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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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leben. Galt er doch dem Sieg reiner Verfassungsgrundsätze gegen eingewurzelte
Vorurtheile, dem der demokratischen Regungen gegen eine verknöcherte Aristo¬
kratie, so dachte und schrieb man mindestens damals. Grade in den nun
folgenden Jahren begann in Deutschland wieder das Studium der englischen
neben dem der französischen Verfassungsgrundsätze; und meinte man auch
wieder, daß die Dreitheilung der politischen Richtungen und die Dreitheilung
der Gewalten in England viel cousequenter durchgeführt sei als in Frankreich.
Das damals tonangebende Rotteck-WelÄersche Staatslexikon bewundert und
versieht gleichmäßig englische wie französische Principien, von deren diametralem
Gegensatz in ihrer tiefem Begründung man damals kaum etwas ahnte. Wenn
man später den "Konstitutionellen" den Vorwurf gemacht hat, daß sie blinde
Bewunderer Englands seien, so trifft dies mindestens für die Zeit vor 1840
nicht zu, die Bewunderung war eine sehr getheilte, und die Stimmung der
liberalen Kreise ost genug England abgeneigt, wie sich das namentlich bei
der Auffassung irischer Zustünde und der O'Connelschen Agitation deutlich
genug kundgab.

Die vierziger Jahre sollten auch hierin viel ändern. Das gegen die
Franzosen im Jahre 1840 angefachte Nationalgefühl in Deutschland blieb
natürlich bei diesem einen Ergebniß nicht stehen; man untersuchte, man kriti-
sirte die französischen Zustände und fand immer mehr Glanz als Gold darin,
man hatte eigne Bestrebungen und eigne Wünsche, und so laut auch in Preu¬
ßen der Ruf nach der längst verheißenen Verfassung war, in dem Kampfe danach
ward man sich klar, daß sie allein das sittliche und politische Bedürfniß der
Nation nicht ausfülle. Und während nun im weitern Verlaufe in Frankreich
der Verfassungsboden immer tiefer unterhöhlt, während in Deutschland wieder
einmal reiche Hoffnungen zu Grabe getragen wurden, entwickelte sich auf eng¬
lischem Boden der gigantische Kampf um Aufhebung der Kornzölle, außerhalb
der Mauern des Parlaments und in ihnen. Der Continent staunte und be¬
wunderte, und pur deutschen und französischen Schutzzöllnern ward es möglich,
dieses ganze große Ereigniß als ein abgekartetes Jnscenesetzen britischer Be¬
gehrlichkeit darzustellen. Die Cobdensche League siegte, und die deutsche
Presse bewies nun in allem Ernst, mit der britischen Aristokratie- sei es vor¬
bei; so wenig Verständniß hatte man noch sür das eigentliche Leben im eng¬
lischen Volk, und so sehr hatte man sich an das Consequenzmachen aus der
rein äußerlichen Entwicklung gewöhnt. Man kann wol sagen, daß bis zum
Beginn des Jahres 1848 die deutschen Sympathien sür England in stetem
Steigen begriffen waren, wenn auch noch nicht das Verständniß englischer Zu¬
stände. Eine Ausnahme machten solche Kreise, welche sich als die socialisti¬
schen jener Zeit bezeichneten, und welche mit der französischen Phraseologie
auch französische Ab- und Zuneigungen in unser Vaterland herüberbrachten.


leben. Galt er doch dem Sieg reiner Verfassungsgrundsätze gegen eingewurzelte
Vorurtheile, dem der demokratischen Regungen gegen eine verknöcherte Aristo¬
kratie, so dachte und schrieb man mindestens damals. Grade in den nun
folgenden Jahren begann in Deutschland wieder das Studium der englischen
neben dem der französischen Verfassungsgrundsätze; und meinte man auch
wieder, daß die Dreitheilung der politischen Richtungen und die Dreitheilung
der Gewalten in England viel cousequenter durchgeführt sei als in Frankreich.
Das damals tonangebende Rotteck-WelÄersche Staatslexikon bewundert und
versieht gleichmäßig englische wie französische Principien, von deren diametralem
Gegensatz in ihrer tiefem Begründung man damals kaum etwas ahnte. Wenn
man später den „Konstitutionellen" den Vorwurf gemacht hat, daß sie blinde
Bewunderer Englands seien, so trifft dies mindestens für die Zeit vor 1840
nicht zu, die Bewunderung war eine sehr getheilte, und die Stimmung der
liberalen Kreise ost genug England abgeneigt, wie sich das namentlich bei
der Auffassung irischer Zustünde und der O'Connelschen Agitation deutlich
genug kundgab.

Die vierziger Jahre sollten auch hierin viel ändern. Das gegen die
Franzosen im Jahre 1840 angefachte Nationalgefühl in Deutschland blieb
natürlich bei diesem einen Ergebniß nicht stehen; man untersuchte, man kriti-
sirte die französischen Zustände und fand immer mehr Glanz als Gold darin,
man hatte eigne Bestrebungen und eigne Wünsche, und so laut auch in Preu¬
ßen der Ruf nach der längst verheißenen Verfassung war, in dem Kampfe danach
ward man sich klar, daß sie allein das sittliche und politische Bedürfniß der
Nation nicht ausfülle. Und während nun im weitern Verlaufe in Frankreich
der Verfassungsboden immer tiefer unterhöhlt, während in Deutschland wieder
einmal reiche Hoffnungen zu Grabe getragen wurden, entwickelte sich auf eng¬
lischem Boden der gigantische Kampf um Aufhebung der Kornzölle, außerhalb
der Mauern des Parlaments und in ihnen. Der Continent staunte und be¬
wunderte, und pur deutschen und französischen Schutzzöllnern ward es möglich,
dieses ganze große Ereigniß als ein abgekartetes Jnscenesetzen britischer Be¬
gehrlichkeit darzustellen. Die Cobdensche League siegte, und die deutsche
Presse bewies nun in allem Ernst, mit der britischen Aristokratie- sei es vor¬
bei; so wenig Verständniß hatte man noch sür das eigentliche Leben im eng¬
lischen Volk, und so sehr hatte man sich an das Consequenzmachen aus der
rein äußerlichen Entwicklung gewöhnt. Man kann wol sagen, daß bis zum
Beginn des Jahres 1848 die deutschen Sympathien sür England in stetem
Steigen begriffen waren, wenn auch noch nicht das Verständniß englischer Zu¬
stände. Eine Ausnahme machten solche Kreise, welche sich als die socialisti¬
schen jener Zeit bezeichneten, und welche mit der französischen Phraseologie
auch französische Ab- und Zuneigungen in unser Vaterland herüberbrachten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/93>, abgerufen am 22.07.2024.