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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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anwenden, welches Boltaire mit Umecht über Shakspeare aussprach: man
glaubt es mitunter mit einem betrunkenen Wilden zu thun zu haben. Wir
meinen damit nicht blos die Krastausdrücke, in denen Schiller alles überbietet,
was Lenz oder Bürger oder Heinse in ihrer Sturm- und Drangperiade ge¬
sagt haben, sondern hauptsächlich die hohle Deklamation, die den Sinn ent-
weder seines ausdrückt oder sich auch wol des Sinns ganz überhebt, lind zu
welcher Meisterschaft in der Form hat er es-in seinen spätern Dramen ge¬
bracht! Wenige Ausnahmen abgerechnet ist die Sprache klar, energisch, ergrei¬
fend und maßvoll. Während Goethe seinen Genius immer mehr an kleine
Aufgaben verschwendet, in der Composition immer mehr die Kunstform auf¬
gibt, stellt sich Schiller mit jedem neuen Werk in der Technik sicherer und mit
der errungenen Meisterschaft nimmt auch seine Productivitnt immer zu. Dabei
ist noch ein Umstand ins Auge zu fasse". Schillers Andenken umschwebt der
Nimbus einer gewissen Heiligkeit, vor der auch der Sünder sich beugt: diesen
Ausgang würde man aber in seiner Jugendgeschichte bis zu seinem dreißigsten
Jahr kaum erwarten. Aus einer wilden und unreifen Jugend erhob sich der
Dichter durch die Kraft des Willens zu jeuer vollendeten sittlichen Gestalt,
die wir noch heut verehren, während Goethe nie daran dachte, seinen an¬
geborenen edlen Jnstinct dnrch allgemeine Ideen zu befestigen.

Goethe war ein Günstling der Natur; das Herrlichste, wonach der Mensch
begehrend die Hände ausstreckt, ward ihm im Traum gewährt; weder in der
Kunst noch im wirtlichen Leben hat er je die bittere Nothwendigkeit ange¬
strengter Arbeit empfunden. Seine Seele war wie ein Spiegel, der alle Ein¬
drücke der Welt verschönert wicdcrstrahlte. Er ließ die Bilder flüchtig vor¬
übergehen, zufrieden, wenn das eine oder das andere sich fragmentarisch
fixirte. Er sah die Welt um in seinen Freunden, die dem Dichter huldigten,
weil sie den Menschen verehrten. Die objective Wirkung seines Kunstwerks
war ihm gleichgiltig und durfte ihm gleichgiltig sein. Schiller sah nichts,
was er nicht mit Anstrengung suchte, er begriff nichts, was er nicht metho¬
disch durchdrang. Bei ihm konnte die Bildung nur die Frucht sauern Schwei¬
ßes sein, aber ein eiserner Wille ersetzte diese Unvollkommenheiten seiner Natur,
wenn man sie so bezeichnen darf, und fast möchten wir- es ein Glück
nennen, daß er äußerlich genöthigt war. die Wirkung seiner Werte auf
die Menge zu berechnen, und zu diesem Zweck sich mit vollem Bewußtsein
die Kunst anzueignen. Mit reichem Talent waren beide Dichter von der Na¬
tur ausgestattet, aber die Schönheit empfing der eine eine Gabe noch
als halbes Kind aus ihren Händen, die sie dem andern als fernes Ziel auf
einem dornenvollen Pfade vorhielt. Wer wollte entscheiden, welcher von
beiden der begünstigten war.

Beide Dichter haben das Reich der deutschen Träume um ein Betracht-


anwenden, welches Boltaire mit Umecht über Shakspeare aussprach: man
glaubt es mitunter mit einem betrunkenen Wilden zu thun zu haben. Wir
meinen damit nicht blos die Krastausdrücke, in denen Schiller alles überbietet,
was Lenz oder Bürger oder Heinse in ihrer Sturm- und Drangperiade ge¬
sagt haben, sondern hauptsächlich die hohle Deklamation, die den Sinn ent-
weder seines ausdrückt oder sich auch wol des Sinns ganz überhebt, lind zu
welcher Meisterschaft in der Form hat er es-in seinen spätern Dramen ge¬
bracht! Wenige Ausnahmen abgerechnet ist die Sprache klar, energisch, ergrei¬
fend und maßvoll. Während Goethe seinen Genius immer mehr an kleine
Aufgaben verschwendet, in der Composition immer mehr die Kunstform auf¬
gibt, stellt sich Schiller mit jedem neuen Werk in der Technik sicherer und mit
der errungenen Meisterschaft nimmt auch seine Productivitnt immer zu. Dabei
ist noch ein Umstand ins Auge zu fasse». Schillers Andenken umschwebt der
Nimbus einer gewissen Heiligkeit, vor der auch der Sünder sich beugt: diesen
Ausgang würde man aber in seiner Jugendgeschichte bis zu seinem dreißigsten
Jahr kaum erwarten. Aus einer wilden und unreifen Jugend erhob sich der
Dichter durch die Kraft des Willens zu jeuer vollendeten sittlichen Gestalt,
die wir noch heut verehren, während Goethe nie daran dachte, seinen an¬
geborenen edlen Jnstinct dnrch allgemeine Ideen zu befestigen.

Goethe war ein Günstling der Natur; das Herrlichste, wonach der Mensch
begehrend die Hände ausstreckt, ward ihm im Traum gewährt; weder in der
Kunst noch im wirtlichen Leben hat er je die bittere Nothwendigkeit ange¬
strengter Arbeit empfunden. Seine Seele war wie ein Spiegel, der alle Ein¬
drücke der Welt verschönert wicdcrstrahlte. Er ließ die Bilder flüchtig vor¬
übergehen, zufrieden, wenn das eine oder das andere sich fragmentarisch
fixirte. Er sah die Welt um in seinen Freunden, die dem Dichter huldigten,
weil sie den Menschen verehrten. Die objective Wirkung seines Kunstwerks
war ihm gleichgiltig und durfte ihm gleichgiltig sein. Schiller sah nichts,
was er nicht mit Anstrengung suchte, er begriff nichts, was er nicht metho¬
disch durchdrang. Bei ihm konnte die Bildung nur die Frucht sauern Schwei¬
ßes sein, aber ein eiserner Wille ersetzte diese Unvollkommenheiten seiner Natur,
wenn man sie so bezeichnen darf, und fast möchten wir- es ein Glück
nennen, daß er äußerlich genöthigt war. die Wirkung seiner Werte auf
die Menge zu berechnen, und zu diesem Zweck sich mit vollem Bewußtsein
die Kunst anzueignen. Mit reichem Talent waren beide Dichter von der Na¬
tur ausgestattet, aber die Schönheit empfing der eine eine Gabe noch
als halbes Kind aus ihren Händen, die sie dem andern als fernes Ziel auf
einem dornenvollen Pfade vorhielt. Wer wollte entscheiden, welcher von
beiden der begünstigten war.

Beide Dichter haben das Reich der deutschen Träume um ein Betracht-


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[0303] anwenden, welches Boltaire mit Umecht über Shakspeare aussprach: man glaubt es mitunter mit einem betrunkenen Wilden zu thun zu haben. Wir meinen damit nicht blos die Krastausdrücke, in denen Schiller alles überbietet, was Lenz oder Bürger oder Heinse in ihrer Sturm- und Drangperiade ge¬ sagt haben, sondern hauptsächlich die hohle Deklamation, die den Sinn ent- weder seines ausdrückt oder sich auch wol des Sinns ganz überhebt, lind zu welcher Meisterschaft in der Form hat er es-in seinen spätern Dramen ge¬ bracht! Wenige Ausnahmen abgerechnet ist die Sprache klar, energisch, ergrei¬ fend und maßvoll. Während Goethe seinen Genius immer mehr an kleine Aufgaben verschwendet, in der Composition immer mehr die Kunstform auf¬ gibt, stellt sich Schiller mit jedem neuen Werk in der Technik sicherer und mit der errungenen Meisterschaft nimmt auch seine Productivitnt immer zu. Dabei ist noch ein Umstand ins Auge zu fasse». Schillers Andenken umschwebt der Nimbus einer gewissen Heiligkeit, vor der auch der Sünder sich beugt: diesen Ausgang würde man aber in seiner Jugendgeschichte bis zu seinem dreißigsten Jahr kaum erwarten. Aus einer wilden und unreifen Jugend erhob sich der Dichter durch die Kraft des Willens zu jeuer vollendeten sittlichen Gestalt, die wir noch heut verehren, während Goethe nie daran dachte, seinen an¬ geborenen edlen Jnstinct dnrch allgemeine Ideen zu befestigen. Goethe war ein Günstling der Natur; das Herrlichste, wonach der Mensch begehrend die Hände ausstreckt, ward ihm im Traum gewährt; weder in der Kunst noch im wirtlichen Leben hat er je die bittere Nothwendigkeit ange¬ strengter Arbeit empfunden. Seine Seele war wie ein Spiegel, der alle Ein¬ drücke der Welt verschönert wicdcrstrahlte. Er ließ die Bilder flüchtig vor¬ übergehen, zufrieden, wenn das eine oder das andere sich fragmentarisch fixirte. Er sah die Welt um in seinen Freunden, die dem Dichter huldigten, weil sie den Menschen verehrten. Die objective Wirkung seines Kunstwerks war ihm gleichgiltig und durfte ihm gleichgiltig sein. Schiller sah nichts, was er nicht mit Anstrengung suchte, er begriff nichts, was er nicht metho¬ disch durchdrang. Bei ihm konnte die Bildung nur die Frucht sauern Schwei¬ ßes sein, aber ein eiserner Wille ersetzte diese Unvollkommenheiten seiner Natur, wenn man sie so bezeichnen darf, und fast möchten wir- es ein Glück nennen, daß er äußerlich genöthigt war. die Wirkung seiner Werte auf die Menge zu berechnen, und zu diesem Zweck sich mit vollem Bewußtsein die Kunst anzueignen. Mit reichem Talent waren beide Dichter von der Na¬ tur ausgestattet, aber die Schönheit empfing der eine eine Gabe noch als halbes Kind aus ihren Händen, die sie dem andern als fernes Ziel auf einem dornenvollen Pfade vorhielt. Wer wollte entscheiden, welcher von beiden der begünstigten war. Beide Dichter haben das Reich der deutschen Träume um ein Betracht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/303>, abgerufen am 21.12.2024.