Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.die sie damals geschaffen und seine Seele lebt nur in diesen Phantasien. Ebensowenig ist Fiesco das geworden, was der Dichter wollte, er ist wie Auch Posa trägt durchgängig die Spuren einer Phantasie, die eben erst die sie damals geschaffen und seine Seele lebt nur in diesen Phantasien. Ebensowenig ist Fiesco das geworden, was der Dichter wollte, er ist wie Auch Posa trägt durchgängig die Spuren einer Phantasie, die eben erst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186712"/> <p xml:id="ID_689" prev="#ID_688"> die sie damals geschaffen und seine Seele lebt nur in diesen Phantasien.<lb/> Moors Räuberthum ist nichts anders als ein verunglücktes Phantasiespiel.<lb/> Er phantasirte sich zum Räuber, er wollte den Räuber spiele» und seine<lb/> Tragödie ist, daß sich mit dem wirklichen Leben und dem Ernst geschichtlicher<lb/> Verhältnisse nicht spielen lässt. Mit dieser Erfahrung muß er sein Phantasie¬<lb/> leben beschließen. Nur darin wuchert noch die überschüssige Phantasie, nur<lb/> darin imponirt er sich selbst noch zu sehr, daß er glaubt, die sittliche Welt<lb/> sei so leicht zu zerrütten.</p><lb/> <p xml:id="ID_690"> Ebensowenig ist Fiesco das geworden, was der Dichter wollte, er ist wie<lb/> sein Dichter ein genialer phantasievoller bestimmbarer Jüngling, den jeder<lb/> große Eindruck fortreißt und der am wenigsten gemacht ist, ein politischer<lb/> Eharatter zu sein. - Man muß seiner Empfindungen vollkommen Herr sein,<lb/> seinen Entwürfen, wie mächtig sie auch die Seele bewegen, in jedem Augenblick<lb/> befehlen können wie Richard III.: „taucht unter ihr Gedanken!" und die Ge¬<lb/> danken müssen in jedem Augenblick gehorchen, wenn ein politischer Eharatter<lb/> entstehen soll, wie Schiller seinen Fiesco im Sinn hatte. So wenig er selbst,<lb/> der bewegte und bewegliche Dichter, seine Leidenschaften unterdrücken und ihnen<lb/> gebieten mochte: „taucht unter ihr Gedanken!" — so wenig vermag es fiesco,<lb/> der Held seines politischen Trauerspiels. Fiesco verhält sich zu seinen Plänen<lb/> ebenso wie Schiller zum Plan des Fiesco. Das künstliche Gewebe zerreißt<lb/> jeden Augenblick an einer mächtig hervorspringenden Naturempfindung; jeden<lb/> Augenblick wird es von einer Gemüthswallung überflutet, jeder verführerische<lb/> Eindruck spielt dein Fiesco unwillkürlich die Fäden seines Plans aus der<lb/> Hand. Sein poetisches Idyll ist eine Mvndnachtschwürmerei. die nächste<lb/> Morgendämmerung macht ihm andere Gedanken. Mit phantasirenden Em¬<lb/> pfindungen läßt sich schwärmen, aber nicht handeln. Zu großen Handlungen,<lb/> welche erneuert und umgestaltend in das menschliche Leben eingreifen, ge¬<lb/> hören große praktische Naturen, besonnen und ausdauernd, meuschenkuudig<lb/> und weiterfahren, leidenschaftlich aber nicht wetterwendisch. Wirkliche Helden<lb/> bedürfen noch andrer Triebfedern als Empfindung und Phantasie.</p><lb/> <p xml:id="ID_691" next="#ID_692"> Auch Posa trägt durchgängig die Spuren einer Phantasie, die eben erst<lb/> das Arkadien der Natur verlassen, eben erst den ernsten Schauplatz der Geschichte<lb/> betreten hat. Er überträgt das Idyll der Natur aus die geschichtliche Welt;<lb/> aber diese Naturform paßt nicht auf die Geschichte; weder ist das Ziel der<lb/> Geschichte die bloße Weltbeglückung, noch weniger läßt sich dieses Ziel, wenn<lb/> es überhaupt möglich wäre oder auch nur wünschenswerth, plötzlich erreichen<lb/> und wie mit einem Schlage. In diesem Sinn beurtheilt, ist das geschichtliche<lb/> Ideal Posas wirklich eine '„sonderbare Schwärmerei". Gesetzt aber auch,<lb/> ein Weltplan, wie er ihn im Sinn hat, wäre möglich, so wäre er nicht<lb/> der Mann ihn auszuführen, denn die Ausführung hinge davon ab, daß die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
die sie damals geschaffen und seine Seele lebt nur in diesen Phantasien.
Moors Räuberthum ist nichts anders als ein verunglücktes Phantasiespiel.
Er phantasirte sich zum Räuber, er wollte den Räuber spiele» und seine
Tragödie ist, daß sich mit dem wirklichen Leben und dem Ernst geschichtlicher
Verhältnisse nicht spielen lässt. Mit dieser Erfahrung muß er sein Phantasie¬
leben beschließen. Nur darin wuchert noch die überschüssige Phantasie, nur
darin imponirt er sich selbst noch zu sehr, daß er glaubt, die sittliche Welt
sei so leicht zu zerrütten.
Ebensowenig ist Fiesco das geworden, was der Dichter wollte, er ist wie
sein Dichter ein genialer phantasievoller bestimmbarer Jüngling, den jeder
große Eindruck fortreißt und der am wenigsten gemacht ist, ein politischer
Eharatter zu sein. - Man muß seiner Empfindungen vollkommen Herr sein,
seinen Entwürfen, wie mächtig sie auch die Seele bewegen, in jedem Augenblick
befehlen können wie Richard III.: „taucht unter ihr Gedanken!" und die Ge¬
danken müssen in jedem Augenblick gehorchen, wenn ein politischer Eharatter
entstehen soll, wie Schiller seinen Fiesco im Sinn hatte. So wenig er selbst,
der bewegte und bewegliche Dichter, seine Leidenschaften unterdrücken und ihnen
gebieten mochte: „taucht unter ihr Gedanken!" — so wenig vermag es fiesco,
der Held seines politischen Trauerspiels. Fiesco verhält sich zu seinen Plänen
ebenso wie Schiller zum Plan des Fiesco. Das künstliche Gewebe zerreißt
jeden Augenblick an einer mächtig hervorspringenden Naturempfindung; jeden
Augenblick wird es von einer Gemüthswallung überflutet, jeder verführerische
Eindruck spielt dein Fiesco unwillkürlich die Fäden seines Plans aus der
Hand. Sein poetisches Idyll ist eine Mvndnachtschwürmerei. die nächste
Morgendämmerung macht ihm andere Gedanken. Mit phantasirenden Em¬
pfindungen läßt sich schwärmen, aber nicht handeln. Zu großen Handlungen,
welche erneuert und umgestaltend in das menschliche Leben eingreifen, ge¬
hören große praktische Naturen, besonnen und ausdauernd, meuschenkuudig
und weiterfahren, leidenschaftlich aber nicht wetterwendisch. Wirkliche Helden
bedürfen noch andrer Triebfedern als Empfindung und Phantasie.
Auch Posa trägt durchgängig die Spuren einer Phantasie, die eben erst
das Arkadien der Natur verlassen, eben erst den ernsten Schauplatz der Geschichte
betreten hat. Er überträgt das Idyll der Natur aus die geschichtliche Welt;
aber diese Naturform paßt nicht auf die Geschichte; weder ist das Ziel der
Geschichte die bloße Weltbeglückung, noch weniger läßt sich dieses Ziel, wenn
es überhaupt möglich wäre oder auch nur wünschenswerth, plötzlich erreichen
und wie mit einem Schlage. In diesem Sinn beurtheilt, ist das geschichtliche
Ideal Posas wirklich eine '„sonderbare Schwärmerei". Gesetzt aber auch,
ein Weltplan, wie er ihn im Sinn hat, wäre möglich, so wäre er nicht
der Mann ihn auszuführen, denn die Ausführung hinge davon ab, daß die
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