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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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finden wir in der Aufstellung eines so frivolen Verdachtes nur das Merkmal
des schlechten Gewissens einer despotischen Negierung, die überall die Schreck¬
bilder von Verschwörern sieht. Der Commandeur Carafa citirt für sich den
Fall des Carlo Alberto, der 1832 von der Herzogin von Berry in Livorno
ausgerüstet ward, um eine Landung und Schildcrhebung in Frankreich zu ver¬
suchen; letztere mißlang, und das Schiff wurde in französischen Gewässern an¬
gehalten. Man begreift nicht wohl, wie Neapel dies Beispiel für sich anführen
kann, der Carlo Alberto war in der strafbaren Absicht ausgerüstet, den Sturz
qer bestehenden Regierung durch die Landung der Anhänger der Herzogin von
Berry zu versuchen, er hatte falsche Papiere und brach die Quarantäne und
Polizeivorschriften. Nichts desto weniger erklärte der französische Cassationshof
in dem eröffneten Processe keineswegs das Schiff als gute Prise, sondern
entschied nur, daß die Polizei das Recht gehabt habe, die Personen, welche
sich an Bord dieses Kauffahrteischiffes befanden, zu verhaften, mit andern
Worten, der Gerichtshof erklärte nur, daß eine polizeiliche Untersuchung eines
Kauffahrteischiffes im Scegebicte des betreffenden Staates und die Verhaftung
von an seinem Bord befindlichen Verschwörern dem Völkerrecht nicht zuwider
sei. Wenn also nicht einmal der Carlo Alberto, welcher in strafbarer Absicht
ausgerüstet und abgesegelt war, weggenommen ward, wie viel weniger durste
die neapolitanische Negierung sich an dem Calgiari vergreifen, dessen gesetzlicher
Charakter bewiesen war.

2. Was den Ort betrifft, wo das Schiff angehalten und weggenommen
ward, so ist zunächst sehr auffallend, daß im Anfange der Minister sowol als
der Director der königlichen Marine dein sardinischen Geschäftsträger versichern,
der Act habe in den Gewässern von Policnstro stattgefunden, also innerhalb
des neapolitanischen Seegebietes. und daß erst nach fünf Monaten, wahrend
deren die Negierung ihre Angaben in keiner Weife berichtigt hatte, der Mi¬
nister zugibt, daß die Wegnahme auf hoher See stattgefunden, aber nun be¬
hauptet, sie sei doch rechtmäßig, weil die Verfolgung des Cagliari innerhalb
des Seegebietes angefangen habe. Kamille die Negierung, als sie jene erste
Angabe'machte, den Sachverhalt nicht, dann durfte sie auch nichts darüber
sagen, kannte sie ihn aber (und es ist kaum anzunehmen, daß sich Ministerium
wie Marinebehörde nicht von den Befehlshabern der Fregatten sogleich genaue
Rechenschaft erstatten ließen), so haben sie eine falsche Angabe gemacht. Be¬
trachtet man nun. von diesem wichtigen Punkte absehend, die Frage, ob die
Wegnahme des Schiffes auf hoher See zu rechtfertigen sei, so muß die Ant¬
wort ohne Zweifel verneinend ausfallen. Graf Caoour hat in der oben
analysirten Depesche vom 18. März überzeugend ausgeführt, daß die Berechti¬
gung den Cagliari auf offenem Meere zu verfolgen, weil die Verfolgung im nea¬
politanischen Seegebicte angefangen, auf einem Sophismus beruhe; mit


finden wir in der Aufstellung eines so frivolen Verdachtes nur das Merkmal
des schlechten Gewissens einer despotischen Negierung, die überall die Schreck¬
bilder von Verschwörern sieht. Der Commandeur Carafa citirt für sich den
Fall des Carlo Alberto, der 1832 von der Herzogin von Berry in Livorno
ausgerüstet ward, um eine Landung und Schildcrhebung in Frankreich zu ver¬
suchen; letztere mißlang, und das Schiff wurde in französischen Gewässern an¬
gehalten. Man begreift nicht wohl, wie Neapel dies Beispiel für sich anführen
kann, der Carlo Alberto war in der strafbaren Absicht ausgerüstet, den Sturz
qer bestehenden Regierung durch die Landung der Anhänger der Herzogin von
Berry zu versuchen, er hatte falsche Papiere und brach die Quarantäne und
Polizeivorschriften. Nichts desto weniger erklärte der französische Cassationshof
in dem eröffneten Processe keineswegs das Schiff als gute Prise, sondern
entschied nur, daß die Polizei das Recht gehabt habe, die Personen, welche
sich an Bord dieses Kauffahrteischiffes befanden, zu verhaften, mit andern
Worten, der Gerichtshof erklärte nur, daß eine polizeiliche Untersuchung eines
Kauffahrteischiffes im Scegebicte des betreffenden Staates und die Verhaftung
von an seinem Bord befindlichen Verschwörern dem Völkerrecht nicht zuwider
sei. Wenn also nicht einmal der Carlo Alberto, welcher in strafbarer Absicht
ausgerüstet und abgesegelt war, weggenommen ward, wie viel weniger durste
die neapolitanische Negierung sich an dem Calgiari vergreifen, dessen gesetzlicher
Charakter bewiesen war.

2. Was den Ort betrifft, wo das Schiff angehalten und weggenommen
ward, so ist zunächst sehr auffallend, daß im Anfange der Minister sowol als
der Director der königlichen Marine dein sardinischen Geschäftsträger versichern,
der Act habe in den Gewässern von Policnstro stattgefunden, also innerhalb
des neapolitanischen Seegebietes. und daß erst nach fünf Monaten, wahrend
deren die Negierung ihre Angaben in keiner Weife berichtigt hatte, der Mi¬
nister zugibt, daß die Wegnahme auf hoher See stattgefunden, aber nun be¬
hauptet, sie sei doch rechtmäßig, weil die Verfolgung des Cagliari innerhalb
des Seegebietes angefangen habe. Kamille die Negierung, als sie jene erste
Angabe'machte, den Sachverhalt nicht, dann durfte sie auch nichts darüber
sagen, kannte sie ihn aber (und es ist kaum anzunehmen, daß sich Ministerium
wie Marinebehörde nicht von den Befehlshabern der Fregatten sogleich genaue
Rechenschaft erstatten ließen), so haben sie eine falsche Angabe gemacht. Be¬
trachtet man nun. von diesem wichtigen Punkte absehend, die Frage, ob die
Wegnahme des Schiffes auf hoher See zu rechtfertigen sei, so muß die Ant¬
wort ohne Zweifel verneinend ausfallen. Graf Caoour hat in der oben
analysirten Depesche vom 18. März überzeugend ausgeführt, daß die Berechti¬
gung den Cagliari auf offenem Meere zu verfolgen, weil die Verfolgung im nea¬
politanischen Seegebicte angefangen, auf einem Sophismus beruhe; mit


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[0174] finden wir in der Aufstellung eines so frivolen Verdachtes nur das Merkmal des schlechten Gewissens einer despotischen Negierung, die überall die Schreck¬ bilder von Verschwörern sieht. Der Commandeur Carafa citirt für sich den Fall des Carlo Alberto, der 1832 von der Herzogin von Berry in Livorno ausgerüstet ward, um eine Landung und Schildcrhebung in Frankreich zu ver¬ suchen; letztere mißlang, und das Schiff wurde in französischen Gewässern an¬ gehalten. Man begreift nicht wohl, wie Neapel dies Beispiel für sich anführen kann, der Carlo Alberto war in der strafbaren Absicht ausgerüstet, den Sturz qer bestehenden Regierung durch die Landung der Anhänger der Herzogin von Berry zu versuchen, er hatte falsche Papiere und brach die Quarantäne und Polizeivorschriften. Nichts desto weniger erklärte der französische Cassationshof in dem eröffneten Processe keineswegs das Schiff als gute Prise, sondern entschied nur, daß die Polizei das Recht gehabt habe, die Personen, welche sich an Bord dieses Kauffahrteischiffes befanden, zu verhaften, mit andern Worten, der Gerichtshof erklärte nur, daß eine polizeiliche Untersuchung eines Kauffahrteischiffes im Scegebicte des betreffenden Staates und die Verhaftung von an seinem Bord befindlichen Verschwörern dem Völkerrecht nicht zuwider sei. Wenn also nicht einmal der Carlo Alberto, welcher in strafbarer Absicht ausgerüstet und abgesegelt war, weggenommen ward, wie viel weniger durste die neapolitanische Negierung sich an dem Calgiari vergreifen, dessen gesetzlicher Charakter bewiesen war. 2. Was den Ort betrifft, wo das Schiff angehalten und weggenommen ward, so ist zunächst sehr auffallend, daß im Anfange der Minister sowol als der Director der königlichen Marine dein sardinischen Geschäftsträger versichern, der Act habe in den Gewässern von Policnstro stattgefunden, also innerhalb des neapolitanischen Seegebietes. und daß erst nach fünf Monaten, wahrend deren die Negierung ihre Angaben in keiner Weife berichtigt hatte, der Mi¬ nister zugibt, daß die Wegnahme auf hoher See stattgefunden, aber nun be¬ hauptet, sie sei doch rechtmäßig, weil die Verfolgung des Cagliari innerhalb des Seegebietes angefangen habe. Kamille die Negierung, als sie jene erste Angabe'machte, den Sachverhalt nicht, dann durfte sie auch nichts darüber sagen, kannte sie ihn aber (und es ist kaum anzunehmen, daß sich Ministerium wie Marinebehörde nicht von den Befehlshabern der Fregatten sogleich genaue Rechenschaft erstatten ließen), so haben sie eine falsche Angabe gemacht. Be¬ trachtet man nun. von diesem wichtigen Punkte absehend, die Frage, ob die Wegnahme des Schiffes auf hoher See zu rechtfertigen sei, so muß die Ant¬ wort ohne Zweifel verneinend ausfallen. Graf Caoour hat in der oben analysirten Depesche vom 18. März überzeugend ausgeführt, daß die Berechti¬ gung den Cagliari auf offenem Meere zu verfolgen, weil die Verfolgung im nea¬ politanischen Seegebicte angefangen, auf einem Sophismus beruhe; mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/174>, abgerufen am 21.12.2024.