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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Willkür in dem Gesetz und Recht sonst immer achtenden Manne. Indeß
brachte sie ihn auch in neuen Conflict. Dem vom Peru zurückkehrenden Li-
bertador kam diese Unordnung nicht ungelegen. Er eilt herbei, hält in der
Nähe von Aalencia mit seinem alten Waffengefährten ein< geheime Unterredung,
deren Resultat ist. das; er ihn umarmt und zieht in Triumph, ihn zur Seite, in
Caracas ein. Bolivar hatte hierbei seine besondern Absichten: seine willkür¬
lichen Reformen in der Administration ließen sie bald errathen. Aber Paez
kam offenbar zwischen zwei Feuer: aus der einen Seite die persönliche An¬
hänglichkeit und Dankbarkeit gegen den Libertador, dessen Interesse ein cen-
trnlisirtes Columbien mit möglichst kräftigem Regiment war; auf der andern
die Sympathien der Nordprovinzen, an deren Spitze er stand, für den Föde¬
ralismus. Nur ein Charakter ohne Falsch und Hehl, der zugleich die indivi¬
duellen Interessen dem Willen des Volkes unterzuordnen weiß -- und nach
beiden Seiten hat Paez stets sich bewährt -- konnte hier den rechten Weg
finden. Da er in seinem geraden Sinne sich nie zu geheimen Versprechungen
herbeigelassen, stand er dem Dictator gegenüber 1829 frei in seinem Ge¬
wissen, als die Volksbewegung sich entscheidend gegen die Machinationen des
Cabinets von Bogota wandte. Ohne Rückhalt wies er die schmeichelhaften
Insinuationen desselben zurück und unterwarf sich, als alle Provinzen Vene¬
zuelas der oben erwähnten Volksversammlung von Caracas beigetreten, mit
seinem Heere dem einstimmigen Willen der Nation. Mit diesem. Schritt rettete
er sein Vaterland von einem Bürgerkrieg.

Von jener revolutionären Versammlung im Kloster San Francisco, die,
obwol aus den verschiedensten Elementen bestehend, doch im Ganzen mit
großer Ordnung und vieler Würde geführt wurde, zum Oberbefehlshaber er¬
nannt, berief Paez für Ende April den constituirenden C^ngreß, welcher der
Republik Venezuela den Rechtsboden bereiten sollte. Dessen erster Act im Mai
1830 war, den dem General ertheilten Oberbefehl zu verlängern, bis das
Grundgesetz ausgecvbeitct und anerkannt sei. Daraus wendete sofort der Con-
greß sein Augenmerk auf das Heer, dessen Macht ihm tiefes Mißtrauen ein¬
flößte. Zusammengesetzt aus den ältesten und erfahrensten Patrioten, war die
Constituante eifrig bedacht, die Rechte des Volks und freisinnigen Institutio¬
nen gegen ähnliche Gefahren zu schützen, wie sie bisher dieselben bedroht
hatten. Die früheren nothwendigen Zugeständnisse an den militärischen Ruhm
und die Bedürfnisse des Kriegs hatten die Civilgewalt geschwächt. Es galt
sie wiederherzustellen und zu befestigen. So sollten denn alle militärischen
Vorrechte aufhören; das Heer wurde auf ein Minimum reducirt. um die Fe¬
stungen zu schützen, und alle Militärs, die nicht in activen Dienst standen,
blieben fortan der Civilautorität unterworfen. -- Natürlich schien das eine
große Undankbarkeit gegen die vielen um die Unabhängigkeit so verdienten


Grenzboten II. 1858. 50

Willkür in dem Gesetz und Recht sonst immer achtenden Manne. Indeß
brachte sie ihn auch in neuen Conflict. Dem vom Peru zurückkehrenden Li-
bertador kam diese Unordnung nicht ungelegen. Er eilt herbei, hält in der
Nähe von Aalencia mit seinem alten Waffengefährten ein< geheime Unterredung,
deren Resultat ist. das; er ihn umarmt und zieht in Triumph, ihn zur Seite, in
Caracas ein. Bolivar hatte hierbei seine besondern Absichten: seine willkür¬
lichen Reformen in der Administration ließen sie bald errathen. Aber Paez
kam offenbar zwischen zwei Feuer: aus der einen Seite die persönliche An¬
hänglichkeit und Dankbarkeit gegen den Libertador, dessen Interesse ein cen-
trnlisirtes Columbien mit möglichst kräftigem Regiment war; auf der andern
die Sympathien der Nordprovinzen, an deren Spitze er stand, für den Föde¬
ralismus. Nur ein Charakter ohne Falsch und Hehl, der zugleich die indivi¬
duellen Interessen dem Willen des Volkes unterzuordnen weiß — und nach
beiden Seiten hat Paez stets sich bewährt — konnte hier den rechten Weg
finden. Da er in seinem geraden Sinne sich nie zu geheimen Versprechungen
herbeigelassen, stand er dem Dictator gegenüber 1829 frei in seinem Ge¬
wissen, als die Volksbewegung sich entscheidend gegen die Machinationen des
Cabinets von Bogota wandte. Ohne Rückhalt wies er die schmeichelhaften
Insinuationen desselben zurück und unterwarf sich, als alle Provinzen Vene¬
zuelas der oben erwähnten Volksversammlung von Caracas beigetreten, mit
seinem Heere dem einstimmigen Willen der Nation. Mit diesem. Schritt rettete
er sein Vaterland von einem Bürgerkrieg.

Von jener revolutionären Versammlung im Kloster San Francisco, die,
obwol aus den verschiedensten Elementen bestehend, doch im Ganzen mit
großer Ordnung und vieler Würde geführt wurde, zum Oberbefehlshaber er¬
nannt, berief Paez für Ende April den constituirenden C^ngreß, welcher der
Republik Venezuela den Rechtsboden bereiten sollte. Dessen erster Act im Mai
1830 war, den dem General ertheilten Oberbefehl zu verlängern, bis das
Grundgesetz ausgecvbeitct und anerkannt sei. Daraus wendete sofort der Con-
greß sein Augenmerk auf das Heer, dessen Macht ihm tiefes Mißtrauen ein¬
flößte. Zusammengesetzt aus den ältesten und erfahrensten Patrioten, war die
Constituante eifrig bedacht, die Rechte des Volks und freisinnigen Institutio¬
nen gegen ähnliche Gefahren zu schützen, wie sie bisher dieselben bedroht
hatten. Die früheren nothwendigen Zugeständnisse an den militärischen Ruhm
und die Bedürfnisse des Kriegs hatten die Civilgewalt geschwächt. Es galt
sie wiederherzustellen und zu befestigen. So sollten denn alle militärischen
Vorrechte aufhören; das Heer wurde auf ein Minimum reducirt. um die Fe¬
stungen zu schützen, und alle Militärs, die nicht in activen Dienst standen,
blieben fortan der Civilautorität unterworfen. — Natürlich schien das eine
große Undankbarkeit gegen die vielen um die Unabhängigkeit so verdienten


Grenzboten II. 1858. 50
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[0401] Willkür in dem Gesetz und Recht sonst immer achtenden Manne. Indeß brachte sie ihn auch in neuen Conflict. Dem vom Peru zurückkehrenden Li- bertador kam diese Unordnung nicht ungelegen. Er eilt herbei, hält in der Nähe von Aalencia mit seinem alten Waffengefährten ein< geheime Unterredung, deren Resultat ist. das; er ihn umarmt und zieht in Triumph, ihn zur Seite, in Caracas ein. Bolivar hatte hierbei seine besondern Absichten: seine willkür¬ lichen Reformen in der Administration ließen sie bald errathen. Aber Paez kam offenbar zwischen zwei Feuer: aus der einen Seite die persönliche An¬ hänglichkeit und Dankbarkeit gegen den Libertador, dessen Interesse ein cen- trnlisirtes Columbien mit möglichst kräftigem Regiment war; auf der andern die Sympathien der Nordprovinzen, an deren Spitze er stand, für den Föde¬ ralismus. Nur ein Charakter ohne Falsch und Hehl, der zugleich die indivi¬ duellen Interessen dem Willen des Volkes unterzuordnen weiß — und nach beiden Seiten hat Paez stets sich bewährt — konnte hier den rechten Weg finden. Da er in seinem geraden Sinne sich nie zu geheimen Versprechungen herbeigelassen, stand er dem Dictator gegenüber 1829 frei in seinem Ge¬ wissen, als die Volksbewegung sich entscheidend gegen die Machinationen des Cabinets von Bogota wandte. Ohne Rückhalt wies er die schmeichelhaften Insinuationen desselben zurück und unterwarf sich, als alle Provinzen Vene¬ zuelas der oben erwähnten Volksversammlung von Caracas beigetreten, mit seinem Heere dem einstimmigen Willen der Nation. Mit diesem. Schritt rettete er sein Vaterland von einem Bürgerkrieg. Von jener revolutionären Versammlung im Kloster San Francisco, die, obwol aus den verschiedensten Elementen bestehend, doch im Ganzen mit großer Ordnung und vieler Würde geführt wurde, zum Oberbefehlshaber er¬ nannt, berief Paez für Ende April den constituirenden C^ngreß, welcher der Republik Venezuela den Rechtsboden bereiten sollte. Dessen erster Act im Mai 1830 war, den dem General ertheilten Oberbefehl zu verlängern, bis das Grundgesetz ausgecvbeitct und anerkannt sei. Daraus wendete sofort der Con- greß sein Augenmerk auf das Heer, dessen Macht ihm tiefes Mißtrauen ein¬ flößte. Zusammengesetzt aus den ältesten und erfahrensten Patrioten, war die Constituante eifrig bedacht, die Rechte des Volks und freisinnigen Institutio¬ nen gegen ähnliche Gefahren zu schützen, wie sie bisher dieselben bedroht hatten. Die früheren nothwendigen Zugeständnisse an den militärischen Ruhm und die Bedürfnisse des Kriegs hatten die Civilgewalt geschwächt. Es galt sie wiederherzustellen und zu befestigen. So sollten denn alle militärischen Vorrechte aufhören; das Heer wurde auf ein Minimum reducirt. um die Fe¬ stungen zu schützen, und alle Militärs, die nicht in activen Dienst standen, blieben fortan der Civilautorität unterworfen. — Natürlich schien das eine große Undankbarkeit gegen die vielen um die Unabhängigkeit so verdienten Grenzboten II. 1858. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/401>, abgerufen am 22.12.2024.