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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Benozzo. Gozzoli, Ghiberti, Donatello beginnt, die sich alle, so verschieden sie
auch unter sich sein mögen, von ihren Vorgängern durch eine viel größere
Naturwahrheit, sei es durch feinere Modclliruug der Formen, wie Masaccio, durch
unendlich wahren innigen Ausdruck des Gesichts wie Fiesole, oder durch naive
porträtartige Anmuth wie Lippi unterscheiden. Man weis!, wie später Ghir-
landajo bereits errungenen Besitz durch eine noch höhere individuelle Wahr¬
heit der Köpfe, Signorelli der Figuren, des Nackten der Bewegung seiner
Menschen, Perugino durch die Pracht der Farbe und die Innigkeit des Aus¬
drucks Schritt für Schritt vermehren, wie aber auch ihre unmittelbaren Schüler
allemal wieder zurückgehen, die Art des Meisters zur Manier machen, nur
ihn statt der Natur, also ein fertiges Ideal statt ihrer nachahmen und in diesem
Idealismus verkommen, bis das wieder erneute Streben nach größerer inne¬
rer und äußerer Wahrheit endlich seinen Gipfel in Leonardo, Raphael und
Michel Umgeld findet. Wenn jene vorerwähnten Schulen die Anschauungen
ihrer Zeit immer noch mit einer gewissen Schüchternheit wiedergeben, ihren
Menschen immer noch etwas Befangenes anklebt, so geben uns diese Grenz¬
säulen mittelalterlicher und moderner Kunst nicht nur die vollständigste An¬
schauung von dem ganzen religiösen, historischen und politischen Inhalt der
Zeit, sie geben ihren Gestalten auch zugleich die vollendetste Freiheit und
Naturwahrheit, bringen es dazu, nicht nur für niedere Organisationen, son¬
dern auch für die höchsten Ideale der Menschheit die entsprechenden Natur¬
formen zu finden, wie denn nie vorher etwas geleistet wurde, was dem
Christus des Leonardo, den Madonnen des Raphael, den Propheten, dem
Gott Bater des Michel Angelo an Erhabenheit nicht nur, sondern was hier
ganz gleich ist, an Naturwahrheit und Cxistenzfähigtett gleichkäme.

Dasselbe Entwicklungsgesetz wie in der italienischen finden wir in unsrer
nationalen Kunst bethätigt, wo erst die Ban Cues die Kunst des Colorits,
der pvrträtartigcn Bildung der Köpfe erobern, während die Bewegung. der
Ausdruck ihrer Menschen durchaus conventionell bleiben, bis ein Jahrhundert
später Dürer und Holbein auch hier eine große Revolution hervorrufen, in der
ersterer die Wahrheit der Bewegung der Gestalten, letzterer die der Köpfe aus
die höchste Spitze bringen und zwar und einer so schneidenden schonungsloser
realistischen Gesinnung, daß sie oft einen wahren Cultus mit der Häßlichkeit
treiben. Auch sie umfassen zugleich die ganze Anschauung ihrer Zeit und legen
dieselbe in ihren Werten nieder, freilich ohne es in irgend einem dieser Stücke
bis zu der Höhe der Italiener zu bringen, die auf den Schultern der antiken
Bildung standen.

Es würde den Raum dieser Blätter übersteigen, solche Hanptrevolutioncn
der Kunstgeschichte anders zu berühren, als um darzulhu". wie sie eben alle
realistischer Natur waren, es bleibt uns nun übrig, deu weitern Ver-


Benozzo. Gozzoli, Ghiberti, Donatello beginnt, die sich alle, so verschieden sie
auch unter sich sein mögen, von ihren Vorgängern durch eine viel größere
Naturwahrheit, sei es durch feinere Modclliruug der Formen, wie Masaccio, durch
unendlich wahren innigen Ausdruck des Gesichts wie Fiesole, oder durch naive
porträtartige Anmuth wie Lippi unterscheiden. Man weis!, wie später Ghir-
landajo bereits errungenen Besitz durch eine noch höhere individuelle Wahr¬
heit der Köpfe, Signorelli der Figuren, des Nackten der Bewegung seiner
Menschen, Perugino durch die Pracht der Farbe und die Innigkeit des Aus¬
drucks Schritt für Schritt vermehren, wie aber auch ihre unmittelbaren Schüler
allemal wieder zurückgehen, die Art des Meisters zur Manier machen, nur
ihn statt der Natur, also ein fertiges Ideal statt ihrer nachahmen und in diesem
Idealismus verkommen, bis das wieder erneute Streben nach größerer inne¬
rer und äußerer Wahrheit endlich seinen Gipfel in Leonardo, Raphael und
Michel Umgeld findet. Wenn jene vorerwähnten Schulen die Anschauungen
ihrer Zeit immer noch mit einer gewissen Schüchternheit wiedergeben, ihren
Menschen immer noch etwas Befangenes anklebt, so geben uns diese Grenz¬
säulen mittelalterlicher und moderner Kunst nicht nur die vollständigste An¬
schauung von dem ganzen religiösen, historischen und politischen Inhalt der
Zeit, sie geben ihren Gestalten auch zugleich die vollendetste Freiheit und
Naturwahrheit, bringen es dazu, nicht nur für niedere Organisationen, son¬
dern auch für die höchsten Ideale der Menschheit die entsprechenden Natur¬
formen zu finden, wie denn nie vorher etwas geleistet wurde, was dem
Christus des Leonardo, den Madonnen des Raphael, den Propheten, dem
Gott Bater des Michel Angelo an Erhabenheit nicht nur, sondern was hier
ganz gleich ist, an Naturwahrheit und Cxistenzfähigtett gleichkäme.

Dasselbe Entwicklungsgesetz wie in der italienischen finden wir in unsrer
nationalen Kunst bethätigt, wo erst die Ban Cues die Kunst des Colorits,
der pvrträtartigcn Bildung der Köpfe erobern, während die Bewegung. der
Ausdruck ihrer Menschen durchaus conventionell bleiben, bis ein Jahrhundert
später Dürer und Holbein auch hier eine große Revolution hervorrufen, in der
ersterer die Wahrheit der Bewegung der Gestalten, letzterer die der Köpfe aus
die höchste Spitze bringen und zwar und einer so schneidenden schonungsloser
realistischen Gesinnung, daß sie oft einen wahren Cultus mit der Häßlichkeit
treiben. Auch sie umfassen zugleich die ganze Anschauung ihrer Zeit und legen
dieselbe in ihren Werten nieder, freilich ohne es in irgend einem dieser Stücke
bis zu der Höhe der Italiener zu bringen, die auf den Schultern der antiken
Bildung standen.

Es würde den Raum dieser Blätter übersteigen, solche Hanptrevolutioncn
der Kunstgeschichte anders zu berühren, als um darzulhu». wie sie eben alle
realistischer Natur waren, es bleibt uns nun übrig, deu weitern Ver-


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[0024] Benozzo. Gozzoli, Ghiberti, Donatello beginnt, die sich alle, so verschieden sie auch unter sich sein mögen, von ihren Vorgängern durch eine viel größere Naturwahrheit, sei es durch feinere Modclliruug der Formen, wie Masaccio, durch unendlich wahren innigen Ausdruck des Gesichts wie Fiesole, oder durch naive porträtartige Anmuth wie Lippi unterscheiden. Man weis!, wie später Ghir- landajo bereits errungenen Besitz durch eine noch höhere individuelle Wahr¬ heit der Köpfe, Signorelli der Figuren, des Nackten der Bewegung seiner Menschen, Perugino durch die Pracht der Farbe und die Innigkeit des Aus¬ drucks Schritt für Schritt vermehren, wie aber auch ihre unmittelbaren Schüler allemal wieder zurückgehen, die Art des Meisters zur Manier machen, nur ihn statt der Natur, also ein fertiges Ideal statt ihrer nachahmen und in diesem Idealismus verkommen, bis das wieder erneute Streben nach größerer inne¬ rer und äußerer Wahrheit endlich seinen Gipfel in Leonardo, Raphael und Michel Umgeld findet. Wenn jene vorerwähnten Schulen die Anschauungen ihrer Zeit immer noch mit einer gewissen Schüchternheit wiedergeben, ihren Menschen immer noch etwas Befangenes anklebt, so geben uns diese Grenz¬ säulen mittelalterlicher und moderner Kunst nicht nur die vollständigste An¬ schauung von dem ganzen religiösen, historischen und politischen Inhalt der Zeit, sie geben ihren Gestalten auch zugleich die vollendetste Freiheit und Naturwahrheit, bringen es dazu, nicht nur für niedere Organisationen, son¬ dern auch für die höchsten Ideale der Menschheit die entsprechenden Natur¬ formen zu finden, wie denn nie vorher etwas geleistet wurde, was dem Christus des Leonardo, den Madonnen des Raphael, den Propheten, dem Gott Bater des Michel Angelo an Erhabenheit nicht nur, sondern was hier ganz gleich ist, an Naturwahrheit und Cxistenzfähigtett gleichkäme. Dasselbe Entwicklungsgesetz wie in der italienischen finden wir in unsrer nationalen Kunst bethätigt, wo erst die Ban Cues die Kunst des Colorits, der pvrträtartigcn Bildung der Köpfe erobern, während die Bewegung. der Ausdruck ihrer Menschen durchaus conventionell bleiben, bis ein Jahrhundert später Dürer und Holbein auch hier eine große Revolution hervorrufen, in der ersterer die Wahrheit der Bewegung der Gestalten, letzterer die der Köpfe aus die höchste Spitze bringen und zwar und einer so schneidenden schonungsloser realistischen Gesinnung, daß sie oft einen wahren Cultus mit der Häßlichkeit treiben. Auch sie umfassen zugleich die ganze Anschauung ihrer Zeit und legen dieselbe in ihren Werten nieder, freilich ohne es in irgend einem dieser Stücke bis zu der Höhe der Italiener zu bringen, die auf den Schultern der antiken Bildung standen. Es würde den Raum dieser Blätter übersteigen, solche Hanptrevolutioncn der Kunstgeschichte anders zu berühren, als um darzulhu». wie sie eben alle realistischer Natur waren, es bleibt uns nun übrig, deu weitern Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/24>, abgerufen am 21.12.2024.