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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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sich daran knüpften, erregten sie die Aufmerksamkeit der gedrückten Völker, und
vor allem ward England wieder ein Gegenstand des Neides und des Studiums.
In diese Jahre fällt das noch classische Buch des Frh. v. Vincke (Bater des
bekannten preuß. Kammerredners) "über die Verwaltung Großbritanniens",
in welchem mit warmer Bewunderung namentlich das Institut der Friedens¬
richter, wie England sie verstand und eingesetzt hatte, geschildert, und dabei
abweichend von den bisher fast nur im französischen Sinne aufgefaßten Beur¬
theilungen Englands über die Verfassungsformen hinweg der innere Kern des
englischen Rechts- und Staatslebens erfaßt wurde.

Auch die französische Uebermacht sand ihr Ende, aber auch die Ideale
verschwanden, welche man an deren Aufhören geknüpft hatte. Es begann
eine der traurigsten Epochen der ganzen neuern Zeit, wo die Abmattung der
Völker nur dazu benutzt wurde, um ihren tiefern politischen und moralischen
Bedürfnissen entgegenzuhandeln. In Frankreich setzten sich die legitime Dynastie
und die alten Feudalritter in das Staatsgetriebe, wie die Revolution und
Napoleon es geschaffen hatte, ganz behaglich nieder und verschönerten es nur
durch eine Verfassung, welche im Allgemeinen die Grundlage der Dreitheilung
der Gewalten hatte, natürlich mit dem Hintergedanken der sie octroyirenden
Regierung, daß der Verwaltung stets der Löwenantheil bleiben sollte, und
mit dem noch weitern Hintergedanken der Geistlichkeit und des alten Adels,
das alte Regime wieder einzurichten. Schlimmer sah es in Italien und Spa¬
nien aus, wo die alte Zeit in ihrer ganzen politischen und sittlichen Fäulniß
wieder auferstand und von den Bevölkerungen um so ingrimmiger wieder
ausgenommen wurde, als eine andere Zeit und andere Grundsätze doch noch
in ihren eignen Erinnerungen lebten. Selbst hinter Rußland blieben sie zurück,
das sich damals einigen liberalen Anstrich gab, grade wie in der heutigen
Zeit. In der Mitte Europas lag das europäische Aschenbrödel, unser armes
zu Austauschen aller Art benutztes deutsches Vaterland, dem statt der heiß er¬
sehnten Einheit eine nach bloßen Convenienzen vorgenommene Zersplit¬
terung, statt der zugesagten Freiheit ein wunderbares Gemisch von jedenfalls
der freien Entwicklung beraubten Verfassungszuständen zu Theil ward. Da
waren Regierungen, bei welchen das legitime Bewußtsein wo möglich die
ganze Vergangenheit des letzten Jahrzehnts zu streichen bemüht war, und
wieder andere, welche noch in dem ganzen Vollgefühl der durch Napoleon erlangten
"Souveränetät" schwelgten. Die einen wollten ihre Unterthanen durch ein
straffes Beamtenthum beglücken, und die andern benutzten ein immerhin kärg¬
lich zugemessenes Verfassungsleben als sichernde Handhabe gegen die sehr
begreifliche Hegemonie Oestreichs und Preußens am Bundestage.

Es war eine finstere Zeit, vor allem, wie gesagt, sür unser Vaterland.
Leider wollte es der Gang der Geschichte, daß eine bessere Zeit von Paris,


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sich daran knüpften, erregten sie die Aufmerksamkeit der gedrückten Völker, und
vor allem ward England wieder ein Gegenstand des Neides und des Studiums.
In diese Jahre fällt das noch classische Buch des Frh. v. Vincke (Bater des
bekannten preuß. Kammerredners) „über die Verwaltung Großbritanniens",
in welchem mit warmer Bewunderung namentlich das Institut der Friedens¬
richter, wie England sie verstand und eingesetzt hatte, geschildert, und dabei
abweichend von den bisher fast nur im französischen Sinne aufgefaßten Beur¬
theilungen Englands über die Verfassungsformen hinweg der innere Kern des
englischen Rechts- und Staatslebens erfaßt wurde.

Auch die französische Uebermacht sand ihr Ende, aber auch die Ideale
verschwanden, welche man an deren Aufhören geknüpft hatte. Es begann
eine der traurigsten Epochen der ganzen neuern Zeit, wo die Abmattung der
Völker nur dazu benutzt wurde, um ihren tiefern politischen und moralischen
Bedürfnissen entgegenzuhandeln. In Frankreich setzten sich die legitime Dynastie
und die alten Feudalritter in das Staatsgetriebe, wie die Revolution und
Napoleon es geschaffen hatte, ganz behaglich nieder und verschönerten es nur
durch eine Verfassung, welche im Allgemeinen die Grundlage der Dreitheilung
der Gewalten hatte, natürlich mit dem Hintergedanken der sie octroyirenden
Regierung, daß der Verwaltung stets der Löwenantheil bleiben sollte, und
mit dem noch weitern Hintergedanken der Geistlichkeit und des alten Adels,
das alte Regime wieder einzurichten. Schlimmer sah es in Italien und Spa¬
nien aus, wo die alte Zeit in ihrer ganzen politischen und sittlichen Fäulniß
wieder auferstand und von den Bevölkerungen um so ingrimmiger wieder
ausgenommen wurde, als eine andere Zeit und andere Grundsätze doch noch
in ihren eignen Erinnerungen lebten. Selbst hinter Rußland blieben sie zurück,
das sich damals einigen liberalen Anstrich gab, grade wie in der heutigen
Zeit. In der Mitte Europas lag das europäische Aschenbrödel, unser armes
zu Austauschen aller Art benutztes deutsches Vaterland, dem statt der heiß er¬
sehnten Einheit eine nach bloßen Convenienzen vorgenommene Zersplit¬
terung, statt der zugesagten Freiheit ein wunderbares Gemisch von jedenfalls
der freien Entwicklung beraubten Verfassungszuständen zu Theil ward. Da
waren Regierungen, bei welchen das legitime Bewußtsein wo möglich die
ganze Vergangenheit des letzten Jahrzehnts zu streichen bemüht war, und
wieder andere, welche noch in dem ganzen Vollgefühl der durch Napoleon erlangten
„Souveränetät" schwelgten. Die einen wollten ihre Unterthanen durch ein
straffes Beamtenthum beglücken, und die andern benutzten ein immerhin kärg¬
lich zugemessenes Verfassungsleben als sichernde Handhabe gegen die sehr
begreifliche Hegemonie Oestreichs und Preußens am Bundestage.

Es war eine finstere Zeit, vor allem, wie gesagt, sür unser Vaterland.
Leider wollte es der Gang der Geschichte, daß eine bessere Zeit von Paris,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/91>, abgerufen am 22.07.2024.