Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.Fall des Glaubens für Folgen haben wird. Auch habe ich nicht den geringsten Grenzbotcn II. 1858. 19
Fall des Glaubens für Folgen haben wird. Auch habe ich nicht den geringsten Grenzbotcn II. 1858. 19
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Fall des Glaubens für Folgen haben wird. Auch habe ich nicht den geringsten
Glauben an die Phänomene ivieder auflebender Freiheit, wo dieser Grund fehlt;
sie ruhet aus Sand." — An dieser Rhetorik hat die Lectüre des Sallust einen
großen Theil. Bei seinem angebornen Nachahmungstrieb klingen die Worte
der Alten fortwährend in seinen Briefen und Schriften nach. So wenn er
an seinen Bruder 24. Nov. 178g schreibt: „Es ist gewiß, daß zwischen Un¬
glauben und neologischer Theorie das europäische Menschengeschlecht wieder
eben ein so fades, unbrauchbares, todtes Wesen ward, als das von Ammianus
geschilderte römische Volk. Daß Gott nun weckt und schüttelt, ist ein Zeichen,
das hoffen macht, noch seien wir nicht ganz dahin gegeben. Warum nun
dieses nicht schauen? Warum nicht erkennen, daß seine Hand alles führt? und
merken auf die Zeichen der Zeit? So thaten die alten Hebräer, Griechen und
Römer. Oft spricht die Bibel: Jehova sagte, Jehova that. Nickt als hätten
die Männer immer eine articulirte Stimme vernommen, oder ein Gesicht ge¬
sehn; oft war es nur in ihrer Seele; diese hatte einen Sinn zu unterscheiden,
wenn der Herr redete, und zu erkennen was er bereitete." — Wenn man diese
Sprache aus dem Mystischen übersetzt, so drückt sie doch mir eine Hingebung
an die Thatsachen aus, die sich in Müllers Leben nur zu oft zu geltend macht,
und die mit ihrer resignirten Frömmigkeit das Gegentheil alles idealistischen,
zum Aufschwung der Seele begeisternden Glaubens ist. — An s. Br. (7. Dec.
1789) „Der religiöse Sinn war auch in mir; Verfolgung (mit dem Cellarius,
mit Baumeisters Definitionen) lehrte aufs Wort merken; klar war auch mir
die ganze Bibel, die eben für Kindcrsinn da ist, und ohne ihn auch nicht viel
wirkt; mein Herz verstand ihre Hauptsachen besser als Michaelis." Er wird
nun darauf aufmerksam, wie sehr hinter der jüdischen Geschichte die Beziehung
auf die Menschheit im Allgemeinen, auf die Herzenserfahrung aller Zeiten
durchblickt. „Ohne dies wären gar viele Bücher mir lieber. Im Grund ists
freilich der Fall aller Wahrheiten; sie sind, wo immer sie stehn, im Koran,
in der Ilias. alle ewig und für alle; wo aber wäre ein Buch so reich an
Erfahrungsausschlüssen für jede Lage der Seele und jeden Lebensmoment, da¬
bei sogleich so rein und so menschlich." — (22. März 1790) „Ich habe eine
äußerste Abneigung vor allem, was Pharisäismus, Selbstgerechtigkeit und geist¬
licher Hochmuth scheint, und halte es gar viel lieber mit den Zöllnern und
Sündern, deren Herz nicht böse ist; denn ich fühle selbst allzuwohl. wie nichts
es um unsere Tugend ist." — 25. Dec. 1790: „Es ist in mir etwas, das
gewöhnlich nicht beisammen sich findet: in allen Weltgeschästen bin ich für
Mäßigung, für Ordnung und Ruhe, für die Domination des Verstandes;
mein Glaube aber hat sich von selbst ohne Bücher, ohne Verbindungen, mehr
und mehr mystisch geformt, und ist Empfindung geworden, fo wie die Freund¬
schaft es ist. Ich halte den Mysticismus in der That für die wahre Universal-
Grenzbotcn II. 1858. 19
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