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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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"mich leitete die Vorsehung von Kindheit aus zur Historie; und vor nicht
langem durch die Historie zum Glauben; dieses wird allen klar werden, wenn
ich meine Nniversnlhistorie vollenden kann-. Seele hatte hin und wieder
schon was ich Ihnen vorlas, künftighin wird es auch Geist haben, aber
nicht "ZiM'it sondern ^,-i^"." -- Noch in demselben Jahr versuchte er sein
neugewonnene religiöse Ansicht in einen Dialog zu firiren. Die kleine Schrift
kam erst nach seinem Tode heraus. Die Composition ist gliche sehr glücklich
und für die Begründung seiner Ideen findet Müller nichts Anderes als was
er in den Briefen schon besser d, h. mit größerer Empfindung ausgedrückt.
"Glücklich die," bemerkt Aglaja, "welche die Wunder gesehn, wodurch er seine
Sendung bewies!" "Nicht minder selig die," antwortet Timotheus, "welche nicht
sehen und doch glauben. Jene Wunder mochten zu seiner Zeit nöthig sein,
die ersten Zuhörer aufmerksam zu machen. Andere Wunder haben wir. . . .
Heute oder morgen, wenn Sie ausharren im Forschen der Wahrheit, werden
Sie fühlen, wo Wahrheit und Leben ist: sintemal wir die Verheißung haben,
daß, wer ihn, den Menschenfreund, lieb gewinnt und nach seinein Vorbild
wandelt, er demselben sich offenbaren wolle. Alsdann werden Sie erfahren,
daß das überzeugendste Wunder ist, wenn er uns die Gnade gibt mit Augen
zu sehen und mit Ohren zu hören. Die Welt kann es nicht, weil ihr der
Sinn zur Wahrheit fehlt." "Das Christenthum ist nicht in Rom, oder in
Genf, oder zu Wittenberg oder zu Bnrby oder zu Philadelphia." Der pro¬
testantische Haß gegen das Papstthum muß schwinden. "Jeder Geist,
welcher nicht bekennt, daß Jesus Christus Mensch geworden, ist nicht aus
Gott; und solches ist das Merkmal des Antichrists. Nun aber hat der
Papst nie dieses geleugnet. Sehen Sie wohl zu, daß der Antichrist nicht
bei denen entstehe, die über den christlichen Glauben so viel capituliren,
daß Jesus bald nicht mehr der Christus noch der Mensch geworden, son¬
dern der jüdische Socrates, ein bloßer Mensch bleibt." -- Seine religiöse
Erweckung wird in den nächsten Jahren noch gekräftigt durch die Er¬
bitterung über die Berliner, die ihn wegen der Reisen der Päpste als einen
Jesuiten ausschreien. 18. April 1786, an Br: "In Berlin sieht eine Partei
überall Jesuitismus. Unter eben derselben Partei aber haben bedeutende
Männer über die Religion solche Gedanken, daß der Jesuitismus mir dagegen
lieb würde. -- 2t. sey. 178". "Der Jesuitismus ist ein Name, den einige
dem Christenthum geben; was nicht neutheologisch ist, muß jesuitisch sein,
sollten es auch Augustinus und Luther mit dürren Worten sagen. Man
möchte Christum aus der Welt schreiben; es wird aber nicht gelingen." "Da
ich nun meine biblischen Anmerkungen über die Evangelien erstreckt, haben
sich über den Geist der Religion auch mir neue, herrlich aufklärende, stärkende
Aussichten eröffnet. In allen Schriften, in allen Werken sah ich den Gott.


„mich leitete die Vorsehung von Kindheit aus zur Historie; und vor nicht
langem durch die Historie zum Glauben; dieses wird allen klar werden, wenn
ich meine Nniversnlhistorie vollenden kann-. Seele hatte hin und wieder
schon was ich Ihnen vorlas, künftighin wird es auch Geist haben, aber
nicht «ZiM'it sondern ^,-i^«." — Noch in demselben Jahr versuchte er sein
neugewonnene religiöse Ansicht in einen Dialog zu firiren. Die kleine Schrift
kam erst nach seinem Tode heraus. Die Composition ist gliche sehr glücklich
und für die Begründung seiner Ideen findet Müller nichts Anderes als was
er in den Briefen schon besser d, h. mit größerer Empfindung ausgedrückt.
„Glücklich die," bemerkt Aglaja, „welche die Wunder gesehn, wodurch er seine
Sendung bewies!" „Nicht minder selig die," antwortet Timotheus, „welche nicht
sehen und doch glauben. Jene Wunder mochten zu seiner Zeit nöthig sein,
die ersten Zuhörer aufmerksam zu machen. Andere Wunder haben wir. . . .
Heute oder morgen, wenn Sie ausharren im Forschen der Wahrheit, werden
Sie fühlen, wo Wahrheit und Leben ist: sintemal wir die Verheißung haben,
daß, wer ihn, den Menschenfreund, lieb gewinnt und nach seinein Vorbild
wandelt, er demselben sich offenbaren wolle. Alsdann werden Sie erfahren,
daß das überzeugendste Wunder ist, wenn er uns die Gnade gibt mit Augen
zu sehen und mit Ohren zu hören. Die Welt kann es nicht, weil ihr der
Sinn zur Wahrheit fehlt." „Das Christenthum ist nicht in Rom, oder in
Genf, oder zu Wittenberg oder zu Bnrby oder zu Philadelphia." Der pro¬
testantische Haß gegen das Papstthum muß schwinden. „Jeder Geist,
welcher nicht bekennt, daß Jesus Christus Mensch geworden, ist nicht aus
Gott; und solches ist das Merkmal des Antichrists. Nun aber hat der
Papst nie dieses geleugnet. Sehen Sie wohl zu, daß der Antichrist nicht
bei denen entstehe, die über den christlichen Glauben so viel capituliren,
daß Jesus bald nicht mehr der Christus noch der Mensch geworden, son¬
dern der jüdische Socrates, ein bloßer Mensch bleibt." — Seine religiöse
Erweckung wird in den nächsten Jahren noch gekräftigt durch die Er¬
bitterung über die Berliner, die ihn wegen der Reisen der Päpste als einen
Jesuiten ausschreien. 18. April 1786, an Br: „In Berlin sieht eine Partei
überall Jesuitismus. Unter eben derselben Partei aber haben bedeutende
Männer über die Religion solche Gedanken, daß der Jesuitismus mir dagegen
lieb würde. — 2t. sey. 178«. „Der Jesuitismus ist ein Name, den einige
dem Christenthum geben; was nicht neutheologisch ist, muß jesuitisch sein,
sollten es auch Augustinus und Luther mit dürren Worten sagen. Man
möchte Christum aus der Welt schreiben; es wird aber nicht gelingen." „Da
ich nun meine biblischen Anmerkungen über die Evangelien erstreckt, haben
sich über den Geist der Religion auch mir neue, herrlich aufklärende, stärkende
Aussichten eröffnet. In allen Schriften, in allen Werken sah ich den Gott.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/150>, abgerufen am 21.12.2024.