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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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sich um so ärger aufputzen.,um so heftiger gestikuliren und coauettireu, je
häßlicher sie werden.

Je höher nun die vorhergehende Kunstperiode gestiegen war, um so tieser
ist gewöhnlich ihr Fall. Darum hat der der Michel Angeloschen und Naphael-
schen Schulen schier drei Jahrhunderte gedauert^, und die Earraccisten. die eigent¬
lichen Akademiker in dieser Zeit haben ihn nicht aufzuhalten vermocht, da sie
"ur doctrinäre Reflexionsmaler waren, und die katholisch religiöse Reaction,
die sie trug, ebenfalls eine nicht aus dem echten religiösen Gefühl hervorgegangene
war, wie dies auch in der modernen Reaction der Fall ist. Es ist aber be¬
kanntlich ein großer Unterschied, ob man fromm ist aus innerem Drang in
echter Demuth, oder "ur aus Reflexion, weil man sieht, daß sonst die
Welt zusammenfällt. So ward der Sturz so riesig und dör Zopf so arg,
daß man über ihm den aller vorhergegangenen Perioden eine Zeitlang
vergaß. Nur der gesunde Realismus der venetianischen Schule, so wie der
Niederländer vermochte über ein Jahrhundert lang seiner Wirkung zu wider¬
stehn, d. h. genau so lange, als sie ihrem eignen Princip nicht untreu
wurden.

Jede Kunstperiode fängt also durch eine realistische Belebung und eine
Wegwerfung des Idealismus der vorhergehenden an, die sie durch Schilderung
des eignen Glaubens, der eignen Interessen ersetzt, dann verliert sie denselben
und hält ihn nur durch Reflexion fest, sie wird akademisch und hört idealistisch
d. h. zopfig, wenn man lieber will im Manierismus, auf, ihr bleibt "ur
noch die todte Form, die Larve und Fratze eines früheren Glaubens. für den
sie alles innere Verständniß verloren, wie wir gezeigt haben.

Es ist nur noch übrig, die Nutzanwendung auf unsere gegenwärtige Zeit
zu machen.

Was an einem langen Zopf zunächst ins Auge fällt, ist sein reflectirtes
künstliches Wesen, die Berleuguung der eigentlichen Natur. Alle Historienbilder
des Barotstils sind steife Staatsactionen, sogenannte offizielle Bilder. Man
schildert eine historische Begebenheit nicht etwa wie sie ihre", innern Kern nach
gewesen sein könnte, sondern als lMIc ^onvouuc;, wie sie in der Hofzeitung
stand. Da man sich des herrschenden Idealismus halber abgewöhnt hat,
in der Natur zu beobachte", wie sich die Menschen bewegen und haben, man
also keine neuen und wahr empfundenen unmittelbaren Figuren, sondern nur
noch repräsentirende gebe" kann, so ist der Rückschritt zu den symbolischen ganz
leicht, daher die Borliebe für das kindische Spiel mit Allegorien, die Flut von
sumbolisirende" Figuren, die eine aussehen wie die andere. Die religiösen
Vorstellungen haben denselben repräsentativen Charakter, es. wird immer nur
Comödie gespielt, und jeder Acteur sagt: "was ist mir Hekuba!" Da mich die
ganze Geschichte doch eigentlich nichrs angeht, so will ich weuigsteiis möglichst


sich um so ärger aufputzen.,um so heftiger gestikuliren und coauettireu, je
häßlicher sie werden.

Je höher nun die vorhergehende Kunstperiode gestiegen war, um so tieser
ist gewöhnlich ihr Fall. Darum hat der der Michel Angeloschen und Naphael-
schen Schulen schier drei Jahrhunderte gedauert^, und die Earraccisten. die eigent¬
lichen Akademiker in dieser Zeit haben ihn nicht aufzuhalten vermocht, da sie
»ur doctrinäre Reflexionsmaler waren, und die katholisch religiöse Reaction,
die sie trug, ebenfalls eine nicht aus dem echten religiösen Gefühl hervorgegangene
war, wie dies auch in der modernen Reaction der Fall ist. Es ist aber be¬
kanntlich ein großer Unterschied, ob man fromm ist aus innerem Drang in
echter Demuth, oder »ur aus Reflexion, weil man sieht, daß sonst die
Welt zusammenfällt. So ward der Sturz so riesig und dör Zopf so arg,
daß man über ihm den aller vorhergegangenen Perioden eine Zeitlang
vergaß. Nur der gesunde Realismus der venetianischen Schule, so wie der
Niederländer vermochte über ein Jahrhundert lang seiner Wirkung zu wider¬
stehn, d. h. genau so lange, als sie ihrem eignen Princip nicht untreu
wurden.

Jede Kunstperiode fängt also durch eine realistische Belebung und eine
Wegwerfung des Idealismus der vorhergehenden an, die sie durch Schilderung
des eignen Glaubens, der eignen Interessen ersetzt, dann verliert sie denselben
und hält ihn nur durch Reflexion fest, sie wird akademisch und hört idealistisch
d. h. zopfig, wenn man lieber will im Manierismus, auf, ihr bleibt »ur
noch die todte Form, die Larve und Fratze eines früheren Glaubens. für den
sie alles innere Verständniß verloren, wie wir gezeigt haben.

Es ist nur noch übrig, die Nutzanwendung auf unsere gegenwärtige Zeit
zu machen.

Was an einem langen Zopf zunächst ins Auge fällt, ist sein reflectirtes
künstliches Wesen, die Berleuguung der eigentlichen Natur. Alle Historienbilder
des Barotstils sind steife Staatsactionen, sogenannte offizielle Bilder. Man
schildert eine historische Begebenheit nicht etwa wie sie ihre», innern Kern nach
gewesen sein könnte, sondern als lMIc ^onvouuc;, wie sie in der Hofzeitung
stand. Da man sich des herrschenden Idealismus halber abgewöhnt hat,
in der Natur zu beobachte», wie sich die Menschen bewegen und haben, man
also keine neuen und wahr empfundenen unmittelbaren Figuren, sondern nur
noch repräsentirende gebe» kann, so ist der Rückschritt zu den symbolischen ganz
leicht, daher die Borliebe für das kindische Spiel mit Allegorien, die Flut von
sumbolisirende» Figuren, die eine aussehen wie die andere. Die religiösen
Vorstellungen haben denselben repräsentativen Charakter, es. wird immer nur
Comödie gespielt, und jeder Acteur sagt: „was ist mir Hekuba!" Da mich die
ganze Geschichte doch eigentlich nichrs angeht, so will ich weuigsteiis möglichst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/26>, abgerufen am 21.12.2024.