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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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die Empfänger derselben wendet, die durch ihre Stellung der Kenntnißnahme
zwar entrückt sind, was aber nur die Neugier anstachelt, den Schleier zu durch-
dringen, der ihr eigentliches Wesen den Blicken der Welt entzieht. Dem ent¬
sprechend wird denn jeder Zug, den man etwa erspähen konnte, eifrig weiter
verbreitet, natürlich auch ausgeschmückt und verändert. So cursiren be¬
sonders über die englische Prinzessin schon jetzt eine solche Menge kleiner Ge¬
schickten, Züge aus ihrem frühern und jetzigen Leben, daß ein speculativer
Kopf sie bereits gesammelt und herausgegeben hat. Wie viel nun davon
wahr, wie viel gradezu erfunden, ist unmöglich zu ermitteln, immerhin aber
ist etwas Charakteristisches selbst in der Art, nach der erfunden wird, und wenn
auch die Facta vielleicht nicht immer sich so verhalten, so pflegt doch das,
was sie beweisen sollen, nicht gar zu fern von der Wirklichkeit zu sein; einer
sehr stolzen Prinzessin z. B. würde man keine Züge von Leutseligkeit nach¬
erzählen. Das Uebereinstimmende dieser Geschichten nun besteht darin, daß
sie der jungen Fürstin einen streng einfachen Sinn, Abneigung gegen allen
Pomp und die überstrcnge Etikette, so wie eine feste Willenskraft zuschreiben.
Ihr Aeußeres bestätigt diese Annahmen. Ohne grade schön zu sein hat sie
jenen gesunden, angenehmen und frischen Ausdruck, der englischen Mädchen-
gesichtern, auch wenn sie nicht hübsch sind, so viel Reiz verleiht. Das Auge
blickt mit ruhigem Verstände drein, während der Mund, der beim Lachen die
herrlichen Zähne zeigt, den gesunden Frohsinn der Jugend verräth. Was
diese Eigenschaften auf dem Throne für Werth haben, ob sie sich bis dahin
so ungebrochen erhalten werden -- das muß die Zukunft lehren. Hoffnung
und Vertrauen werden dem jungen Paar in einer Ausdehnung und in einen
Maße entgegengetragen, wie sie wohl selten noch durch nichts geprüften
und bewährten Fürsten dargebracht wurden, und über dem Blick in die --
vielleicht noch sehr entfernte -- helle Zukunft vergißt man, daß die Gegen¬
wart umwölkter ist als je, und daß die provisorischen Zustände, die nun cver-
mals unabsehbar verlängert sind, Manches schlimm machen, was so ^icht
acht wieder gut zu machen sein wird!




die Empfänger derselben wendet, die durch ihre Stellung der Kenntnißnahme
zwar entrückt sind, was aber nur die Neugier anstachelt, den Schleier zu durch-
dringen, der ihr eigentliches Wesen den Blicken der Welt entzieht. Dem ent¬
sprechend wird denn jeder Zug, den man etwa erspähen konnte, eifrig weiter
verbreitet, natürlich auch ausgeschmückt und verändert. So cursiren be¬
sonders über die englische Prinzessin schon jetzt eine solche Menge kleiner Ge¬
schickten, Züge aus ihrem frühern und jetzigen Leben, daß ein speculativer
Kopf sie bereits gesammelt und herausgegeben hat. Wie viel nun davon
wahr, wie viel gradezu erfunden, ist unmöglich zu ermitteln, immerhin aber
ist etwas Charakteristisches selbst in der Art, nach der erfunden wird, und wenn
auch die Facta vielleicht nicht immer sich so verhalten, so pflegt doch das,
was sie beweisen sollen, nicht gar zu fern von der Wirklichkeit zu sein; einer
sehr stolzen Prinzessin z. B. würde man keine Züge von Leutseligkeit nach¬
erzählen. Das Uebereinstimmende dieser Geschichten nun besteht darin, daß
sie der jungen Fürstin einen streng einfachen Sinn, Abneigung gegen allen
Pomp und die überstrcnge Etikette, so wie eine feste Willenskraft zuschreiben.
Ihr Aeußeres bestätigt diese Annahmen. Ohne grade schön zu sein hat sie
jenen gesunden, angenehmen und frischen Ausdruck, der englischen Mädchen-
gesichtern, auch wenn sie nicht hübsch sind, so viel Reiz verleiht. Das Auge
blickt mit ruhigem Verstände drein, während der Mund, der beim Lachen die
herrlichen Zähne zeigt, den gesunden Frohsinn der Jugend verräth. Was
diese Eigenschaften auf dem Throne für Werth haben, ob sie sich bis dahin
so ungebrochen erhalten werden — das muß die Zukunft lehren. Hoffnung
und Vertrauen werden dem jungen Paar in einer Ausdehnung und in einen
Maße entgegengetragen, wie sie wohl selten noch durch nichts geprüften
und bewährten Fürsten dargebracht wurden, und über dem Blick in die —
vielleicht noch sehr entfernte — helle Zukunft vergißt man, daß die Gegen¬
wart umwölkter ist als je, und daß die provisorischen Zustände, die nun cver-
mals unabsehbar verlängert sind, Manches schlimm machen, was so ^icht
acht wieder gut zu machen sein wird!




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[0204] die Empfänger derselben wendet, die durch ihre Stellung der Kenntnißnahme zwar entrückt sind, was aber nur die Neugier anstachelt, den Schleier zu durch- dringen, der ihr eigentliches Wesen den Blicken der Welt entzieht. Dem ent¬ sprechend wird denn jeder Zug, den man etwa erspähen konnte, eifrig weiter verbreitet, natürlich auch ausgeschmückt und verändert. So cursiren be¬ sonders über die englische Prinzessin schon jetzt eine solche Menge kleiner Ge¬ schickten, Züge aus ihrem frühern und jetzigen Leben, daß ein speculativer Kopf sie bereits gesammelt und herausgegeben hat. Wie viel nun davon wahr, wie viel gradezu erfunden, ist unmöglich zu ermitteln, immerhin aber ist etwas Charakteristisches selbst in der Art, nach der erfunden wird, und wenn auch die Facta vielleicht nicht immer sich so verhalten, so pflegt doch das, was sie beweisen sollen, nicht gar zu fern von der Wirklichkeit zu sein; einer sehr stolzen Prinzessin z. B. würde man keine Züge von Leutseligkeit nach¬ erzählen. Das Uebereinstimmende dieser Geschichten nun besteht darin, daß sie der jungen Fürstin einen streng einfachen Sinn, Abneigung gegen allen Pomp und die überstrcnge Etikette, so wie eine feste Willenskraft zuschreiben. Ihr Aeußeres bestätigt diese Annahmen. Ohne grade schön zu sein hat sie jenen gesunden, angenehmen und frischen Ausdruck, der englischen Mädchen- gesichtern, auch wenn sie nicht hübsch sind, so viel Reiz verleiht. Das Auge blickt mit ruhigem Verstände drein, während der Mund, der beim Lachen die herrlichen Zähne zeigt, den gesunden Frohsinn der Jugend verräth. Was diese Eigenschaften auf dem Throne für Werth haben, ob sie sich bis dahin so ungebrochen erhalten werden — das muß die Zukunft lehren. Hoffnung und Vertrauen werden dem jungen Paar in einer Ausdehnung und in einen Maße entgegengetragen, wie sie wohl selten noch durch nichts geprüften und bewährten Fürsten dargebracht wurden, und über dem Blick in die — vielleicht noch sehr entfernte — helle Zukunft vergißt man, daß die Gegen¬ wart umwölkter ist als je, und daß die provisorischen Zustände, die nun cver- mals unabsehbar verlängert sind, Manches schlimm machen, was so ^icht acht wieder gut zu machen sein wird!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/204>, abgerufen am 21.12.2024.