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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Partei, von dem Augenblick an, wo das Parlament dieselbe in, Namen der
Masse verweigert hatte.

Eine starke Ermuthigung erhielt die Bewegung auf einige Zeit durch das
Benehmen des Ministeriums, das selbst Miene machte, als Vorfechter derselben
aufzutreten. Der Minister des königlichen Haushaltes, Sir Benjamin Hall,
verfügte mit Uebereinstimmung des Premier, daß die Musik der Gardcregimenter
künftig in den verschiedenen Parks, besonders den reizenden Kcnsingtongardens,
ausspielen solle. Der Zulauf war unermeßlich. Zweimalhunderttausend Personen
sollen an den beiden Sonntagen des 13. und 2". April die Thore des letzt¬
genannten Parks pnssirt haben -- ein schlagender numerischer Beweis gegen
die angebliche Prüderie des englischen Volkes. Allein die Freude war kurz.
Schon Ende April erschien eine Verordnung des Lord Palmerston, welche die
Maßregel, die er selbst angeordnet, zurücknahm. Es wäre kindisch, wegen
einer so unbedeutenden Sache dem Minister den Proceß machen zu wollen.
Und mag Lord P. als Mann der Principien so stark oder schwach sein, als
er will, gewiß ist. daß die Stimmen der über die Sabbathschändung entsetzten
Pusernten und schottischen Independenten auch einen andern betroffen gemacht
haben würden. Um so mehr, als diese leidenschaftlichen Dissenters einen Kanal
gewählt hatten, der der Sache neue Wichtigkeit verlieh. Es war der Oberhirt
der Hochkirche, der Erzbischof von Canterbury. den sie zum Fürsprecher er¬
wählten. Der greise Prälat empfing diese Huldigung zweier sonst so oppo¬
sitioneller Sekten mit der größten Huld und fand sich bewogen, dem Minister
gegen einen. Schritt, der gegen alle Sitten und Meinungen aller Kirchen laufe,
die lebhaftesten, wenn auch hochachtungsvollsten Vorstellungen zu machen.
Einer solchen Stimme konnte der Minister das Gehör nicht verweigern.

Der Engländer ist in der Politik und im öffentlichen Leben nicht senti¬
mental. Anstatt die Hände in den Schoß zu legen, machten die Sonntags-
bündler vielmehr einen Ehrenpunkt daraus, die Idee Sir B. Halts zur Aus¬
führung zu bringen, und fortan erschallten, auf Privatkosten, allsonntäglich in
den verschiedenen Parks Musiken, zu denen das Volk in Myriaden strömte.
Der londoner Pöbel kann anständig sein, wenn er es sich in den Kopf setzt,
und so hat die Sache ohne die geringste Störung und Dazwischenkunft der
Polizei ihren Fortgang gehabt. Auch in den Provinzen fand sie Beifall.
Birmingham, Leeds, Newcastle und andere Städte wollten hinter der Gott¬
losigkeit der Hauptstadt nicht zurückbleiben, und die Sonntagsfreiheit wurde,
wohl oder übel, durch allerlei Volk, das, ohne grade besonders klare musi¬
kalische Begriffe zu haben, sich zu musikalischen "Banden" vereinigte, in den
blauen Sonntagshimmel hinaufgeblaseu. "Machet vor dem Herrn ein Ge¬
räusch!" sagt der Psalmist. Das wurde nun das Losungswort mancher, sei
es ästhetischer, sei es christlicher Gewissen. Die Eiferer verkrochen sich tiefer


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Partei, von dem Augenblick an, wo das Parlament dieselbe in, Namen der
Masse verweigert hatte.

Eine starke Ermuthigung erhielt die Bewegung auf einige Zeit durch das
Benehmen des Ministeriums, das selbst Miene machte, als Vorfechter derselben
aufzutreten. Der Minister des königlichen Haushaltes, Sir Benjamin Hall,
verfügte mit Uebereinstimmung des Premier, daß die Musik der Gardcregimenter
künftig in den verschiedenen Parks, besonders den reizenden Kcnsingtongardens,
ausspielen solle. Der Zulauf war unermeßlich. Zweimalhunderttausend Personen
sollen an den beiden Sonntagen des 13. und 2». April die Thore des letzt¬
genannten Parks pnssirt haben — ein schlagender numerischer Beweis gegen
die angebliche Prüderie des englischen Volkes. Allein die Freude war kurz.
Schon Ende April erschien eine Verordnung des Lord Palmerston, welche die
Maßregel, die er selbst angeordnet, zurücknahm. Es wäre kindisch, wegen
einer so unbedeutenden Sache dem Minister den Proceß machen zu wollen.
Und mag Lord P. als Mann der Principien so stark oder schwach sein, als
er will, gewiß ist. daß die Stimmen der über die Sabbathschändung entsetzten
Pusernten und schottischen Independenten auch einen andern betroffen gemacht
haben würden. Um so mehr, als diese leidenschaftlichen Dissenters einen Kanal
gewählt hatten, der der Sache neue Wichtigkeit verlieh. Es war der Oberhirt
der Hochkirche, der Erzbischof von Canterbury. den sie zum Fürsprecher er¬
wählten. Der greise Prälat empfing diese Huldigung zweier sonst so oppo¬
sitioneller Sekten mit der größten Huld und fand sich bewogen, dem Minister
gegen einen. Schritt, der gegen alle Sitten und Meinungen aller Kirchen laufe,
die lebhaftesten, wenn auch hochachtungsvollsten Vorstellungen zu machen.
Einer solchen Stimme konnte der Minister das Gehör nicht verweigern.

Der Engländer ist in der Politik und im öffentlichen Leben nicht senti¬
mental. Anstatt die Hände in den Schoß zu legen, machten die Sonntags-
bündler vielmehr einen Ehrenpunkt daraus, die Idee Sir B. Halts zur Aus¬
führung zu bringen, und fortan erschallten, auf Privatkosten, allsonntäglich in
den verschiedenen Parks Musiken, zu denen das Volk in Myriaden strömte.
Der londoner Pöbel kann anständig sein, wenn er es sich in den Kopf setzt,
und so hat die Sache ohne die geringste Störung und Dazwischenkunft der
Polizei ihren Fortgang gehabt. Auch in den Provinzen fand sie Beifall.
Birmingham, Leeds, Newcastle und andere Städte wollten hinter der Gott¬
losigkeit der Hauptstadt nicht zurückbleiben, und die Sonntagsfreiheit wurde,
wohl oder übel, durch allerlei Volk, das, ohne grade besonders klare musi¬
kalische Begriffe zu haben, sich zu musikalischen „Banden" vereinigte, in den
blauen Sonntagshimmel hinaufgeblaseu. „Machet vor dem Herrn ein Ge¬
räusch!" sagt der Psalmist. Das wurde nun das Losungswort mancher, sei
es ästhetischer, sei es christlicher Gewissen. Die Eiferer verkrochen sich tiefer


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[0187] Partei, von dem Augenblick an, wo das Parlament dieselbe in, Namen der Masse verweigert hatte. Eine starke Ermuthigung erhielt die Bewegung auf einige Zeit durch das Benehmen des Ministeriums, das selbst Miene machte, als Vorfechter derselben aufzutreten. Der Minister des königlichen Haushaltes, Sir Benjamin Hall, verfügte mit Uebereinstimmung des Premier, daß die Musik der Gardcregimenter künftig in den verschiedenen Parks, besonders den reizenden Kcnsingtongardens, ausspielen solle. Der Zulauf war unermeßlich. Zweimalhunderttausend Personen sollen an den beiden Sonntagen des 13. und 2». April die Thore des letzt¬ genannten Parks pnssirt haben — ein schlagender numerischer Beweis gegen die angebliche Prüderie des englischen Volkes. Allein die Freude war kurz. Schon Ende April erschien eine Verordnung des Lord Palmerston, welche die Maßregel, die er selbst angeordnet, zurücknahm. Es wäre kindisch, wegen einer so unbedeutenden Sache dem Minister den Proceß machen zu wollen. Und mag Lord P. als Mann der Principien so stark oder schwach sein, als er will, gewiß ist. daß die Stimmen der über die Sabbathschändung entsetzten Pusernten und schottischen Independenten auch einen andern betroffen gemacht haben würden. Um so mehr, als diese leidenschaftlichen Dissenters einen Kanal gewählt hatten, der der Sache neue Wichtigkeit verlieh. Es war der Oberhirt der Hochkirche, der Erzbischof von Canterbury. den sie zum Fürsprecher er¬ wählten. Der greise Prälat empfing diese Huldigung zweier sonst so oppo¬ sitioneller Sekten mit der größten Huld und fand sich bewogen, dem Minister gegen einen. Schritt, der gegen alle Sitten und Meinungen aller Kirchen laufe, die lebhaftesten, wenn auch hochachtungsvollsten Vorstellungen zu machen. Einer solchen Stimme konnte der Minister das Gehör nicht verweigern. Der Engländer ist in der Politik und im öffentlichen Leben nicht senti¬ mental. Anstatt die Hände in den Schoß zu legen, machten die Sonntags- bündler vielmehr einen Ehrenpunkt daraus, die Idee Sir B. Halts zur Aus¬ führung zu bringen, und fortan erschallten, auf Privatkosten, allsonntäglich in den verschiedenen Parks Musiken, zu denen das Volk in Myriaden strömte. Der londoner Pöbel kann anständig sein, wenn er es sich in den Kopf setzt, und so hat die Sache ohne die geringste Störung und Dazwischenkunft der Polizei ihren Fortgang gehabt. Auch in den Provinzen fand sie Beifall. Birmingham, Leeds, Newcastle und andere Städte wollten hinter der Gott¬ losigkeit der Hauptstadt nicht zurückbleiben, und die Sonntagsfreiheit wurde, wohl oder übel, durch allerlei Volk, das, ohne grade besonders klare musi¬ kalische Begriffe zu haben, sich zu musikalischen „Banden" vereinigte, in den blauen Sonntagshimmel hinaufgeblaseu. „Machet vor dem Herrn ein Ge¬ räusch!" sagt der Psalmist. Das wurde nun das Losungswort mancher, sei es ästhetischer, sei es christlicher Gewissen. Die Eiferer verkrochen sich tiefer 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/187>, abgerufen am 21.12.2024.