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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Pause wieder das Gerüste in der Kirche Se, Germain des Pr6s aufschlug, um
seine Wandmalereien fortzusetzen. Wir sprechen unsere innerste, durch die viel¬
seitigsten Anschauungen nur noch befestigte Ueberzeugung aus, daß unter
allen Zeitgenossen Flandrin in diesem Kunstkreise das Trefflichste geleistet.
Wie Overbek in seinen besten Zeiten, hat es Flandrin verstanden, sich
in den Geist und die Ausdrucksweise der naiven Vergangenheit zu ver¬
senken, alles kühl Reflectirte und Moderne von der Composition zu entfernen.
Er überragt aber den deutschen Meister in technischer Beziehung, er fürchtet
sich nicht wie dieser vor der schönen Natur, er sieht nicht an allen kräftigen
oder reizenden Formen des leiblichen Daseins den Kainsstempel, er halt nicht
den religiösen Ausdruck mit schwächlicher Passivität für gleichbedeutend. Vor
allem aber zeichnet ihn das richtige Verständniß der Beziehungen aus, welche
zwischen den Wandgemälden und der Architektur walten. Seine Bilder über¬
heben sich nicht, drücken nicht die Architektur herab, geben sich nicht den Schein,
als wären sie die Hauptsache, und die architektonische Umgebung nur ihnen
zu Liebe vorhanden. Sie sind als einfacher Wandschmuck gedacht, unter¬
ordnen sich mit richtigem Mnßgcsühle der Architektur und beleben und er¬
höhen eben dadurch die religiöse Stimmung in hohem Grade. Allerdings thut
es aber auch Noth, sich an Flandrins Werken zu erholen und in Angesicht
derselben den Glauben an die Fortdauer ernster, solider Kunst aufzufrischen.
Denn was man sonst in pariser Kirchen unter dem Namen religiöser Wand¬
malerei zu sehen bekommt, reizt großentheils auch den geduldigsten Sinn.
Obenan unter diesen Kunstverderbcrn ist Couture zu nennen, dessen Talent zu
den größten Erwartungen berechtigte und der nach zwei oder drei glücklichen
Wurfen auf der Höhe der unerträglichsten Manier angekommen ist. Ein
Schicksal dem leider heutzutage gar viele Talente verfallen. Couture, auch
darin nicht ohne zahlreiche Genossen, sucht sich durch Hofgunst für den Tadel
der Kunstfreunde schadlos zu halten und hat an officieller Geltung gewonnen,
was er an künstlerischer Bedeutung verloren.

Der gegenwärtigen Regierung gelingt es auf dem Gebiete der Kunst so
wenig, wie auf jenem der Wissenschaft, die bedeutenderen Kräfte an sich zu
ziehen. Sie muß sich mit Mittelmäßigem begnügen und die Verherrlichung ihrer
Thaten, die sie doch verherrlicht sehen will, wahrhaften Pinseln übertragen.
Ob sie auch in diesem Fall die Entschuldigung für sich hat, daß eben die
tüchtigen Männer eigensinnig grollen und sich zurückziehen, können wir nicht
angeben, ebenso wenig, ob politische Mißliebigkeit es verschuldete, daß eine
der edelsten Künstlernaturen Frankreichs in unwürdiger Weise zu Grunde ging.
Descamps ist krank, ist sür die Kunst wahrscheinlich verloren. Die besten
Jahre und Kräfte opferte er, um Affen und Türkenbuben zu malen. Das
Publicum wollte es so. Nur wenige flüchtige Augenblicke waren ihm ver-


Pause wieder das Gerüste in der Kirche Se, Germain des Pr6s aufschlug, um
seine Wandmalereien fortzusetzen. Wir sprechen unsere innerste, durch die viel¬
seitigsten Anschauungen nur noch befestigte Ueberzeugung aus, daß unter
allen Zeitgenossen Flandrin in diesem Kunstkreise das Trefflichste geleistet.
Wie Overbek in seinen besten Zeiten, hat es Flandrin verstanden, sich
in den Geist und die Ausdrucksweise der naiven Vergangenheit zu ver¬
senken, alles kühl Reflectirte und Moderne von der Composition zu entfernen.
Er überragt aber den deutschen Meister in technischer Beziehung, er fürchtet
sich nicht wie dieser vor der schönen Natur, er sieht nicht an allen kräftigen
oder reizenden Formen des leiblichen Daseins den Kainsstempel, er halt nicht
den religiösen Ausdruck mit schwächlicher Passivität für gleichbedeutend. Vor
allem aber zeichnet ihn das richtige Verständniß der Beziehungen aus, welche
zwischen den Wandgemälden und der Architektur walten. Seine Bilder über¬
heben sich nicht, drücken nicht die Architektur herab, geben sich nicht den Schein,
als wären sie die Hauptsache, und die architektonische Umgebung nur ihnen
zu Liebe vorhanden. Sie sind als einfacher Wandschmuck gedacht, unter¬
ordnen sich mit richtigem Mnßgcsühle der Architektur und beleben und er¬
höhen eben dadurch die religiöse Stimmung in hohem Grade. Allerdings thut
es aber auch Noth, sich an Flandrins Werken zu erholen und in Angesicht
derselben den Glauben an die Fortdauer ernster, solider Kunst aufzufrischen.
Denn was man sonst in pariser Kirchen unter dem Namen religiöser Wand¬
malerei zu sehen bekommt, reizt großentheils auch den geduldigsten Sinn.
Obenan unter diesen Kunstverderbcrn ist Couture zu nennen, dessen Talent zu
den größten Erwartungen berechtigte und der nach zwei oder drei glücklichen
Wurfen auf der Höhe der unerträglichsten Manier angekommen ist. Ein
Schicksal dem leider heutzutage gar viele Talente verfallen. Couture, auch
darin nicht ohne zahlreiche Genossen, sucht sich durch Hofgunst für den Tadel
der Kunstfreunde schadlos zu halten und hat an officieller Geltung gewonnen,
was er an künstlerischer Bedeutung verloren.

Der gegenwärtigen Regierung gelingt es auf dem Gebiete der Kunst so
wenig, wie auf jenem der Wissenschaft, die bedeutenderen Kräfte an sich zu
ziehen. Sie muß sich mit Mittelmäßigem begnügen und die Verherrlichung ihrer
Thaten, die sie doch verherrlicht sehen will, wahrhaften Pinseln übertragen.
Ob sie auch in diesem Fall die Entschuldigung für sich hat, daß eben die
tüchtigen Männer eigensinnig grollen und sich zurückziehen, können wir nicht
angeben, ebenso wenig, ob politische Mißliebigkeit es verschuldete, daß eine
der edelsten Künstlernaturen Frankreichs in unwürdiger Weise zu Grunde ging.
Descamps ist krank, ist sür die Kunst wahrscheinlich verloren. Die besten
Jahre und Kräfte opferte er, um Affen und Türkenbuben zu malen. Das
Publicum wollte es so. Nur wenige flüchtige Augenblicke waren ihm ver-


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[0253] Pause wieder das Gerüste in der Kirche Se, Germain des Pr6s aufschlug, um seine Wandmalereien fortzusetzen. Wir sprechen unsere innerste, durch die viel¬ seitigsten Anschauungen nur noch befestigte Ueberzeugung aus, daß unter allen Zeitgenossen Flandrin in diesem Kunstkreise das Trefflichste geleistet. Wie Overbek in seinen besten Zeiten, hat es Flandrin verstanden, sich in den Geist und die Ausdrucksweise der naiven Vergangenheit zu ver¬ senken, alles kühl Reflectirte und Moderne von der Composition zu entfernen. Er überragt aber den deutschen Meister in technischer Beziehung, er fürchtet sich nicht wie dieser vor der schönen Natur, er sieht nicht an allen kräftigen oder reizenden Formen des leiblichen Daseins den Kainsstempel, er halt nicht den religiösen Ausdruck mit schwächlicher Passivität für gleichbedeutend. Vor allem aber zeichnet ihn das richtige Verständniß der Beziehungen aus, welche zwischen den Wandgemälden und der Architektur walten. Seine Bilder über¬ heben sich nicht, drücken nicht die Architektur herab, geben sich nicht den Schein, als wären sie die Hauptsache, und die architektonische Umgebung nur ihnen zu Liebe vorhanden. Sie sind als einfacher Wandschmuck gedacht, unter¬ ordnen sich mit richtigem Mnßgcsühle der Architektur und beleben und er¬ höhen eben dadurch die religiöse Stimmung in hohem Grade. Allerdings thut es aber auch Noth, sich an Flandrins Werken zu erholen und in Angesicht derselben den Glauben an die Fortdauer ernster, solider Kunst aufzufrischen. Denn was man sonst in pariser Kirchen unter dem Namen religiöser Wand¬ malerei zu sehen bekommt, reizt großentheils auch den geduldigsten Sinn. Obenan unter diesen Kunstverderbcrn ist Couture zu nennen, dessen Talent zu den größten Erwartungen berechtigte und der nach zwei oder drei glücklichen Wurfen auf der Höhe der unerträglichsten Manier angekommen ist. Ein Schicksal dem leider heutzutage gar viele Talente verfallen. Couture, auch darin nicht ohne zahlreiche Genossen, sucht sich durch Hofgunst für den Tadel der Kunstfreunde schadlos zu halten und hat an officieller Geltung gewonnen, was er an künstlerischer Bedeutung verloren. Der gegenwärtigen Regierung gelingt es auf dem Gebiete der Kunst so wenig, wie auf jenem der Wissenschaft, die bedeutenderen Kräfte an sich zu ziehen. Sie muß sich mit Mittelmäßigem begnügen und die Verherrlichung ihrer Thaten, die sie doch verherrlicht sehen will, wahrhaften Pinseln übertragen. Ob sie auch in diesem Fall die Entschuldigung für sich hat, daß eben die tüchtigen Männer eigensinnig grollen und sich zurückziehen, können wir nicht angeben, ebenso wenig, ob politische Mißliebigkeit es verschuldete, daß eine der edelsten Künstlernaturen Frankreichs in unwürdiger Weise zu Grunde ging. Descamps ist krank, ist sür die Kunst wahrscheinlich verloren. Die besten Jahre und Kräfte opferte er, um Affen und Türkenbuben zu malen. Das Publicum wollte es so. Nur wenige flüchtige Augenblicke waren ihm ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/253>, abgerufen am 21.12.2024.