber nicht, sagt er, was immer ihr vornehme, ist recht und
nützlich. Wenn die Unterthanen unzufrieden würden und öfters der Protector,
auch wol mit Macht, einschreiten müßte . . ., was könnte man mehr beklagen,
als den Mißverstand über den Geist der neuen Ordnung der Dinge? Formen
wurden durch dieselbe gelöst, welche als Schuldigkeit manchem lästig sein
mochten, deren Erneuerung aber und Vervollkommnung aus freier Gnade
das erste Pfand einer guten Negierung werden kann. Ueberhaupt wir alle,
Regenten und Völker, laborirten an dem Aberglauben an längst erstorbene
Namen und Formeln; die ersten edlen Zwecke waren über dem Schlendrian
vergessen. Dieser Todesschlaf wurde durch gewaltige Stöße gestört . ,. . All
der todte Buchstabe, all die eingebildeten Stützen, an die man sich zu lehnen
pflegt, es ist alles ab; alles reducirt sich auf Geist und Kraft." In diesem
Sinn wird gerühmt, daß der Rheinbund den Fürsten keine ständische Beschränkung
.auflegt. — „Je mehr Einheit, Stärke, Befriedigung, Zweckmäßigkeit, Fort¬
schritte, desto besser würde der Plan erfüllt, statt einer veralteten, den Keim
einer trefflichen Verfassung Deutschland zu geben: wozu der edelste Wetteifer
der alten und neuen Fürsten das Beförderungsmittel würde. Im Uebrigen ist
alles im Bunde der Zeit gemäß, die Leitung, der Schutz in der mächtigsten
Hand, wie der Augenblick erforderte." Weiter über Napoleon: „Der einsichts¬
volle Fürst ist weit entfernt, was er für die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse
seines großen Kaiserthums. und naeh den gebietenden Umständen, die aus
augenblicklichen Ereignissen folgen, für dasselbe gut findet, einem alliirten
Bundesstaat, oder dessen Gliedern, vis Muster oder Gesetz vorzuschreiben; er
verweiset sie auf ihre Lage, ihre Nationalbedürfnissc und Ideen; sie dürfen,
sie sollen darnach handeln." — Das alles steht bereits im ersten Heft; noch
mit völliger Naivetät; im zweiten (abgedruckt 7. März 1807) ist die Stimmung
durch Angriffe schon gereizt, bittere Ausfälle über die „höhere Kritck" u. f. w.
verrathen die Unruhe des' Lobredners. „Die Rede ist von einer Wiedergeburt,
deren Schmerzen nicht vergeblich sein sollen, von Grundfesten, über deren
Güte die Nachwelt uns richten wird." „Das Uebrige, wie es sich bilden und
setzen, wie es endlich sein wird, beruht auf nicht vorherzusehenden Fügungen,
welche der Verstand und Sinn, welchen wir hier fordern eder aufgeklärte Des¬
potismus), allenfalls besser nutzen und lenken dürfte, als mancher geiht- und
herzlosen Versammlung in der Steifheit ihres Herkommens hätte einfallen mögen.
Wir sind nicht mehr lüstern nach Ausgeburten abstracter Speculationen, deren
Gründe außer dieser Sinnenwelt liegen." — Das bezieht sich auf den Glauben
an das avstracte Recht. Müllers bisherigen Leitstern, an dessen Stelle jetzt der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/430>, abgerufen am 22.12.2024.