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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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mich zwingen zu sterben als ohne dich zu leben. Diese haben eine ganze
Reihe von Bemerkungen hervorgerufen, welche von verschiedenen Händen nach¬
einander hinzugefügt sind. Sie wird dir schon den Gefallen thun dich nicht
umzubringen, tröstet der erste; ein zweiter mit einer andern Wendung: Was
Hoffnung dem Liebenden geraubt, gibt Hoffnung ihm zurück. Andere drücken
ihren Aerger über solche Thorheit aus: Wer dies liest, möge nie nachher
etwas Anderes lesen, und gleich darunter: niemals gehe es dem wohl, der
das Obige geschrieben hat; was der letzte bekräftigt mit einem: Du sagst wahr."

"Auch das Essen und Trinken geht nicht leer aus> bei diesen Herzens-
ergießungen. Während einer, der eingeladen zu werden wünscht, in einem
Verse zierlich sich ausläßt: L. Jstacidius! Bei wem ich nicht speise, der ist
für mich ein Barbar, drückt ein anderer seinen Unwillen darüber, daß es
nicht geschehen ist, unumwunden aus: du speistest also gut und ließest es mich
nicht wissen! Einen Becher Sabiner! (nach August der beste campanischc Wein)
hat ein Dürftiger angeschrieben, ein anderer wünscht bescheiden: ein bischen
kaltes Wasser; daneben ist die Figur eines Menschen, der den Becker zum
Einschenker hinhält, angemalt. Luftiger ist ein anderer Einfall: die nette
Weinwirthin dürstet, bitte, sie dürstet so sehr! Dem hier der Zuruf beigefügt
ist: Calpurnia sagt dir Adieu!"

"Gehen wir an den zahlreichen Gladiatoreninschriften vorbei, die meistens
mit Figuren illustrirt sind, welche deutlich beweisen, daß die pompejanischen
Pflastertreter keine Zeichenmeister waren, und bemerken das Andenken an eine
Ballpartie in der Inschrift: Amianthus, Epaphra, Tertius sollen mit Hedy-
sius spielen, Jucundus aus Nola soll auffangen. Citus und Nacus sollen
zählen; wozu auch der Spott: Epaphra ist kein Ballspieler! gehört."

"Arbeit und Studium sind in diesen Extemporalien nicht ganz vergessen.
Ohne die vielen Alphabete zu rechnen, die in Pompeji angeschrieben sind, so
wie einige grammatische Uebungen fleißiger Schüler, die sich ebendaselbst fin¬
den , hat es nicht etwas Rührendes die Sentenz:


Denn Alten Leuten ziemt es immer streng zu fein,
Den Kindern, die gut lernen, geht es trefflich wohl --

eingekratzt auf einem Ziegel zu lesen, in dessen Nähe ein anderer gefunden
wurde, in welchem ein Alphabet als Vorschrift sorgfältig eingegraben ist. zum
deutlichen Beweise, daß wir es mit Utensilien einer alten Schule zu thun
haben? Und wie gemüthlich ist es. wenn an der Wand eines der unterirdi¬
schen Gemächer am Palatin mitten unter Zeichnungen und Inschriften, die
sich auf Amphitheater und Circus beziehen, ein Esel hingezeichnet ist, der die
Mühle dreht, mit der Unterschrift: Arbeite Eselein. wie ich gearbeitet habe,
und es wird dir frommen."




mich zwingen zu sterben als ohne dich zu leben. Diese haben eine ganze
Reihe von Bemerkungen hervorgerufen, welche von verschiedenen Händen nach¬
einander hinzugefügt sind. Sie wird dir schon den Gefallen thun dich nicht
umzubringen, tröstet der erste; ein zweiter mit einer andern Wendung: Was
Hoffnung dem Liebenden geraubt, gibt Hoffnung ihm zurück. Andere drücken
ihren Aerger über solche Thorheit aus: Wer dies liest, möge nie nachher
etwas Anderes lesen, und gleich darunter: niemals gehe es dem wohl, der
das Obige geschrieben hat; was der letzte bekräftigt mit einem: Du sagst wahr."

„Auch das Essen und Trinken geht nicht leer aus> bei diesen Herzens-
ergießungen. Während einer, der eingeladen zu werden wünscht, in einem
Verse zierlich sich ausläßt: L. Jstacidius! Bei wem ich nicht speise, der ist
für mich ein Barbar, drückt ein anderer seinen Unwillen darüber, daß es
nicht geschehen ist, unumwunden aus: du speistest also gut und ließest es mich
nicht wissen! Einen Becher Sabiner! (nach August der beste campanischc Wein)
hat ein Dürftiger angeschrieben, ein anderer wünscht bescheiden: ein bischen
kaltes Wasser; daneben ist die Figur eines Menschen, der den Becker zum
Einschenker hinhält, angemalt. Luftiger ist ein anderer Einfall: die nette
Weinwirthin dürstet, bitte, sie dürstet so sehr! Dem hier der Zuruf beigefügt
ist: Calpurnia sagt dir Adieu!"

„Gehen wir an den zahlreichen Gladiatoreninschriften vorbei, die meistens
mit Figuren illustrirt sind, welche deutlich beweisen, daß die pompejanischen
Pflastertreter keine Zeichenmeister waren, und bemerken das Andenken an eine
Ballpartie in der Inschrift: Amianthus, Epaphra, Tertius sollen mit Hedy-
sius spielen, Jucundus aus Nola soll auffangen. Citus und Nacus sollen
zählen; wozu auch der Spott: Epaphra ist kein Ballspieler! gehört."

„Arbeit und Studium sind in diesen Extemporalien nicht ganz vergessen.
Ohne die vielen Alphabete zu rechnen, die in Pompeji angeschrieben sind, so
wie einige grammatische Uebungen fleißiger Schüler, die sich ebendaselbst fin¬
den , hat es nicht etwas Rührendes die Sentenz:


Denn Alten Leuten ziemt es immer streng zu fein,
Den Kindern, die gut lernen, geht es trefflich wohl —

eingekratzt auf einem Ziegel zu lesen, in dessen Nähe ein anderer gefunden
wurde, in welchem ein Alphabet als Vorschrift sorgfältig eingegraben ist. zum
deutlichen Beweise, daß wir es mit Utensilien einer alten Schule zu thun
haben? Und wie gemüthlich ist es. wenn an der Wand eines der unterirdi¬
schen Gemächer am Palatin mitten unter Zeichnungen und Inschriften, die
sich auf Amphitheater und Circus beziehen, ein Esel hingezeichnet ist, der die
Mühle dreht, mit der Unterschrift: Arbeite Eselein. wie ich gearbeitet habe,
und es wird dir frommen."




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[0422] mich zwingen zu sterben als ohne dich zu leben. Diese haben eine ganze Reihe von Bemerkungen hervorgerufen, welche von verschiedenen Händen nach¬ einander hinzugefügt sind. Sie wird dir schon den Gefallen thun dich nicht umzubringen, tröstet der erste; ein zweiter mit einer andern Wendung: Was Hoffnung dem Liebenden geraubt, gibt Hoffnung ihm zurück. Andere drücken ihren Aerger über solche Thorheit aus: Wer dies liest, möge nie nachher etwas Anderes lesen, und gleich darunter: niemals gehe es dem wohl, der das Obige geschrieben hat; was der letzte bekräftigt mit einem: Du sagst wahr." „Auch das Essen und Trinken geht nicht leer aus> bei diesen Herzens- ergießungen. Während einer, der eingeladen zu werden wünscht, in einem Verse zierlich sich ausläßt: L. Jstacidius! Bei wem ich nicht speise, der ist für mich ein Barbar, drückt ein anderer seinen Unwillen darüber, daß es nicht geschehen ist, unumwunden aus: du speistest also gut und ließest es mich nicht wissen! Einen Becher Sabiner! (nach August der beste campanischc Wein) hat ein Dürftiger angeschrieben, ein anderer wünscht bescheiden: ein bischen kaltes Wasser; daneben ist die Figur eines Menschen, der den Becker zum Einschenker hinhält, angemalt. Luftiger ist ein anderer Einfall: die nette Weinwirthin dürstet, bitte, sie dürstet so sehr! Dem hier der Zuruf beigefügt ist: Calpurnia sagt dir Adieu!" „Gehen wir an den zahlreichen Gladiatoreninschriften vorbei, die meistens mit Figuren illustrirt sind, welche deutlich beweisen, daß die pompejanischen Pflastertreter keine Zeichenmeister waren, und bemerken das Andenken an eine Ballpartie in der Inschrift: Amianthus, Epaphra, Tertius sollen mit Hedy- sius spielen, Jucundus aus Nola soll auffangen. Citus und Nacus sollen zählen; wozu auch der Spott: Epaphra ist kein Ballspieler! gehört." „Arbeit und Studium sind in diesen Extemporalien nicht ganz vergessen. Ohne die vielen Alphabete zu rechnen, die in Pompeji angeschrieben sind, so wie einige grammatische Uebungen fleißiger Schüler, die sich ebendaselbst fin¬ den , hat es nicht etwas Rührendes die Sentenz: Denn Alten Leuten ziemt es immer streng zu fein, Den Kindern, die gut lernen, geht es trefflich wohl — eingekratzt auf einem Ziegel zu lesen, in dessen Nähe ein anderer gefunden wurde, in welchem ein Alphabet als Vorschrift sorgfältig eingegraben ist. zum deutlichen Beweise, daß wir es mit Utensilien einer alten Schule zu thun haben? Und wie gemüthlich ist es. wenn an der Wand eines der unterirdi¬ schen Gemächer am Palatin mitten unter Zeichnungen und Inschriften, die sich auf Amphitheater und Circus beziehen, ein Esel hingezeichnet ist, der die Mühle dreht, mit der Unterschrift: Arbeite Eselein. wie ich gearbeitet habe, und es wird dir frommen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/422>, abgerufen am 22.12.2024.