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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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historischen Ereigniß Theil zu nehmen, und dadurch für seine historischen Studien
neue Anschauungen zu gewinnen," In derselben Zeit wurde von ihm ein Urtheil
über den verstorbenen Kaiser veröffentlicht, den er so lange bekämpft. "Er war nicht
von dem gewöhnlichen Schlag der Regenten. Er suchte das Gute, Unzählige
Ketten von Widerständen stellten ihm die Natur des Guten in dem Spiegel
des Widerspruchs dar; daher so viele Fehltritte bei der Auswahl der Mittel,
daher so viele Netractationen. Hilflos im ewigen Kampfe von Schwierigkeiten,
gewohnte er sich an einen eignen Gang; in der Folge glaubte er, es sei Re-
gentenpflicht. alles durch sich selbst zu thun. Unrücksichtliche Unbiegsamkeit
hielt er für Gerechtigkeit; Mißbräuche abstellen für Regcntengüte; um den
Namen des Großen zu verdienen für das untrüglichste Mittel. Friedrich dem
Großen nachzuahmen." Viel bitterer in einem Privatbrief an seinen Bruder.
"Das Wert Josephs wird allenthalben vernichtet; er hat nichts gethan, weil
er zu viel und auf einmal alles thun wollte. Weil er sah, daß alle Barba¬
ren Rußlands einerlei Gesetz gehorchten, schien es ihm auch thunlich, an der
Maas, am Pruth und am Ticino die gleichen zu geben. Er war auch äußerst
schlecht bedient, weil niemand vorbereitet war. Hiernächst erdrückte er alles
durch die Kraft, durch deren augenblickliche Anspannung er durchzubrechen
hoffte. Er hatte ein Gemisch altjesuitischer, voltairischer, preußischer, physio-
kratischer und wienerisch-akademischer Grundsätze, und keine Kenntniß des
Menschen, weil ihm die Geduld fehlte Beobachter zu sein. Gott gebe dem
neuen König, die Ordnung herzustellen. Denn obschon viele fürchten, hierdurch
würde Oestreich zu mächtig, nichts desto weniger wünsche Ich jedem Staat
möglichst hohen Flor und gutes Glück. Wider deu Mißbrauch wird Gott
wissen Mittel herbeizuführen." -- Durch den Tod des Kaisers war Müllers
Stellung zu Oestreich wesentlich verändert. Was ihn unter Joseph zum Feinde
dieses Staats gemacht, die Vertheidigung der Geistlichkeit und das conserva-
tive Princip überhaupt, empfahl ihn der neuen Negierung als Bundesgenossen.
Sein Ruhm hatte jetzt seine Höhe erreicht und er erschien als .eine wünschens-
werthe Acquisition. Schon im December 17!>et wurde mit ihm unterhandelt,
nach Wien zu ziehn, wo er mit dem Titel eines kaiserlichen Raths eine an-
selmliche Pension beziehn und so lange ohne öffentliche Geschäfte bleiben sollte,
bis sich ein literarischer Platz für ihn finden sollte. Der kaiserliche Abgeord¬
nete verwunderte sich über nichts so sehr, als daß man Müller mit Finanz-
sacheu und Aehnlichem plage, worüber seine Zeit und Geisteskraft unnütz ver¬
schwendet werde. Müller sing sofort Feuer, ergriff eine beliebige Gelegenheit,
um gegen den Kurfürsten seine Unzufriedenheit auszusprechen und bot. als
dieser sich ungnädig äußerte, sofort seine Entlassung. Indeß wünschte man
von Wien aus, daß Müller nicht ohne Einwilligung des Kurfürsten seinen


historischen Ereigniß Theil zu nehmen, und dadurch für seine historischen Studien
neue Anschauungen zu gewinnen," In derselben Zeit wurde von ihm ein Urtheil
über den verstorbenen Kaiser veröffentlicht, den er so lange bekämpft. „Er war nicht
von dem gewöhnlichen Schlag der Regenten. Er suchte das Gute, Unzählige
Ketten von Widerständen stellten ihm die Natur des Guten in dem Spiegel
des Widerspruchs dar; daher so viele Fehltritte bei der Auswahl der Mittel,
daher so viele Netractationen. Hilflos im ewigen Kampfe von Schwierigkeiten,
gewohnte er sich an einen eignen Gang; in der Folge glaubte er, es sei Re-
gentenpflicht. alles durch sich selbst zu thun. Unrücksichtliche Unbiegsamkeit
hielt er für Gerechtigkeit; Mißbräuche abstellen für Regcntengüte; um den
Namen des Großen zu verdienen für das untrüglichste Mittel. Friedrich dem
Großen nachzuahmen." Viel bitterer in einem Privatbrief an seinen Bruder.
„Das Wert Josephs wird allenthalben vernichtet; er hat nichts gethan, weil
er zu viel und auf einmal alles thun wollte. Weil er sah, daß alle Barba¬
ren Rußlands einerlei Gesetz gehorchten, schien es ihm auch thunlich, an der
Maas, am Pruth und am Ticino die gleichen zu geben. Er war auch äußerst
schlecht bedient, weil niemand vorbereitet war. Hiernächst erdrückte er alles
durch die Kraft, durch deren augenblickliche Anspannung er durchzubrechen
hoffte. Er hatte ein Gemisch altjesuitischer, voltairischer, preußischer, physio-
kratischer und wienerisch-akademischer Grundsätze, und keine Kenntniß des
Menschen, weil ihm die Geduld fehlte Beobachter zu sein. Gott gebe dem
neuen König, die Ordnung herzustellen. Denn obschon viele fürchten, hierdurch
würde Oestreich zu mächtig, nichts desto weniger wünsche Ich jedem Staat
möglichst hohen Flor und gutes Glück. Wider deu Mißbrauch wird Gott
wissen Mittel herbeizuführen." — Durch den Tod des Kaisers war Müllers
Stellung zu Oestreich wesentlich verändert. Was ihn unter Joseph zum Feinde
dieses Staats gemacht, die Vertheidigung der Geistlichkeit und das conserva-
tive Princip überhaupt, empfahl ihn der neuen Negierung als Bundesgenossen.
Sein Ruhm hatte jetzt seine Höhe erreicht und er erschien als .eine wünschens-
werthe Acquisition. Schon im December 17!>et wurde mit ihm unterhandelt,
nach Wien zu ziehn, wo er mit dem Titel eines kaiserlichen Raths eine an-
selmliche Pension beziehn und so lange ohne öffentliche Geschäfte bleiben sollte,
bis sich ein literarischer Platz für ihn finden sollte. Der kaiserliche Abgeord¬
nete verwunderte sich über nichts so sehr, als daß man Müller mit Finanz-
sacheu und Aehnlichem plage, worüber seine Zeit und Geisteskraft unnütz ver¬
schwendet werde. Müller sing sofort Feuer, ergriff eine beliebige Gelegenheit,
um gegen den Kurfürsten seine Unzufriedenheit auszusprechen und bot. als
dieser sich ungnädig äußerte, sofort seine Entlassung. Indeß wünschte man
von Wien aus, daß Müller nicht ohne Einwilligung des Kurfürsten seinen


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[0242] historischen Ereigniß Theil zu nehmen, und dadurch für seine historischen Studien neue Anschauungen zu gewinnen," In derselben Zeit wurde von ihm ein Urtheil über den verstorbenen Kaiser veröffentlicht, den er so lange bekämpft. „Er war nicht von dem gewöhnlichen Schlag der Regenten. Er suchte das Gute, Unzählige Ketten von Widerständen stellten ihm die Natur des Guten in dem Spiegel des Widerspruchs dar; daher so viele Fehltritte bei der Auswahl der Mittel, daher so viele Netractationen. Hilflos im ewigen Kampfe von Schwierigkeiten, gewohnte er sich an einen eignen Gang; in der Folge glaubte er, es sei Re- gentenpflicht. alles durch sich selbst zu thun. Unrücksichtliche Unbiegsamkeit hielt er für Gerechtigkeit; Mißbräuche abstellen für Regcntengüte; um den Namen des Großen zu verdienen für das untrüglichste Mittel. Friedrich dem Großen nachzuahmen." Viel bitterer in einem Privatbrief an seinen Bruder. „Das Wert Josephs wird allenthalben vernichtet; er hat nichts gethan, weil er zu viel und auf einmal alles thun wollte. Weil er sah, daß alle Barba¬ ren Rußlands einerlei Gesetz gehorchten, schien es ihm auch thunlich, an der Maas, am Pruth und am Ticino die gleichen zu geben. Er war auch äußerst schlecht bedient, weil niemand vorbereitet war. Hiernächst erdrückte er alles durch die Kraft, durch deren augenblickliche Anspannung er durchzubrechen hoffte. Er hatte ein Gemisch altjesuitischer, voltairischer, preußischer, physio- kratischer und wienerisch-akademischer Grundsätze, und keine Kenntniß des Menschen, weil ihm die Geduld fehlte Beobachter zu sein. Gott gebe dem neuen König, die Ordnung herzustellen. Denn obschon viele fürchten, hierdurch würde Oestreich zu mächtig, nichts desto weniger wünsche Ich jedem Staat möglichst hohen Flor und gutes Glück. Wider deu Mißbrauch wird Gott wissen Mittel herbeizuführen." — Durch den Tod des Kaisers war Müllers Stellung zu Oestreich wesentlich verändert. Was ihn unter Joseph zum Feinde dieses Staats gemacht, die Vertheidigung der Geistlichkeit und das conserva- tive Princip überhaupt, empfahl ihn der neuen Negierung als Bundesgenossen. Sein Ruhm hatte jetzt seine Höhe erreicht und er erschien als .eine wünschens- werthe Acquisition. Schon im December 17!>et wurde mit ihm unterhandelt, nach Wien zu ziehn, wo er mit dem Titel eines kaiserlichen Raths eine an- selmliche Pension beziehn und so lange ohne öffentliche Geschäfte bleiben sollte, bis sich ein literarischer Platz für ihn finden sollte. Der kaiserliche Abgeord¬ nete verwunderte sich über nichts so sehr, als daß man Müller mit Finanz- sacheu und Aehnlichem plage, worüber seine Zeit und Geisteskraft unnütz ver¬ schwendet werde. Müller sing sofort Feuer, ergriff eine beliebige Gelegenheit, um gegen den Kurfürsten seine Unzufriedenheit auszusprechen und bot. als dieser sich ungnädig äußerte, sofort seine Entlassung. Indeß wünschte man von Wien aus, daß Müller nicht ohne Einwilligung des Kurfürsten seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/242>, abgerufen am 30.12.2024.