Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.Unter diesen Umständen stand Müllers Hoffnungen freilich eine arge Enttäu Unter diesen Umständen stand Müllers Hoffnungen freilich eine arge Enttäu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186522"/> <p xml:id="ID_250" prev="#ID_249" next="#ID_251"> Unter diesen Umständen stand Müllers Hoffnungen freilich eine arge Enttäu<lb/> schnng bevor. Man hielt ihn einige Tage hin, dann bot ihm Zedlitz am<lb/> >7. März eine Lehrerstelle mit 200 Thlr. an demselben Gymnasium an, dessen<lb/> Rectorat ihm vor nenn Jahren war angetragen worden. An höflichen Ver¬<lb/> sprechungen für die Zukunft fehlte es nicht, aber der Rath Gleims bestimmte<lb/> ihn doch, vorläufig abzureisen. Er war nicht in geringer Verlegenheit, denn<lb/> in Genf hatten seine historischen Versuche böses Blut gemacht; seine Schilde¬<lb/> rung der schweizer Demokratie hatte sehr bittere Gegenschriften hervorgeru¬<lb/> fen, in denen man ihn beschuldigte, ein Schmarotzer der Aristokratie zu sein,<lb/> und so war ihm die Rückkehr unbequem. Doch wirkten die neuen Eindrücke<lb/> immer noch so stark, und seine Hoffnung, das Mißverständniß werde sich bald<lb/> lösen, war noch so rege, daß ein ernster Verdruß nicht aufkam. Er schied<lb/> aus Berlin in einer Mischung von Wehmuth und Entzücken. 1»ut ins sein-<lb/> I'IiUl. aikrsnx, Mu-co quo es u'se-irn plus livrlm; mon ami, .jo n'al <Jo in»<lb/> vio 6t6 Koureux qu'ü. I.en'lin. iAi«on Kul 1s esraotsrv eis 1'esprit<lb/> n-ttiouÄl; einirut aux plaisü's, v'oft leur »Honr. ()n no voit partout quo<lb/> <Is 1^ Aiiruckour- u. s. w. In Vraunschweig wird er vom Herzog, an den er<lb/> durch den Prinzen von Preußen empfohlen war, sehr zuvorkommend empfangen;<lb/> Lessings Stelle ist schon besetzt, aber man will ihn noch einmal muss wärmste<lb/> in Berlin empfehlen. Es sind lauter Festtage; endlich muß er doch scheiden;<lb/> er kommt durch preußisches Gebiet. „Wie lachte mein Herz beim Anblick des<lb/> ersten Zollhauses ans diesem gesegneten Boden; ich Hütte den Zöllner um¬<lb/> armen mögen, weil er ein Preuße war. Mit den Preußen und für die Preu¬<lb/> ßen will ich leben und sterben, oder ich will lieber nicht leben." (29. März)<lb/> Dann in Halberstadt selige Tage mit Gleim, der ihm auch praktisch aus aller<lb/> Verlegenheit half, mit Göckingh, mit Schmidt, „dem deutschen Petrarca". Man<lb/> spricht nur von dem Glück, ein Preuße zu sein; Genf ist in Verachtung.<lb/> Aber — „soll ich Dir es bekennen, Bester! (11. April) Ich vergesse über Halber¬<lb/> stadt Berlin, und über den Musen die Prinzen." So kommt er nach Kassel;<lb/> schon von Vraunschweig aus hatte er an den Landgrafen geschrieben. Die<lb/> Unterhandlungen mit Schlözer über Göttingen hatten sich zerschlagen. Kaum<lb/> angekommen, ist sein Herz aufs neue erobert, dies Mal durch den hessischen<lb/> General Schliessen; er schreibt schon den 26. Mai: „Aus Besagten ist<lb/> leicht einzusehen, daß ich gern ein Hesse würde ... Es ist wahrscheinlich,<lb/> daß ich die übrige Zeit meines Lebens hier zubringen werde;" und von Fried¬<lb/> rich, dem großem Cäsar: „Er ist gut gesinnt; aber sein Staat, glaube es<lb/> mir, nun ich abwesend freier spreche, ist wahrhaftig noch nicht fest<lb/> gegründet." — Bei dieser Stimmung ist es um so begreiflicher, daß er in<lb/> Kassel blieb, da ihm auch Schlözer die Nothwendigkeit eingeschärft hatte, ein<lb/> festes Amt zu suchen. Schliessen schaffte ihm eine Pension von 100 Thlr.,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Unter diesen Umständen stand Müllers Hoffnungen freilich eine arge Enttäu
schnng bevor. Man hielt ihn einige Tage hin, dann bot ihm Zedlitz am
>7. März eine Lehrerstelle mit 200 Thlr. an demselben Gymnasium an, dessen
Rectorat ihm vor nenn Jahren war angetragen worden. An höflichen Ver¬
sprechungen für die Zukunft fehlte es nicht, aber der Rath Gleims bestimmte
ihn doch, vorläufig abzureisen. Er war nicht in geringer Verlegenheit, denn
in Genf hatten seine historischen Versuche böses Blut gemacht; seine Schilde¬
rung der schweizer Demokratie hatte sehr bittere Gegenschriften hervorgeru¬
fen, in denen man ihn beschuldigte, ein Schmarotzer der Aristokratie zu sein,
und so war ihm die Rückkehr unbequem. Doch wirkten die neuen Eindrücke
immer noch so stark, und seine Hoffnung, das Mißverständniß werde sich bald
lösen, war noch so rege, daß ein ernster Verdruß nicht aufkam. Er schied
aus Berlin in einer Mischung von Wehmuth und Entzücken. 1»ut ins sein-
I'IiUl. aikrsnx, Mu-co quo es u'se-irn plus livrlm; mon ami, .jo n'al <Jo in»
vio 6t6 Koureux qu'ü. I.en'lin. iAi«on Kul 1s esraotsrv eis 1'esprit
n-ttiouÄl; einirut aux plaisü's, v'oft leur »Honr. ()n no voit partout quo
<Is 1^ Aiiruckour- u. s. w. In Vraunschweig wird er vom Herzog, an den er
durch den Prinzen von Preußen empfohlen war, sehr zuvorkommend empfangen;
Lessings Stelle ist schon besetzt, aber man will ihn noch einmal muss wärmste
in Berlin empfehlen. Es sind lauter Festtage; endlich muß er doch scheiden;
er kommt durch preußisches Gebiet. „Wie lachte mein Herz beim Anblick des
ersten Zollhauses ans diesem gesegneten Boden; ich Hütte den Zöllner um¬
armen mögen, weil er ein Preuße war. Mit den Preußen und für die Preu¬
ßen will ich leben und sterben, oder ich will lieber nicht leben." (29. März)
Dann in Halberstadt selige Tage mit Gleim, der ihm auch praktisch aus aller
Verlegenheit half, mit Göckingh, mit Schmidt, „dem deutschen Petrarca". Man
spricht nur von dem Glück, ein Preuße zu sein; Genf ist in Verachtung.
Aber — „soll ich Dir es bekennen, Bester! (11. April) Ich vergesse über Halber¬
stadt Berlin, und über den Musen die Prinzen." So kommt er nach Kassel;
schon von Vraunschweig aus hatte er an den Landgrafen geschrieben. Die
Unterhandlungen mit Schlözer über Göttingen hatten sich zerschlagen. Kaum
angekommen, ist sein Herz aufs neue erobert, dies Mal durch den hessischen
General Schliessen; er schreibt schon den 26. Mai: „Aus Besagten ist
leicht einzusehen, daß ich gern ein Hesse würde ... Es ist wahrscheinlich,
daß ich die übrige Zeit meines Lebens hier zubringen werde;" und von Fried¬
rich, dem großem Cäsar: „Er ist gut gesinnt; aber sein Staat, glaube es
mir, nun ich abwesend freier spreche, ist wahrhaftig noch nicht fest
gegründet." — Bei dieser Stimmung ist es um so begreiflicher, daß er in
Kassel blieb, da ihm auch Schlözer die Nothwendigkeit eingeschärft hatte, ein
festes Amt zu suchen. Schliessen schaffte ihm eine Pension von 100 Thlr.,
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