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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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und Interessen wahrzunehmen? denn bei uns kann auf die Einsicht sogleich
der Entschluß folgen, während wir nach- Oben hin. auch wenn man uns in
manchen Punkten Recht gibt, leicht als unbequeme, lästige Rathgeber erscheinen
und der Sache schaden, die wir fördern wollen.

Der erste Punkt, auf den es ankommt, ist nun, dem Volke nachzuweisen,
daß es selbst Hand anlegen muß, wenn etwas geschehen sott; daß in dem
parlamentarischen Leben, wie verkümmert es auch für den Augenblick aus¬
sieht, der Mittelpunkt aller politischen und bürgerlichen Entwicklung ruht; daß
das Recht der Wahl zugleich eine Verpflichtung einschließt, und daß von allen
abgeschmackten und feigen Redensarten die abgeschmackteste und feigste die
ist, man werde unter den gegebenen Umständen doch nichts erreichen, des¬
halb solle man lieber gar nichts thun. Wir sind keineswegs leidenschaftliche
Anhänger des gegenwärtigen Wahlgesetzes, noch weniger der Art und Weise,
wie es gehandhabt wird; aber ein Wahlgesetz mag noch so schlecht, die Hand¬
habung desselben mag noch so unredlich sein: wo wirklich ein ernster Wille
im Volke lebt, wird er sich durchsetzen. Es gereicht uns daher zur großen
Befriedigung, daß die Demokraten -- um eine Bezeichnung zu gebrauchen, die
eigentlich autiquirt. für die aber noch keine andere gefunden ist -- jetzt ihr
Publicum nach derselben Richtung anregen, wie noch neulich Graf Reichen¬
bach in Schlesien, der solgendes sagt: "Ob Preußens Verfassung und Wahl¬
gesetz nach Landrechtsgrundsätzen ganz rechtsbeständig sind, ist ihm gleich-
giltig, ihm genügt, daß sie bestehen und er außer ihrer Wirksamkeit, ohne
landflüchtig zu werden, nicht leben kann." Freilich wird es ihnen schwerer
werden, dem Publicum deutlich zu macheu, es müsse etwas thun, um seine
Pflicht zu erfüllen, als es früher siel, ihm die Enthaltsamkeit als politische
Weisheit darzustellen; aber wenn sie fortwährend mit Ernst und Eifer darauf
zurückkommen, so wird es seine Wirkung nicht verfehlen, und jeder Gutgesinnte
wird sie darin unterstützen.

Wir haben noch einen andern Grund, ihnen einen recht bedeutenden Er¬
folg zu wünschen. Durch das Nichtwählen der Demokratie hat der Landtag
eine falsche Physiognomie bekommen, und namentlich die Opposition, die im
Allgemeinen unsere Ansichten vertritt, steht nicht am rechten Platz. Sie ge¬
hört mit ihren Ansichten und, wenn man uns den Ausdruck zu Gute halten
will, mit ihrem Temperament ins Centrum, und es wird sür sie wie für den
gcscnnmten Landtag segensreich sein, wenn neben ihr eine wirkliche Linke exi-
stirt, die nothwendig ist, um dem entgegengesetzten Extrem der Rechten die
Wage zu halten. Man mißverstehe uns nicht so, als wollten wir eine Partei¬
scheidung ausrechthaltcn, die ihren realen Boden verloren hat: der Wähler
soll sich nicht darum kümmern, auf welcher Seite sein Candidat vor zehn
Jahren stand; denn es müßte'sonderbar zugehen, wenn eine zehnjährige Er¬


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und Interessen wahrzunehmen? denn bei uns kann auf die Einsicht sogleich
der Entschluß folgen, während wir nach- Oben hin. auch wenn man uns in
manchen Punkten Recht gibt, leicht als unbequeme, lästige Rathgeber erscheinen
und der Sache schaden, die wir fördern wollen.

Der erste Punkt, auf den es ankommt, ist nun, dem Volke nachzuweisen,
daß es selbst Hand anlegen muß, wenn etwas geschehen sott; daß in dem
parlamentarischen Leben, wie verkümmert es auch für den Augenblick aus¬
sieht, der Mittelpunkt aller politischen und bürgerlichen Entwicklung ruht; daß
das Recht der Wahl zugleich eine Verpflichtung einschließt, und daß von allen
abgeschmackten und feigen Redensarten die abgeschmackteste und feigste die
ist, man werde unter den gegebenen Umständen doch nichts erreichen, des¬
halb solle man lieber gar nichts thun. Wir sind keineswegs leidenschaftliche
Anhänger des gegenwärtigen Wahlgesetzes, noch weniger der Art und Weise,
wie es gehandhabt wird; aber ein Wahlgesetz mag noch so schlecht, die Hand¬
habung desselben mag noch so unredlich sein: wo wirklich ein ernster Wille
im Volke lebt, wird er sich durchsetzen. Es gereicht uns daher zur großen
Befriedigung, daß die Demokraten — um eine Bezeichnung zu gebrauchen, die
eigentlich autiquirt. für die aber noch keine andere gefunden ist — jetzt ihr
Publicum nach derselben Richtung anregen, wie noch neulich Graf Reichen¬
bach in Schlesien, der solgendes sagt: „Ob Preußens Verfassung und Wahl¬
gesetz nach Landrechtsgrundsätzen ganz rechtsbeständig sind, ist ihm gleich-
giltig, ihm genügt, daß sie bestehen und er außer ihrer Wirksamkeit, ohne
landflüchtig zu werden, nicht leben kann." Freilich wird es ihnen schwerer
werden, dem Publicum deutlich zu macheu, es müsse etwas thun, um seine
Pflicht zu erfüllen, als es früher siel, ihm die Enthaltsamkeit als politische
Weisheit darzustellen; aber wenn sie fortwährend mit Ernst und Eifer darauf
zurückkommen, so wird es seine Wirkung nicht verfehlen, und jeder Gutgesinnte
wird sie darin unterstützen.

Wir haben noch einen andern Grund, ihnen einen recht bedeutenden Er¬
folg zu wünschen. Durch das Nichtwählen der Demokratie hat der Landtag
eine falsche Physiognomie bekommen, und namentlich die Opposition, die im
Allgemeinen unsere Ansichten vertritt, steht nicht am rechten Platz. Sie ge¬
hört mit ihren Ansichten und, wenn man uns den Ausdruck zu Gute halten
will, mit ihrem Temperament ins Centrum, und es wird sür sie wie für den
gcscnnmten Landtag segensreich sein, wenn neben ihr eine wirkliche Linke exi-
stirt, die nothwendig ist, um dem entgegengesetzten Extrem der Rechten die
Wage zu halten. Man mißverstehe uns nicht so, als wollten wir eine Partei¬
scheidung ausrechthaltcn, die ihren realen Boden verloren hat: der Wähler
soll sich nicht darum kümmern, auf welcher Seite sein Candidat vor zehn
Jahren stand; denn es müßte'sonderbar zugehen, wenn eine zehnjährige Er¬


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/491>, abgerufen am 22.07.2024.