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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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anwachsendes Siechthum, und die angewendeten Mittel, ohne Aussicht zur
Heilung, zur bloßen Fristung eines elenden, verkümmerten Daseins vergeudet,
und zwar in einer Weise, daß von den Gesunden ebendadurch immer mehr der
entsetzlichen Ansteckung verfallen; hier dagegen ein unausgesetzt fortschreitender
natürlicher Heilungsproceß aus dem Innern des erstarkenden Organismus selbst
heraus, welcher täglich der Pflege weniger bedarf und davon fortwährend
andern von dem Uebel Ergriffenen abgeben kann.

Dasselbe, wie der Privatthätigkeit, möchten wir auch dem Einschreiten der
Regierungen gegenüber aus socialem Gebiete geltend machen, von denen wol
kaum eine die große Bedeutung der einschlagenden Fragen verkennt, und die
wir fast in allen civilisirten Ländern mittelst der Gesetzgebung und durch
sonstige Hilfsmittel die Linderung der schreienden Nothstände anstreben sehen.
Nach allem, was wir bereits erörterten, kommt es hier weit mehr darauf an,
jenen auf Selbsthilfe abzweigenden Vereinen und Organisationen die freie
Bewegung, den günstigsten Spielraum zu sichern, als selbst mit Staatsmitteln
helfend einzugreifen, insofern es nicht etwa gilt, einem außerordentlichen, plötzlich
eingebrochenen und vorübergehenden Nothstande zu begegnen. Denn macht
man die Staatssubvention sür gewisse Classen zur Regel, so gesellt sich zu
den schon erwähnten Uebelständen, dem Demoralisirendenden des Almosens
für die Empfänger, nach das Gehässige und durchaus Ungerechte eines
Zwanges gegen die Geber, von denen viele grade genug zu thun haben, um
sich selbst im Nahrungsstande zu erhalten. Denn die Staatsmittel müssen
ja dock stets von der Gesammtheit aller Bürger aufgebracht werden, und eine
stehende Belastung des Budgets zu solchen Zwecken, welche die allgemeine
Steuerlast erhöht, sällt für sämmtliche Steuerpflichtige um so drückender ins
Gewicht, als sie, wie wir sahen, das weitere Umsichgreifen der Verarmung
fördert, anstatt derselben vorzubeugen, aus der Classe der Steuerzahler also
immer mehre in die der Subventionirten herüberzieht. Eine erleuchtete, wirk¬
lich auf der Höhe der Frage stehende Gesetzgebung wird sich daher begnügen,
den neuen Verkehrsarmen, weiche die Selbsthilfe besonders in den Associationen
hervorgerufen hat. diejenigen Schwierigkeiten, welche etwa der Rechtsvcrfolgung
ihrerseits, der Legitimation ihrer Vertreter bei Vertragsabschlüssen, der Er¬
werbung von Eigenthum und Forderungen u. dergl. nach den bisherigen Ge¬
setzen entgegenstelln, aus dem Wege zu räumen, ohne eine Concessionirung
der fraglichen Institute, eine Oberaufsicht über dieselben, überhaupt eine Ein¬
mischung in ihre Angelegenheiten zu beanspruchen. Höchstens könnte man,
wie dies in England bei ganz freiem Vereinsrecht, durch die von uns früher
erwähnte imiustrial s.n<1 xiovidvnt sneiötios act vom ?0. Junius 1852 ge¬
schehn, von einer Prüfung der Statuten durch einen Hof von Sachverständigen
die Verleihung der angedeuteten gesetzlichen Vortheile abhängig machen. Eine


anwachsendes Siechthum, und die angewendeten Mittel, ohne Aussicht zur
Heilung, zur bloßen Fristung eines elenden, verkümmerten Daseins vergeudet,
und zwar in einer Weise, daß von den Gesunden ebendadurch immer mehr der
entsetzlichen Ansteckung verfallen; hier dagegen ein unausgesetzt fortschreitender
natürlicher Heilungsproceß aus dem Innern des erstarkenden Organismus selbst
heraus, welcher täglich der Pflege weniger bedarf und davon fortwährend
andern von dem Uebel Ergriffenen abgeben kann.

Dasselbe, wie der Privatthätigkeit, möchten wir auch dem Einschreiten der
Regierungen gegenüber aus socialem Gebiete geltend machen, von denen wol
kaum eine die große Bedeutung der einschlagenden Fragen verkennt, und die
wir fast in allen civilisirten Ländern mittelst der Gesetzgebung und durch
sonstige Hilfsmittel die Linderung der schreienden Nothstände anstreben sehen.
Nach allem, was wir bereits erörterten, kommt es hier weit mehr darauf an,
jenen auf Selbsthilfe abzweigenden Vereinen und Organisationen die freie
Bewegung, den günstigsten Spielraum zu sichern, als selbst mit Staatsmitteln
helfend einzugreifen, insofern es nicht etwa gilt, einem außerordentlichen, plötzlich
eingebrochenen und vorübergehenden Nothstande zu begegnen. Denn macht
man die Staatssubvention sür gewisse Classen zur Regel, so gesellt sich zu
den schon erwähnten Uebelständen, dem Demoralisirendenden des Almosens
für die Empfänger, nach das Gehässige und durchaus Ungerechte eines
Zwanges gegen die Geber, von denen viele grade genug zu thun haben, um
sich selbst im Nahrungsstande zu erhalten. Denn die Staatsmittel müssen
ja dock stets von der Gesammtheit aller Bürger aufgebracht werden, und eine
stehende Belastung des Budgets zu solchen Zwecken, welche die allgemeine
Steuerlast erhöht, sällt für sämmtliche Steuerpflichtige um so drückender ins
Gewicht, als sie, wie wir sahen, das weitere Umsichgreifen der Verarmung
fördert, anstatt derselben vorzubeugen, aus der Classe der Steuerzahler also
immer mehre in die der Subventionirten herüberzieht. Eine erleuchtete, wirk¬
lich auf der Höhe der Frage stehende Gesetzgebung wird sich daher begnügen,
den neuen Verkehrsarmen, weiche die Selbsthilfe besonders in den Associationen
hervorgerufen hat. diejenigen Schwierigkeiten, welche etwa der Rechtsvcrfolgung
ihrerseits, der Legitimation ihrer Vertreter bei Vertragsabschlüssen, der Er¬
werbung von Eigenthum und Forderungen u. dergl. nach den bisherigen Ge¬
setzen entgegenstelln, aus dem Wege zu räumen, ohne eine Concessionirung
der fraglichen Institute, eine Oberaufsicht über dieselben, überhaupt eine Ein¬
mischung in ihre Angelegenheiten zu beanspruchen. Höchstens könnte man,
wie dies in England bei ganz freiem Vereinsrecht, durch die von uns früher
erwähnte imiustrial s.n<1 xiovidvnt sneiötios act vom ?0. Junius 1852 ge¬
schehn, von einer Prüfung der Statuten durch einen Hof von Sachverständigen
die Verleihung der angedeuteten gesetzlichen Vortheile abhängig machen. Eine


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[0138] anwachsendes Siechthum, und die angewendeten Mittel, ohne Aussicht zur Heilung, zur bloßen Fristung eines elenden, verkümmerten Daseins vergeudet, und zwar in einer Weise, daß von den Gesunden ebendadurch immer mehr der entsetzlichen Ansteckung verfallen; hier dagegen ein unausgesetzt fortschreitender natürlicher Heilungsproceß aus dem Innern des erstarkenden Organismus selbst heraus, welcher täglich der Pflege weniger bedarf und davon fortwährend andern von dem Uebel Ergriffenen abgeben kann. Dasselbe, wie der Privatthätigkeit, möchten wir auch dem Einschreiten der Regierungen gegenüber aus socialem Gebiete geltend machen, von denen wol kaum eine die große Bedeutung der einschlagenden Fragen verkennt, und die wir fast in allen civilisirten Ländern mittelst der Gesetzgebung und durch sonstige Hilfsmittel die Linderung der schreienden Nothstände anstreben sehen. Nach allem, was wir bereits erörterten, kommt es hier weit mehr darauf an, jenen auf Selbsthilfe abzweigenden Vereinen und Organisationen die freie Bewegung, den günstigsten Spielraum zu sichern, als selbst mit Staatsmitteln helfend einzugreifen, insofern es nicht etwa gilt, einem außerordentlichen, plötzlich eingebrochenen und vorübergehenden Nothstande zu begegnen. Denn macht man die Staatssubvention sür gewisse Classen zur Regel, so gesellt sich zu den schon erwähnten Uebelständen, dem Demoralisirendenden des Almosens für die Empfänger, nach das Gehässige und durchaus Ungerechte eines Zwanges gegen die Geber, von denen viele grade genug zu thun haben, um sich selbst im Nahrungsstande zu erhalten. Denn die Staatsmittel müssen ja dock stets von der Gesammtheit aller Bürger aufgebracht werden, und eine stehende Belastung des Budgets zu solchen Zwecken, welche die allgemeine Steuerlast erhöht, sällt für sämmtliche Steuerpflichtige um so drückender ins Gewicht, als sie, wie wir sahen, das weitere Umsichgreifen der Verarmung fördert, anstatt derselben vorzubeugen, aus der Classe der Steuerzahler also immer mehre in die der Subventionirten herüberzieht. Eine erleuchtete, wirk¬ lich auf der Höhe der Frage stehende Gesetzgebung wird sich daher begnügen, den neuen Verkehrsarmen, weiche die Selbsthilfe besonders in den Associationen hervorgerufen hat. diejenigen Schwierigkeiten, welche etwa der Rechtsvcrfolgung ihrerseits, der Legitimation ihrer Vertreter bei Vertragsabschlüssen, der Er¬ werbung von Eigenthum und Forderungen u. dergl. nach den bisherigen Ge¬ setzen entgegenstelln, aus dem Wege zu räumen, ohne eine Concessionirung der fraglichen Institute, eine Oberaufsicht über dieselben, überhaupt eine Ein¬ mischung in ihre Angelegenheiten zu beanspruchen. Höchstens könnte man, wie dies in England bei ganz freiem Vereinsrecht, durch die von uns früher erwähnte imiustrial s.n<1 xiovidvnt sneiötios act vom ?0. Junius 1852 ge¬ schehn, von einer Prüfung der Statuten durch einen Hof von Sachverständigen die Verleihung der angedeuteten gesetzlichen Vortheile abhängig machen. Eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/138>, abgerufen am 21.12.2024.