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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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nicht geringem Erstaunen Kenntniß genommen habe, da sie geeignet sei die
elementarsten Grundlagen des Völkerrechts zu erschüttern. Was zunächst die
Behauptung anlange, daß die Sache ausschließlich der Entscheidung des Ge¬
richtshofes unterstehe, so würde sie nur dann richtig sein, wenn die betreffende
Frage rein privatrechtlicher Natur sei, sie sei aber grade völkerrechtlicher Natur,
und erfordere mehr wie irgend eine diplomatische Erörterung, es handle sich
nicht um eine gesetzliche Differenz zwischen sardinischen Unterthanen und
neapolitanischen Kapern; sondern von einer Sache zwischen den beiden Re¬
gierungen, da die Verletzung des Seerechtes gegen die piemontesische Flagge
behauptet werde; es sei aber nicht Gebrauch, daß ein Staat seine Rechte der
Entscheidung des Gerichtes eines fremden Staates unterwerfe. Als die
neapolitanische Regierung irrig angegeben, daß der Cagliari in sicilischen
Gewässern ergriffen worden, habe man sich aus officiöse und höfliche Vorstellungen
beschränkt, als sich aber nachher herausgestellt, daß die Wegnahme aus offnem
Meere stattgefunden, habe man in Turin dagegen protestirt; der Commandeur
Carasa hätte beweisen müssen, daß die Fregatten das Recht zur Wegnahme
hatten, anstatt es blos zu behaupten. Nur in zwei Füllen konnte ein solches
Recht statuirt werden, im Kriege gegen ein feindliches Fahrzeug, im Frieden
gegen ein Piratenschiff. Neapel ist mit niemand in Krieg, der Cagliari
kann keiner Piraterie angeklagt werden, er hatte eine friedliche Bestimmung,
regelmäßige Papiere und ist nicht dafür verantwortlich zu machen, daß ein
Haufen Uebelthäter sich seiner für eine Weile bemächtigt hat; sobald dieselben
das Schiff verlassen und der Capitän wieder den Befehl übernommen, hörte
der Status der Ungesetzlichkeit auf, in welchen die Aufständischen das Schiff
versetzt, und das reine Gewissen des Capitän Sitzio wird eben dadurch klar be¬
zeugt, daß er sich auf den Weg nach Neapel begab, um Anzeige von dem
Vorfall zu machen. Die Fregatten können also nicht das Recht der gesetz¬
mäßigen Vertheidigung, der Zurückweisung von Gewalt durch Gewalt geltend
machen, sie mußten nach Prüfung der Papiere des Cagliari denselben un¬
gestört seinen Weg fortsetzen lassen und etwaige Klagen mußten vor die sar¬
dinische Negierung oder sardinischen Gerichte gebracht werden. Der Verdacht,
daß der Cagliari von Ponza neue Aufrührer habe holen wollen, sei durch
nichts bewiesen; die Behauptung, daß man seine Bewegungen vom Festlande
aus beobachtet und darauf die Verfolgung innerhalb der neapolitanischen
Jurisdiction angefangen, sei unhaltbar, denn das Küstenmeer messe sich
nicht nach dem Gesichtskreis, sondern gehe nur einen Kanonenschuß weit
d. h. eine Seemeile, die neapolitanische Regierung habe dies selbst in Ver¬
trägen anerkannt. Ob Capitän und Eigenthümer sich dem Gerichtshöfe
unterworfen, komme hier nicht in Frage, da die Sache völkerrechtlicher
Natur sei, aber es sei nicht einmal wahr, wenigstens habe das Haus Rubettino


nicht geringem Erstaunen Kenntniß genommen habe, da sie geeignet sei die
elementarsten Grundlagen des Völkerrechts zu erschüttern. Was zunächst die
Behauptung anlange, daß die Sache ausschließlich der Entscheidung des Ge¬
richtshofes unterstehe, so würde sie nur dann richtig sein, wenn die betreffende
Frage rein privatrechtlicher Natur sei, sie sei aber grade völkerrechtlicher Natur,
und erfordere mehr wie irgend eine diplomatische Erörterung, es handle sich
nicht um eine gesetzliche Differenz zwischen sardinischen Unterthanen und
neapolitanischen Kapern; sondern von einer Sache zwischen den beiden Re¬
gierungen, da die Verletzung des Seerechtes gegen die piemontesische Flagge
behauptet werde; es sei aber nicht Gebrauch, daß ein Staat seine Rechte der
Entscheidung des Gerichtes eines fremden Staates unterwerfe. Als die
neapolitanische Regierung irrig angegeben, daß der Cagliari in sicilischen
Gewässern ergriffen worden, habe man sich aus officiöse und höfliche Vorstellungen
beschränkt, als sich aber nachher herausgestellt, daß die Wegnahme aus offnem
Meere stattgefunden, habe man in Turin dagegen protestirt; der Commandeur
Carasa hätte beweisen müssen, daß die Fregatten das Recht zur Wegnahme
hatten, anstatt es blos zu behaupten. Nur in zwei Füllen konnte ein solches
Recht statuirt werden, im Kriege gegen ein feindliches Fahrzeug, im Frieden
gegen ein Piratenschiff. Neapel ist mit niemand in Krieg, der Cagliari
kann keiner Piraterie angeklagt werden, er hatte eine friedliche Bestimmung,
regelmäßige Papiere und ist nicht dafür verantwortlich zu machen, daß ein
Haufen Uebelthäter sich seiner für eine Weile bemächtigt hat; sobald dieselben
das Schiff verlassen und der Capitän wieder den Befehl übernommen, hörte
der Status der Ungesetzlichkeit auf, in welchen die Aufständischen das Schiff
versetzt, und das reine Gewissen des Capitän Sitzio wird eben dadurch klar be¬
zeugt, daß er sich auf den Weg nach Neapel begab, um Anzeige von dem
Vorfall zu machen. Die Fregatten können also nicht das Recht der gesetz¬
mäßigen Vertheidigung, der Zurückweisung von Gewalt durch Gewalt geltend
machen, sie mußten nach Prüfung der Papiere des Cagliari denselben un¬
gestört seinen Weg fortsetzen lassen und etwaige Klagen mußten vor die sar¬
dinische Negierung oder sardinischen Gerichte gebracht werden. Der Verdacht,
daß der Cagliari von Ponza neue Aufrührer habe holen wollen, sei durch
nichts bewiesen; die Behauptung, daß man seine Bewegungen vom Festlande
aus beobachtet und darauf die Verfolgung innerhalb der neapolitanischen
Jurisdiction angefangen, sei unhaltbar, denn das Küstenmeer messe sich
nicht nach dem Gesichtskreis, sondern gehe nur einen Kanonenschuß weit
d. h. eine Seemeile, die neapolitanische Regierung habe dies selbst in Ver¬
trägen anerkannt. Ob Capitän und Eigenthümer sich dem Gerichtshöfe
unterworfen, komme hier nicht in Frage, da die Sache völkerrechtlicher
Natur sei, aber es sei nicht einmal wahr, wenigstens habe das Haus Rubettino


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/172>, abgerufen am 21.12.2024.