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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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empfehlen, dem conservativen Europa zu imponiren, und Frankreichs Freund¬
schaft den Regierungen als nützlich und unentbehrlich zu zeigen. So spielten
beide Parteien miteinander, aber unleugbar war bei diesem Spiel der
sterbende Bravo im Vortheil. Er schied von der Bühne mit einem dra¬
matischen Effect, der sich wirksam genug zeigte, um seine Gestalt für hundert¬
tausend arme Seelen mit einem Lichtschein zu umgeben; der Kaiser aber that
durch seine Publication des Briefes den ersten Schritt auf einer Bahn, deren
Ende mit jüher Steile in einen Abgrund führt. Jetzt gebraucht er die Ge¬
lüste der Italiener noch als ein harmloses Schreckbild sür das mißtrauische
Europa. Aber der Bries, durch dessen Abdruck der Moniteur seinem Kaiser
einen Mörder wie einen loyalen politischen Gegner gegenübergestellt hat. gleicht
dem Scheine, welchen einst Antonio dem Shylok ausstellte, aus dem schlechten
Scherz wurde bittrer Ernst. Auch der Kaiser möge sich hüten mit seinem
Scheine.

Wer heut über die Lage Italiens zu sprechen unternimmt, ist genöthigt,
dem Leser dadurch unbehaglich zu werden, daß er seinen Standpunkt zur
Frage auseinandersetzt. Auch die folgenden Zeilen suchen nur die Veistimmung
derer, welche Sardinien als den natürlichen Verbündeten Preußens betrachten,
welche den Italienern eine staatliche Concentration schon deshalb wünschen
müssen, weil wir Deutsche durch unsre eigenen Verhältnisse mit bittrem Leid
erfahren haben, wie viel Unglück, Demüthigung und Schande aus dem
Mangel an politischer Einheit entsteht, und welche eine Einheit Italiens
unter dem Banner Sardiniens hoffen, weil ihnen die bisherige Thätig¬
keit der italienischen Republikaner die Ueberzeugung gegeben hat, daß die
Moral, die Bildung und die Interessen der Italiener vorläufig noch eine
viel gesündere Entwicklung beim Königthum zu hoffen haben, als unter der
Despotie conspirirender Demokraten. Aber wie groß unsre Sympathien für
eine nationale Entfaltung italienischer Kraft auch sein mögen, sie sind
nicht ohne egoistische Hintergedanken. Wir dürfen keine gedeihliche Ent¬
wicklung italienischer Verhältnisse wünschen, welche die Verbesserung unsrer
eignen politischen Lage hindert. Es ist wahr, die deutsche und die italienische
Einheit haben denselben Gegner: die traditionelle Hauspolitik Oestreichs;
aber eben deshalb sind Verhältnisse denkbar, in denen uns Deutschen will¬
kommen sein muß, den einen Fuß unsres alten Vetters und Gegners auf dem
unsichern Sumpfgründ der italienischen Ebene zu sehen, wie den andern an
der gefahrvollen Küste des russischen Pontus.

Der Brief Orsinis vermag in Italien wieder eine der kleinen Bewegun¬
gen anzuschüren, welche dies unglückliche Land fast periodisch durchzucken, wie
die Erdbeben, und es wäre von der nächsten Zukunft wenig Andres zu be¬
sorgen, als eine neue Entfaltung östreichischer Truppenmacht, das Fallen


empfehlen, dem conservativen Europa zu imponiren, und Frankreichs Freund¬
schaft den Regierungen als nützlich und unentbehrlich zu zeigen. So spielten
beide Parteien miteinander, aber unleugbar war bei diesem Spiel der
sterbende Bravo im Vortheil. Er schied von der Bühne mit einem dra¬
matischen Effect, der sich wirksam genug zeigte, um seine Gestalt für hundert¬
tausend arme Seelen mit einem Lichtschein zu umgeben; der Kaiser aber that
durch seine Publication des Briefes den ersten Schritt auf einer Bahn, deren
Ende mit jüher Steile in einen Abgrund führt. Jetzt gebraucht er die Ge¬
lüste der Italiener noch als ein harmloses Schreckbild sür das mißtrauische
Europa. Aber der Bries, durch dessen Abdruck der Moniteur seinem Kaiser
einen Mörder wie einen loyalen politischen Gegner gegenübergestellt hat. gleicht
dem Scheine, welchen einst Antonio dem Shylok ausstellte, aus dem schlechten
Scherz wurde bittrer Ernst. Auch der Kaiser möge sich hüten mit seinem
Scheine.

Wer heut über die Lage Italiens zu sprechen unternimmt, ist genöthigt,
dem Leser dadurch unbehaglich zu werden, daß er seinen Standpunkt zur
Frage auseinandersetzt. Auch die folgenden Zeilen suchen nur die Veistimmung
derer, welche Sardinien als den natürlichen Verbündeten Preußens betrachten,
welche den Italienern eine staatliche Concentration schon deshalb wünschen
müssen, weil wir Deutsche durch unsre eigenen Verhältnisse mit bittrem Leid
erfahren haben, wie viel Unglück, Demüthigung und Schande aus dem
Mangel an politischer Einheit entsteht, und welche eine Einheit Italiens
unter dem Banner Sardiniens hoffen, weil ihnen die bisherige Thätig¬
keit der italienischen Republikaner die Ueberzeugung gegeben hat, daß die
Moral, die Bildung und die Interessen der Italiener vorläufig noch eine
viel gesündere Entwicklung beim Königthum zu hoffen haben, als unter der
Despotie conspirirender Demokraten. Aber wie groß unsre Sympathien für
eine nationale Entfaltung italienischer Kraft auch sein mögen, sie sind
nicht ohne egoistische Hintergedanken. Wir dürfen keine gedeihliche Ent¬
wicklung italienischer Verhältnisse wünschen, welche die Verbesserung unsrer
eignen politischen Lage hindert. Es ist wahr, die deutsche und die italienische
Einheit haben denselben Gegner: die traditionelle Hauspolitik Oestreichs;
aber eben deshalb sind Verhältnisse denkbar, in denen uns Deutschen will¬
kommen sein muß, den einen Fuß unsres alten Vetters und Gegners auf dem
unsichern Sumpfgründ der italienischen Ebene zu sehen, wie den andern an
der gefahrvollen Küste des russischen Pontus.

Der Brief Orsinis vermag in Italien wieder eine der kleinen Bewegun¬
gen anzuschüren, welche dies unglückliche Land fast periodisch durchzucken, wie
die Erdbeben, und es wäre von der nächsten Zukunft wenig Andres zu be¬
sorgen, als eine neue Entfaltung östreichischer Truppenmacht, das Fallen


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[0262] empfehlen, dem conservativen Europa zu imponiren, und Frankreichs Freund¬ schaft den Regierungen als nützlich und unentbehrlich zu zeigen. So spielten beide Parteien miteinander, aber unleugbar war bei diesem Spiel der sterbende Bravo im Vortheil. Er schied von der Bühne mit einem dra¬ matischen Effect, der sich wirksam genug zeigte, um seine Gestalt für hundert¬ tausend arme Seelen mit einem Lichtschein zu umgeben; der Kaiser aber that durch seine Publication des Briefes den ersten Schritt auf einer Bahn, deren Ende mit jüher Steile in einen Abgrund führt. Jetzt gebraucht er die Ge¬ lüste der Italiener noch als ein harmloses Schreckbild sür das mißtrauische Europa. Aber der Bries, durch dessen Abdruck der Moniteur seinem Kaiser einen Mörder wie einen loyalen politischen Gegner gegenübergestellt hat. gleicht dem Scheine, welchen einst Antonio dem Shylok ausstellte, aus dem schlechten Scherz wurde bittrer Ernst. Auch der Kaiser möge sich hüten mit seinem Scheine. Wer heut über die Lage Italiens zu sprechen unternimmt, ist genöthigt, dem Leser dadurch unbehaglich zu werden, daß er seinen Standpunkt zur Frage auseinandersetzt. Auch die folgenden Zeilen suchen nur die Veistimmung derer, welche Sardinien als den natürlichen Verbündeten Preußens betrachten, welche den Italienern eine staatliche Concentration schon deshalb wünschen müssen, weil wir Deutsche durch unsre eigenen Verhältnisse mit bittrem Leid erfahren haben, wie viel Unglück, Demüthigung und Schande aus dem Mangel an politischer Einheit entsteht, und welche eine Einheit Italiens unter dem Banner Sardiniens hoffen, weil ihnen die bisherige Thätig¬ keit der italienischen Republikaner die Ueberzeugung gegeben hat, daß die Moral, die Bildung und die Interessen der Italiener vorläufig noch eine viel gesündere Entwicklung beim Königthum zu hoffen haben, als unter der Despotie conspirirender Demokraten. Aber wie groß unsre Sympathien für eine nationale Entfaltung italienischer Kraft auch sein mögen, sie sind nicht ohne egoistische Hintergedanken. Wir dürfen keine gedeihliche Ent¬ wicklung italienischer Verhältnisse wünschen, welche die Verbesserung unsrer eignen politischen Lage hindert. Es ist wahr, die deutsche und die italienische Einheit haben denselben Gegner: die traditionelle Hauspolitik Oestreichs; aber eben deshalb sind Verhältnisse denkbar, in denen uns Deutschen will¬ kommen sein muß, den einen Fuß unsres alten Vetters und Gegners auf dem unsichern Sumpfgründ der italienischen Ebene zu sehen, wie den andern an der gefahrvollen Küste des russischen Pontus. Der Brief Orsinis vermag in Italien wieder eine der kleinen Bewegun¬ gen anzuschüren, welche dies unglückliche Land fast periodisch durchzucken, wie die Erdbeben, und es wäre von der nächsten Zukunft wenig Andres zu be¬ sorgen, als eine neue Entfaltung östreichischer Truppenmacht, das Fallen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/262>, abgerufen am 30.12.2024.