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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Aber nicht allein die Todten, auch aller "Vorspuk" ist in dieser Nacht
lebendig. Während die Bettler ihren Rundgang machen, sehen sie zuweilen
eine Kerze vom Himmel fallen, deren Flamme nach unten gekehrt ist und in
mattweißem Lichte schimmert. Es ist die "Todtenkerze", die sich dem.Hause
zusenkt, wo binnen kurzer Zeit eine Seele vom Körper scheiden soll. Ge¬
wöhnlich verlöscht sie, sobald sie das Dach des Hauses, dem die Weissagung
gilt, berührt hat; zuweilen sinkt sie aber auch durch den Schornstein hinunter,
und mehr als eine treue .Krankenwärterin hat das gespenstische Licht über
dem Haupte des Kranken schweben und erst auf seinem Kopfkissen verlöschen
sehen. Es ist übrigens immer der Vorbote eines sanften Todes, und wenn
man bei seinem Anblick nicht versäumt ein Ave Maria zu beten, bleibt es
für den, der es sieht, ohne alle Gefahr.

Desto unheilvoller ist die Begegnung des "Todtenwagens", den man
häufig in langen, dunkeln Nächten, besonders aber in der Allerseclennacht
durch die Dorfgassen rasseln hört. Es ist ein großer, schwarzbehangener
Wagen, der einen schwarzen, mit Todtenköpfen verzierten Sarg trägt. Acht
weiße Pferde sind davor gespannt, und acht weiße Hunde geben ihm das Ge¬
leit. Wer ihn erblickt, muß unfehlbar im Laufe des Jahres sterben, und wo
er anhält wird innerhalb desselben Zeitraums eine Leiche im Hause sein.
Darum wirft sich der verspätete Wanderer, der den unheimlichen Wagen
hernnrasscln hört, mit dem Gesicht zur Erde, die Schläfer, die in den Häusern
davon erwachen, ziehen die Decke über den Kops und alle beten zur Mutter
der Gnaden, daß sie ihn rasch vorüberfuhren möge.

Außer diesen "Verkündigungen", die in der ganzen Bretagne bekannt
sind, hat noch jeder District seine Localgcspenster, deren Erscheinen Tod oder
Unheil ansagt, und die ebenfalls nicht versäumen, sich in der Allerseelen¬
nacht zu zeigen.

Bald ist es -- wie in der Gemeinde von Nizon -- ein alter Mönch, der
klagend umherirrt; bald sind es die "Wäscherinnen", weiße Frauen, die an
Bächen oder Flüssen die Hemden der Todten waschen und dazu in einer
schauerlichen Litanei die Namen derer absingen, die in der nächsten Zeit
sterben sollen. Oder das Niesenirrlicht verläßt die Stätte, wo ein Mord be¬
gangen wurde, um an dem Orte zu tanzen, wo neues Unheil droht. Oder
die "rothen Mönche" reite" in ihren weißen Mänteln auf Pferdegerippen
durch das Land, um an die Thür der Unglückseliger zu pochen, die den Hei¬
ligen die Ehre versagen, die ihnen gebührt -- und dazu schreien die Eulen,
die Wetterfahnen kreischen, der Wind fährt heulend um die Giebel und durch
die Bäume, unheimlich murmelt es im Wasser -- und alle diese Stimmen
klagen oder warnen, nur schade, daß sie von so wenig Menschen verstanden
werden.


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Aber nicht allein die Todten, auch aller „Vorspuk" ist in dieser Nacht
lebendig. Während die Bettler ihren Rundgang machen, sehen sie zuweilen
eine Kerze vom Himmel fallen, deren Flamme nach unten gekehrt ist und in
mattweißem Lichte schimmert. Es ist die „Todtenkerze", die sich dem.Hause
zusenkt, wo binnen kurzer Zeit eine Seele vom Körper scheiden soll. Ge¬
wöhnlich verlöscht sie, sobald sie das Dach des Hauses, dem die Weissagung
gilt, berührt hat; zuweilen sinkt sie aber auch durch den Schornstein hinunter,
und mehr als eine treue .Krankenwärterin hat das gespenstische Licht über
dem Haupte des Kranken schweben und erst auf seinem Kopfkissen verlöschen
sehen. Es ist übrigens immer der Vorbote eines sanften Todes, und wenn
man bei seinem Anblick nicht versäumt ein Ave Maria zu beten, bleibt es
für den, der es sieht, ohne alle Gefahr.

Desto unheilvoller ist die Begegnung des „Todtenwagens", den man
häufig in langen, dunkeln Nächten, besonders aber in der Allerseclennacht
durch die Dorfgassen rasseln hört. Es ist ein großer, schwarzbehangener
Wagen, der einen schwarzen, mit Todtenköpfen verzierten Sarg trägt. Acht
weiße Pferde sind davor gespannt, und acht weiße Hunde geben ihm das Ge¬
leit. Wer ihn erblickt, muß unfehlbar im Laufe des Jahres sterben, und wo
er anhält wird innerhalb desselben Zeitraums eine Leiche im Hause sein.
Darum wirft sich der verspätete Wanderer, der den unheimlichen Wagen
hernnrasscln hört, mit dem Gesicht zur Erde, die Schläfer, die in den Häusern
davon erwachen, ziehen die Decke über den Kops und alle beten zur Mutter
der Gnaden, daß sie ihn rasch vorüberfuhren möge.

Außer diesen „Verkündigungen", die in der ganzen Bretagne bekannt
sind, hat noch jeder District seine Localgcspenster, deren Erscheinen Tod oder
Unheil ansagt, und die ebenfalls nicht versäumen, sich in der Allerseelen¬
nacht zu zeigen.

Bald ist es — wie in der Gemeinde von Nizon — ein alter Mönch, der
klagend umherirrt; bald sind es die „Wäscherinnen", weiße Frauen, die an
Bächen oder Flüssen die Hemden der Todten waschen und dazu in einer
schauerlichen Litanei die Namen derer absingen, die in der nächsten Zeit
sterben sollen. Oder das Niesenirrlicht verläßt die Stätte, wo ein Mord be¬
gangen wurde, um an dem Orte zu tanzen, wo neues Unheil droht. Oder
die „rothen Mönche" reite» in ihren weißen Mänteln auf Pferdegerippen
durch das Land, um an die Thür der Unglückseliger zu pochen, die den Hei¬
ligen die Ehre versagen, die ihnen gebührt — und dazu schreien die Eulen,
die Wetterfahnen kreischen, der Wind fährt heulend um die Giebel und durch
die Bäume, unheimlich murmelt es im Wasser — und alle diese Stimmen
klagen oder warnen, nur schade, daß sie von so wenig Menschen verstanden
werden.


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[0475] Aber nicht allein die Todten, auch aller „Vorspuk" ist in dieser Nacht lebendig. Während die Bettler ihren Rundgang machen, sehen sie zuweilen eine Kerze vom Himmel fallen, deren Flamme nach unten gekehrt ist und in mattweißem Lichte schimmert. Es ist die „Todtenkerze", die sich dem.Hause zusenkt, wo binnen kurzer Zeit eine Seele vom Körper scheiden soll. Ge¬ wöhnlich verlöscht sie, sobald sie das Dach des Hauses, dem die Weissagung gilt, berührt hat; zuweilen sinkt sie aber auch durch den Schornstein hinunter, und mehr als eine treue .Krankenwärterin hat das gespenstische Licht über dem Haupte des Kranken schweben und erst auf seinem Kopfkissen verlöschen sehen. Es ist übrigens immer der Vorbote eines sanften Todes, und wenn man bei seinem Anblick nicht versäumt ein Ave Maria zu beten, bleibt es für den, der es sieht, ohne alle Gefahr. Desto unheilvoller ist die Begegnung des „Todtenwagens", den man häufig in langen, dunkeln Nächten, besonders aber in der Allerseclennacht durch die Dorfgassen rasseln hört. Es ist ein großer, schwarzbehangener Wagen, der einen schwarzen, mit Todtenköpfen verzierten Sarg trägt. Acht weiße Pferde sind davor gespannt, und acht weiße Hunde geben ihm das Ge¬ leit. Wer ihn erblickt, muß unfehlbar im Laufe des Jahres sterben, und wo er anhält wird innerhalb desselben Zeitraums eine Leiche im Hause sein. Darum wirft sich der verspätete Wanderer, der den unheimlichen Wagen hernnrasscln hört, mit dem Gesicht zur Erde, die Schläfer, die in den Häusern davon erwachen, ziehen die Decke über den Kops und alle beten zur Mutter der Gnaden, daß sie ihn rasch vorüberfuhren möge. Außer diesen „Verkündigungen", die in der ganzen Bretagne bekannt sind, hat noch jeder District seine Localgcspenster, deren Erscheinen Tod oder Unheil ansagt, und die ebenfalls nicht versäumen, sich in der Allerseelen¬ nacht zu zeigen. Bald ist es — wie in der Gemeinde von Nizon — ein alter Mönch, der klagend umherirrt; bald sind es die „Wäscherinnen", weiße Frauen, die an Bächen oder Flüssen die Hemden der Todten waschen und dazu in einer schauerlichen Litanei die Namen derer absingen, die in der nächsten Zeit sterben sollen. Oder das Niesenirrlicht verläßt die Stätte, wo ein Mord be¬ gangen wurde, um an dem Orte zu tanzen, wo neues Unheil droht. Oder die „rothen Mönche" reite» in ihren weißen Mänteln auf Pferdegerippen durch das Land, um an die Thür der Unglückseliger zu pochen, die den Hei¬ ligen die Ehre versagen, die ihnen gebührt — und dazu schreien die Eulen, die Wetterfahnen kreischen, der Wind fährt heulend um die Giebel und durch die Bäume, unheimlich murmelt es im Wasser — und alle diese Stimmen klagen oder warnen, nur schade, daß sie von so wenig Menschen verstanden werden. 59*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/475>, abgerufen am 03.07.2024.