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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Autoren, die weder sie noch diese verstanden. Die Gelehrsamkeit wurde ein
Wortprunk, Das Anstaune" des Aristoteles war ein Joch mehr für den durch
'Mißverstand der Bibel gebeugten Geist, -- Kühner Glaube gründete das Reich
der Araber; väterliche Herrschaft war seine Form; sein und des Poets Cha¬
rakter machte es glücklich und groß, Soll ich die einfachen Sitten Karls-des
Großen und die Pracht des Fürsten von tausend und einer Nacht, die Festig¬
keit der fränkischen Krieger und das Feuer der Araber, unser langsames Her¬
vorschreiten aus der Barbarei, und die plötzliche Erscheinung eines Glaubens,
eines Weltreichs, einer neuen Cultur bei den Arabern vergleichen! Es wäre
die Parallele des Verstandes mit dem Gefühl und der Einbildung; und man
sähe hier den Schwung von Menschen, die eine Vorstellung über die schein¬
bare Grenze der Möglichkeit erhöhet, eben dieses Feuer sich nach und nach
mindern, von Zeit zu Zeit neu emportauchten, endlich in alte Trägheit ver¬
loren, dort langsamere Entwicklung der Pernunst, standhaft in ihrer Thätig¬
keit, hunderterlei Irrthümer und Leidenschaften versuche", sich nach und nach
stärken, zuletzt eine Licktniasse bilden, welche zugleich die Kraft großer Dinge
und kalte Berechnung des Thunlichen zuläßt. -- In der Darstellung des spä¬
tern Mittelalters schreibt Müller lange Stellen aus, die gegen die trockene
Kürze des Uebrigen wunderlich abstechen. Wie in den Reisen der Päpste hebt
er den günstigen Einfluß der Hierarchie aus den Fortgang der Cultur mit
bedeutenden Strichen hervor, und bewundert namentlich das Werk Gregor 7.,
in dem er freilich nach seiner Weise, wie bei Moses. Christus und Mnhomed
zu sehr den Plan, zu wenig den genialen Jnstinct hervortreten läßt. Die Cha¬
rakteristik der Weltlage am Schluß des Ul. Jahrhunderts ist wieder vortreff¬
lich. -- Die Morgenländer blieben sich gleich; man sah Dynastien sich so
schnell wie jene des Nebukadnezar oder Cnrus bilden, und ebenso leicht sich
schwache", auflösen, zerfallen. Mongolen überschwemmten, unwiderstehlich
wie zu Cyazares Zeiten, Süd- und Vorderasien; ebenso schnell verschwanden
sie. weil die Horde durch Verbreitung ihre Kraft verlor. In den Abend¬
ländern zeigte sich nach langen stürmischen Bewegungen des Nordens und nach
der vorübergehenden Macht, welche Karl dein Großen persönliche Eigenschaften
gegeben, wie nach und nach ein Volk die Gewalt des andern beschränkte und
sie einander nöthigten, durch Landbau und Handel zu suchen, was ihre Väter
dem Schwert schuldig waren. Hieraus entstand nicht allein Civilisation, son¬
dern auch bei den durch unsere Väter in Banden der Leibeigenschaft gehalte¬
nen Menschen Selbstgefühl und Muth für Freiheit; es erhoben sich einige zur
Betrachtung der Natur, Prüfung des Glaubens u"d Auseinandersetzung der
Menschenrechte. -- Vom Ost, wo man wärmer fühlt und die Einbildung sich
doller schwingt, waren alle Religionsformen gekommen; diese anschauliche",
sinnlichen Vorstellungen erhielte" im Abendland eine speculative Gestalt, Im


Autoren, die weder sie noch diese verstanden. Die Gelehrsamkeit wurde ein
Wortprunk, Das Anstaune» des Aristoteles war ein Joch mehr für den durch
'Mißverstand der Bibel gebeugten Geist, — Kühner Glaube gründete das Reich
der Araber; väterliche Herrschaft war seine Form; sein und des Poets Cha¬
rakter machte es glücklich und groß, Soll ich die einfachen Sitten Karls-des
Großen und die Pracht des Fürsten von tausend und einer Nacht, die Festig¬
keit der fränkischen Krieger und das Feuer der Araber, unser langsames Her¬
vorschreiten aus der Barbarei, und die plötzliche Erscheinung eines Glaubens,
eines Weltreichs, einer neuen Cultur bei den Arabern vergleichen! Es wäre
die Parallele des Verstandes mit dem Gefühl und der Einbildung; und man
sähe hier den Schwung von Menschen, die eine Vorstellung über die schein¬
bare Grenze der Möglichkeit erhöhet, eben dieses Feuer sich nach und nach
mindern, von Zeit zu Zeit neu emportauchten, endlich in alte Trägheit ver¬
loren, dort langsamere Entwicklung der Pernunst, standhaft in ihrer Thätig¬
keit, hunderterlei Irrthümer und Leidenschaften versuche», sich nach und nach
stärken, zuletzt eine Licktniasse bilden, welche zugleich die Kraft großer Dinge
und kalte Berechnung des Thunlichen zuläßt. — In der Darstellung des spä¬
tern Mittelalters schreibt Müller lange Stellen aus, die gegen die trockene
Kürze des Uebrigen wunderlich abstechen. Wie in den Reisen der Päpste hebt
er den günstigen Einfluß der Hierarchie aus den Fortgang der Cultur mit
bedeutenden Strichen hervor, und bewundert namentlich das Werk Gregor 7.,
in dem er freilich nach seiner Weise, wie bei Moses. Christus und Mnhomed
zu sehr den Plan, zu wenig den genialen Jnstinct hervortreten läßt. Die Cha¬
rakteristik der Weltlage am Schluß des Ul. Jahrhunderts ist wieder vortreff¬
lich. — Die Morgenländer blieben sich gleich; man sah Dynastien sich so
schnell wie jene des Nebukadnezar oder Cnrus bilden, und ebenso leicht sich
schwache», auflösen, zerfallen. Mongolen überschwemmten, unwiderstehlich
wie zu Cyazares Zeiten, Süd- und Vorderasien; ebenso schnell verschwanden
sie. weil die Horde durch Verbreitung ihre Kraft verlor. In den Abend¬
ländern zeigte sich nach langen stürmischen Bewegungen des Nordens und nach
der vorübergehenden Macht, welche Karl dein Großen persönliche Eigenschaften
gegeben, wie nach und nach ein Volk die Gewalt des andern beschränkte und
sie einander nöthigten, durch Landbau und Handel zu suchen, was ihre Väter
dem Schwert schuldig waren. Hieraus entstand nicht allein Civilisation, son¬
dern auch bei den durch unsere Väter in Banden der Leibeigenschaft gehalte¬
nen Menschen Selbstgefühl und Muth für Freiheit; es erhoben sich einige zur
Betrachtung der Natur, Prüfung des Glaubens u»d Auseinandersetzung der
Menschenrechte. — Vom Ost, wo man wärmer fühlt und die Einbildung sich
doller schwingt, waren alle Religionsformen gekommen; diese anschauliche»,
sinnlichen Vorstellungen erhielte» im Abendland eine speculative Gestalt, Im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/280>, abgerufen am 30.12.2024.