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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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forderte derselbe doch zunächst so massenhafte und häufig wiederholte Rekru-
tirungen, daß selbst nach russischem Eingeständnis der Ackerbau ländergroßer
Provinzen gänzlich vernachlässigt darniederlag, ehe noch die allgemeine Volks¬
bewaffnung ins Leben gerufen wurde. Der Adel, welchem dadurch ungeheure
Einbußen an seinem Besitzthum auferlegt wurden, ward von dieser Calamität
bereits äußerst verarmt betroffen. Den Beweis dafür hatte die Thatsache
geboten, daß die Regierung die im Anfange des Krieges decretirte allgemeine
Rückzahlung der grundherrlichen Hypothekschulden an die Reichscreditanstalten
nicht durchzuführen vermochte. Die durch massenhafte Zwangsverkäufe dro¬
hende Entwerthung des Grundbesitzes erschien vielmehr so unberechenbar, daß
der Staat eine Stundung der Rückzahlungen auf unbestimmte Zeit eintreten
d. h. die ganze Finanzoperation fallen lassen mußte. Man schritt nun einfach
zur massenhaften, oft wiederholten Creirung von Schatzscheinen. Aber dieses
Auskunftsmittel und die notorische Noth konnte dennoch den Grundadel nicht
von der patriotische" Verpflichtung befreien, gezwungenermaßen in freiwilligen
Kriegsopfern seine finanziellen Kräfte vollends zu erschöpfen. Die relative
Geringfügigkeit der auf diese Weise aufgebrachten Gelder bewies von neuem,
wie arm bereits der Adel war. Man darf aber dabei nicht vergessen, daß der
Adel, namentlich die Nationalpartei, alle diese Anstrengungen und Opfer in
der sichern, von oben her genährten Hoffnung aufwendete, daß Rußland den
Kampf mit Entschiedenheit zu Ende führen werde.

Diese Hoffnung rief auch die Gesammtheit der Nation unter die Waffen.
Den Leibeigenen wurde ihre Freiheit von den patriotischen Agitatoren grade-
zu als Lohn ihrer Tapferkeit verheißen. Es braucht nun nicht daran erinnert
zu werden, wie wenig der Ausgang des Krieges den Wünschen der nationalen
Partei entsprach. Je ausschließlicher aber nunmehr echtrussische Elemente die
obersten Verwaltungsposten des Reiches occupirten, desto sicherer wiegten sich
die Aristokraten in der Hoffnung, daß der junge Zar durch sein inneres System
den murrenden Nationaladel für seine Kriegsopfer entschädigen werde. Auch
erschien bekanntlich unmittelbar nach dem Frieden bei der Entlassung der
Reichswehr ein Ukas, welcher die strengste Aufrechthaltung der Leibeigenschafts¬
verhältnisse anordnete und den Gemeinden einschürfte (April 1856). Die
Krönungsfeste brachten dann die Anordnung einer allgemeinen Volkszählung
zur Regulirung der Steuerverhültnisse, den Erlaß der rückständigen Steuern,
Amnestie für die wegen der politischen Verschwörungen und Revolten von 1825,
1827 und 1831 Verurtheilten, endlich die vierjährige Einstellung der Recru-
tirungen, d. h. also lauter Concessionen an die Aristokratie und für den
Grundadel die specielle Garantie, vier Jahre lang vor directen Vermögens¬
opfern gesichert zu sein, die freie Bauernbevölkerung nicht anwachsen zu
sehen. Niemand schien seine Hoffnungen unerfüllt sehen zu sollen, als die '


forderte derselbe doch zunächst so massenhafte und häufig wiederholte Rekru-
tirungen, daß selbst nach russischem Eingeständnis der Ackerbau ländergroßer
Provinzen gänzlich vernachlässigt darniederlag, ehe noch die allgemeine Volks¬
bewaffnung ins Leben gerufen wurde. Der Adel, welchem dadurch ungeheure
Einbußen an seinem Besitzthum auferlegt wurden, ward von dieser Calamität
bereits äußerst verarmt betroffen. Den Beweis dafür hatte die Thatsache
geboten, daß die Regierung die im Anfange des Krieges decretirte allgemeine
Rückzahlung der grundherrlichen Hypothekschulden an die Reichscreditanstalten
nicht durchzuführen vermochte. Die durch massenhafte Zwangsverkäufe dro¬
hende Entwerthung des Grundbesitzes erschien vielmehr so unberechenbar, daß
der Staat eine Stundung der Rückzahlungen auf unbestimmte Zeit eintreten
d. h. die ganze Finanzoperation fallen lassen mußte. Man schritt nun einfach
zur massenhaften, oft wiederholten Creirung von Schatzscheinen. Aber dieses
Auskunftsmittel und die notorische Noth konnte dennoch den Grundadel nicht
von der patriotische» Verpflichtung befreien, gezwungenermaßen in freiwilligen
Kriegsopfern seine finanziellen Kräfte vollends zu erschöpfen. Die relative
Geringfügigkeit der auf diese Weise aufgebrachten Gelder bewies von neuem,
wie arm bereits der Adel war. Man darf aber dabei nicht vergessen, daß der
Adel, namentlich die Nationalpartei, alle diese Anstrengungen und Opfer in
der sichern, von oben her genährten Hoffnung aufwendete, daß Rußland den
Kampf mit Entschiedenheit zu Ende führen werde.

Diese Hoffnung rief auch die Gesammtheit der Nation unter die Waffen.
Den Leibeigenen wurde ihre Freiheit von den patriotischen Agitatoren grade-
zu als Lohn ihrer Tapferkeit verheißen. Es braucht nun nicht daran erinnert
zu werden, wie wenig der Ausgang des Krieges den Wünschen der nationalen
Partei entsprach. Je ausschließlicher aber nunmehr echtrussische Elemente die
obersten Verwaltungsposten des Reiches occupirten, desto sicherer wiegten sich
die Aristokraten in der Hoffnung, daß der junge Zar durch sein inneres System
den murrenden Nationaladel für seine Kriegsopfer entschädigen werde. Auch
erschien bekanntlich unmittelbar nach dem Frieden bei der Entlassung der
Reichswehr ein Ukas, welcher die strengste Aufrechthaltung der Leibeigenschafts¬
verhältnisse anordnete und den Gemeinden einschürfte (April 1856). Die
Krönungsfeste brachten dann die Anordnung einer allgemeinen Volkszählung
zur Regulirung der Steuerverhültnisse, den Erlaß der rückständigen Steuern,
Amnestie für die wegen der politischen Verschwörungen und Revolten von 1825,
1827 und 1831 Verurtheilten, endlich die vierjährige Einstellung der Recru-
tirungen, d. h. also lauter Concessionen an die Aristokratie und für den
Grundadel die specielle Garantie, vier Jahre lang vor directen Vermögens¬
opfern gesichert zu sein, die freie Bauernbevölkerung nicht anwachsen zu
sehen. Niemand schien seine Hoffnungen unerfüllt sehen zu sollen, als die '


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/68>, abgerufen am 22.07.2024.