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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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zu bewegen. Erst später, als in England die Sachen dennoch leidlich weiter
gingen, schlug die Stimmung um, namentlich in Frankreich, das durch
Ludwig 14. in einen traurigen Zustand gerathen war. Nicht blos De-
lolme und Montesquieu, welche der von ihnen so bewunderten englischen Ver¬
fassung die folgenschwere Dreitheilung der Gewalten unterschoben, sondern
auch Voltaire und nach ihm die Schar der Encyklopädisten waren in mehr
oder minderem Grade warme Anhänger der öffentlichen Zustände Englands,
von woher sie auch ein gutes Theil ihres gegen die heimischen Mißstünde
gerichteten Rüstzeugs holten.

Bekannt ist es, daß es noch bei Beginn der ersten französischen Revolution in
der Nationalversammlung, namentlich unter demjenigen Theile des Adels, welcher
die alte Monarchie auf Grundlage freierer Zustände festsetzen wollte, sehr
eifrige Anhänger der englischen Verfassung gab, und es soll selbst Mirabeau dazu
gezählt haben. Eine andere Richtung, die nach einer wohlschematisirten Ver¬
fassung, die erste unter vielen Nachfolgern, wog jedoch vor. Und wie die
Franzosen sangen, so hallte es in Deutschland wieder. Außerordentlich be¬
zeichnend ist in dieser Beziehung Archenholz, einer der wenigen wirklichen
deutschen Publrcisten der damaligen Zeit. Während er noch in seinem "Eng¬
land und Italien" (erschienen 178?) England ein ungemessenes Lob ertheilt,
wie es höchstens im Vergleich zu den Continentalzuständen einige Rechtfertigung
erhalten konnte, und selbst die unstreitigen Züge von Rohheit und Bornirtheit
in Volkssitte und Volksstimmung in England meist nur als die liebenswür¬
digen Excentricitäten eines Genies behandelt, beginnt 1792 die "Minerva"
schon in einem ganz andern Ton. Die wahre Freiheit sei gefunden, aber
diesseit des Kanals, nämlich in Paris, und im Grunde sei in England doch
nur ein Gemisch von ungewaschenen Zuständen und unfreien Einrichtungen.
Archenholz sprach damit die im Bürgerstande auf dem Continent ziemlich all¬
gemein herrschende Ansicht aus; namentlich war man in Deutschland schon
damals bereit, die keimende Verehrung Englands mit der freiwilligen Buße
einer gründlichen Verachtung des einstigen Idols zu sühnen. Später fesselten
die Kriege der Republik die öffentliche Aufmerksamkeit fast ausschließlich, nach¬
dem die Schreckensherrschaft die Bewunderung sür die französische Freiheit
zwar gemindert, aber die für die englischen Zustände nicht gemehrt hatte.
Noch später hatte man nur Sinn für den jungen Helden Bonaparte, und end¬
lich nur für seine eignen Leiden, zudem die Zeitgenossen deren Ende nicht
abzusehen vermochten. Die Zähigkeit des englischen Widerstands ward auf
dem Continent nur von Wenigen verstanden und von noch Wenigem mit Hoff¬
nungen begleitet. Ebenso wenig fand die als hoffnungslos erachtete Erhebung
der Spanier und deren anfangs von wiederholtem Mißgeschick begleitete Unter¬
stützung durch die Engländer allgemeinen Beifall. Erst als größere Erfolge


zu bewegen. Erst später, als in England die Sachen dennoch leidlich weiter
gingen, schlug die Stimmung um, namentlich in Frankreich, das durch
Ludwig 14. in einen traurigen Zustand gerathen war. Nicht blos De-
lolme und Montesquieu, welche der von ihnen so bewunderten englischen Ver¬
fassung die folgenschwere Dreitheilung der Gewalten unterschoben, sondern
auch Voltaire und nach ihm die Schar der Encyklopädisten waren in mehr
oder minderem Grade warme Anhänger der öffentlichen Zustände Englands,
von woher sie auch ein gutes Theil ihres gegen die heimischen Mißstünde
gerichteten Rüstzeugs holten.

Bekannt ist es, daß es noch bei Beginn der ersten französischen Revolution in
der Nationalversammlung, namentlich unter demjenigen Theile des Adels, welcher
die alte Monarchie auf Grundlage freierer Zustände festsetzen wollte, sehr
eifrige Anhänger der englischen Verfassung gab, und es soll selbst Mirabeau dazu
gezählt haben. Eine andere Richtung, die nach einer wohlschematisirten Ver¬
fassung, die erste unter vielen Nachfolgern, wog jedoch vor. Und wie die
Franzosen sangen, so hallte es in Deutschland wieder. Außerordentlich be¬
zeichnend ist in dieser Beziehung Archenholz, einer der wenigen wirklichen
deutschen Publrcisten der damaligen Zeit. Während er noch in seinem „Eng¬
land und Italien" (erschienen 178?) England ein ungemessenes Lob ertheilt,
wie es höchstens im Vergleich zu den Continentalzuständen einige Rechtfertigung
erhalten konnte, und selbst die unstreitigen Züge von Rohheit und Bornirtheit
in Volkssitte und Volksstimmung in England meist nur als die liebenswür¬
digen Excentricitäten eines Genies behandelt, beginnt 1792 die „Minerva"
schon in einem ganz andern Ton. Die wahre Freiheit sei gefunden, aber
diesseit des Kanals, nämlich in Paris, und im Grunde sei in England doch
nur ein Gemisch von ungewaschenen Zuständen und unfreien Einrichtungen.
Archenholz sprach damit die im Bürgerstande auf dem Continent ziemlich all¬
gemein herrschende Ansicht aus; namentlich war man in Deutschland schon
damals bereit, die keimende Verehrung Englands mit der freiwilligen Buße
einer gründlichen Verachtung des einstigen Idols zu sühnen. Später fesselten
die Kriege der Republik die öffentliche Aufmerksamkeit fast ausschließlich, nach¬
dem die Schreckensherrschaft die Bewunderung sür die französische Freiheit
zwar gemindert, aber die für die englischen Zustände nicht gemehrt hatte.
Noch später hatte man nur Sinn für den jungen Helden Bonaparte, und end¬
lich nur für seine eignen Leiden, zudem die Zeitgenossen deren Ende nicht
abzusehen vermochten. Die Zähigkeit des englischen Widerstands ward auf
dem Continent nur von Wenigen verstanden und von noch Wenigem mit Hoff¬
nungen begleitet. Ebenso wenig fand die als hoffnungslos erachtete Erhebung
der Spanier und deren anfangs von wiederholtem Mißgeschick begleitete Unter¬
stützung durch die Engländer allgemeinen Beifall. Erst als größere Erfolge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/90>, abgerufen am 22.07.2024.