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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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in ihre Kapellen und Kirchen, und rüsteten sich einstweilen mit der schweren
Artillerie ihrer Polemik, während zarte Seelen um ihrer eignen Seelen-
seligkeit willen es für nöthig hielten, dem Sabbath doch Zugeständnisse zu
machen und wenigstens die große Trommel, die doch sicher nicht erklungen
sein konnte, als David vor der Bundeslade tanzte, aus der Partitur zu streichen,
die das Programm, bestehend aus Verdi, Donizetti und Rossini vorsorglich mit
etwas Händelmusik zu versetzen, um gleichsam den Teufel mit dem heiligen
Ambra zu beräuchern und rein zu machen. Ein unverbesserlicher Mucker, wer
nach so sorglichen Castigntionen noch Anstöße findet! --

Was von der Frage selbst zu halten ist, darüber ist es kaum nöthig,
das Urtheil ausdrücklich niederzuschreiben. So wichtig sie als ein Symptom,
so unwichtig ist sie als Sache für sich. Die Eröffnung der Kunstsammlungen,
die Production von einem halben Dutzend Musikstücken zweiten und dritten
Ranges kann nicht die großen Wirkungen auf die Geschmacks- und sittliche
Bildung ausüben, die man sich vorspiegelt. Mag sich auch der Genius der
Kunst zuweilen auf die Stirn eines auserwählten Lieblings niederlassen,
und ihn mitten in der Formlosigkeit eines rohen Jahrhunderts mit den zar¬
testen, vollendetsten Schöpfungen erfüllen, deren der Mensch sähig ist, der
großen Menge geht die Schönheit nicht so von selbst auf. Das Schöne er¬
fordert vorausgehende Bildung des ganzen Menschen; ohne diese kann man es
nicht einmal genießen. Um das Schöne gar zu verstehen, ist aber eine so specielle
Bildung erforderlich, wie sie wenigen zugänglich. Dem Kinde genügen schreiende
Farben, phantastische Gruppen, abenteuerliche Situationen und Erfindungen. Um
also eine reelle, durchgreifende Wirkung aufs Volk durch jene Mittel zu erzielen,
müßte eine großartige Entwicklung der öffentlichen Erziehung vorausgehen.
Bevor dies nicht geschehen, kann in dem Bestreben der liberalen Partei nur
die wohlwollende Anerkennung eines edlen Princips gesehen werden.
Die denkenden Versechter der Sonntagsfreiheit, wenn sie es sich auch über
anderen, materiellen Geschäften nicht zur Klarheit gebracht haben, müssen
doch fühlen, daß der Dienst, den sie der Volksbildung bringen wollen, aus
ganz anderem Boden geschehen, daß das Ziel auf ganz anderem Wege er¬
reicht werden muß. So mag denn die ganze Bewegung als ein praktischer
Protest gegen die hergebrachte Exklusivität der höhern Bildung und Erziehung
angesehen werden. Dem Volke selbst wäre, wenn Sir Walmsleys Vorschlag
gesiegt hätte, weiter nichts geboten, als ein neuer Weg der Belustigung; und
es ist fraglich, ob es nicht Vergnügungen gäbe, deren gegenwärtig das Volk
immer noch bedürftiger und fähiger wäre, und ans denen es weit mehr gesunde
Anregungen empfangen würde. Zudem handelt es sich nur um die Bevöl¬
kerungen großer Städte; dem Kern der Nation, dem Landvolk, würde es ganz
gleich sein können, ob in den londoner Parks die Symphonien Beethovens.


in ihre Kapellen und Kirchen, und rüsteten sich einstweilen mit der schweren
Artillerie ihrer Polemik, während zarte Seelen um ihrer eignen Seelen-
seligkeit willen es für nöthig hielten, dem Sabbath doch Zugeständnisse zu
machen und wenigstens die große Trommel, die doch sicher nicht erklungen
sein konnte, als David vor der Bundeslade tanzte, aus der Partitur zu streichen,
die das Programm, bestehend aus Verdi, Donizetti und Rossini vorsorglich mit
etwas Händelmusik zu versetzen, um gleichsam den Teufel mit dem heiligen
Ambra zu beräuchern und rein zu machen. Ein unverbesserlicher Mucker, wer
nach so sorglichen Castigntionen noch Anstöße findet! —

Was von der Frage selbst zu halten ist, darüber ist es kaum nöthig,
das Urtheil ausdrücklich niederzuschreiben. So wichtig sie als ein Symptom,
so unwichtig ist sie als Sache für sich. Die Eröffnung der Kunstsammlungen,
die Production von einem halben Dutzend Musikstücken zweiten und dritten
Ranges kann nicht die großen Wirkungen auf die Geschmacks- und sittliche
Bildung ausüben, die man sich vorspiegelt. Mag sich auch der Genius der
Kunst zuweilen auf die Stirn eines auserwählten Lieblings niederlassen,
und ihn mitten in der Formlosigkeit eines rohen Jahrhunderts mit den zar¬
testen, vollendetsten Schöpfungen erfüllen, deren der Mensch sähig ist, der
großen Menge geht die Schönheit nicht so von selbst auf. Das Schöne er¬
fordert vorausgehende Bildung des ganzen Menschen; ohne diese kann man es
nicht einmal genießen. Um das Schöne gar zu verstehen, ist aber eine so specielle
Bildung erforderlich, wie sie wenigen zugänglich. Dem Kinde genügen schreiende
Farben, phantastische Gruppen, abenteuerliche Situationen und Erfindungen. Um
also eine reelle, durchgreifende Wirkung aufs Volk durch jene Mittel zu erzielen,
müßte eine großartige Entwicklung der öffentlichen Erziehung vorausgehen.
Bevor dies nicht geschehen, kann in dem Bestreben der liberalen Partei nur
die wohlwollende Anerkennung eines edlen Princips gesehen werden.
Die denkenden Versechter der Sonntagsfreiheit, wenn sie es sich auch über
anderen, materiellen Geschäften nicht zur Klarheit gebracht haben, müssen
doch fühlen, daß der Dienst, den sie der Volksbildung bringen wollen, aus
ganz anderem Boden geschehen, daß das Ziel auf ganz anderem Wege er¬
reicht werden muß. So mag denn die ganze Bewegung als ein praktischer
Protest gegen die hergebrachte Exklusivität der höhern Bildung und Erziehung
angesehen werden. Dem Volke selbst wäre, wenn Sir Walmsleys Vorschlag
gesiegt hätte, weiter nichts geboten, als ein neuer Weg der Belustigung; und
es ist fraglich, ob es nicht Vergnügungen gäbe, deren gegenwärtig das Volk
immer noch bedürftiger und fähiger wäre, und ans denen es weit mehr gesunde
Anregungen empfangen würde. Zudem handelt es sich nur um die Bevöl¬
kerungen großer Städte; dem Kern der Nation, dem Landvolk, würde es ganz
gleich sein können, ob in den londoner Parks die Symphonien Beethovens.


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[0188] in ihre Kapellen und Kirchen, und rüsteten sich einstweilen mit der schweren Artillerie ihrer Polemik, während zarte Seelen um ihrer eignen Seelen- seligkeit willen es für nöthig hielten, dem Sabbath doch Zugeständnisse zu machen und wenigstens die große Trommel, die doch sicher nicht erklungen sein konnte, als David vor der Bundeslade tanzte, aus der Partitur zu streichen, die das Programm, bestehend aus Verdi, Donizetti und Rossini vorsorglich mit etwas Händelmusik zu versetzen, um gleichsam den Teufel mit dem heiligen Ambra zu beräuchern und rein zu machen. Ein unverbesserlicher Mucker, wer nach so sorglichen Castigntionen noch Anstöße findet! — Was von der Frage selbst zu halten ist, darüber ist es kaum nöthig, das Urtheil ausdrücklich niederzuschreiben. So wichtig sie als ein Symptom, so unwichtig ist sie als Sache für sich. Die Eröffnung der Kunstsammlungen, die Production von einem halben Dutzend Musikstücken zweiten und dritten Ranges kann nicht die großen Wirkungen auf die Geschmacks- und sittliche Bildung ausüben, die man sich vorspiegelt. Mag sich auch der Genius der Kunst zuweilen auf die Stirn eines auserwählten Lieblings niederlassen, und ihn mitten in der Formlosigkeit eines rohen Jahrhunderts mit den zar¬ testen, vollendetsten Schöpfungen erfüllen, deren der Mensch sähig ist, der großen Menge geht die Schönheit nicht so von selbst auf. Das Schöne er¬ fordert vorausgehende Bildung des ganzen Menschen; ohne diese kann man es nicht einmal genießen. Um das Schöne gar zu verstehen, ist aber eine so specielle Bildung erforderlich, wie sie wenigen zugänglich. Dem Kinde genügen schreiende Farben, phantastische Gruppen, abenteuerliche Situationen und Erfindungen. Um also eine reelle, durchgreifende Wirkung aufs Volk durch jene Mittel zu erzielen, müßte eine großartige Entwicklung der öffentlichen Erziehung vorausgehen. Bevor dies nicht geschehen, kann in dem Bestreben der liberalen Partei nur die wohlwollende Anerkennung eines edlen Princips gesehen werden. Die denkenden Versechter der Sonntagsfreiheit, wenn sie es sich auch über anderen, materiellen Geschäften nicht zur Klarheit gebracht haben, müssen doch fühlen, daß der Dienst, den sie der Volksbildung bringen wollen, aus ganz anderem Boden geschehen, daß das Ziel auf ganz anderem Wege er¬ reicht werden muß. So mag denn die ganze Bewegung als ein praktischer Protest gegen die hergebrachte Exklusivität der höhern Bildung und Erziehung angesehen werden. Dem Volke selbst wäre, wenn Sir Walmsleys Vorschlag gesiegt hätte, weiter nichts geboten, als ein neuer Weg der Belustigung; und es ist fraglich, ob es nicht Vergnügungen gäbe, deren gegenwärtig das Volk immer noch bedürftiger und fähiger wäre, und ans denen es weit mehr gesunde Anregungen empfangen würde. Zudem handelt es sich nur um die Bevöl¬ kerungen großer Städte; dem Kern der Nation, dem Landvolk, würde es ganz gleich sein können, ob in den londoner Parks die Symphonien Beethovens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/188>, abgerufen am 21.12.2024.