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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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weiten Pluderhosen, die bis an die Knie reichen, mit dunkeln Gamaschen und
blank gewichsten Schuhen. Hin und wieder zeigen sich aber auch Gestalten
in vielfarbig zusammengcstückten Kleidern, barfuß oder mit zerbrochenen Holz¬
schuhen an den Füßen, auf Stock oder Krücke.gestützt, inmitten der geputzten
Schar -- es sind die "Lieblinge Gottes", die Armen, die sich in der Bretagne
großer Achtung und Liebe erfreuen. In gleicher Ordnung wie die Bewohner
von Alloadck schließen sich die Wallfahrer der übrigen Gemeinden an. Vor¬
an geht immer die Geistlichkeit mit Kirchenfahne und Crucifix; dann kommen
die Kinder, die Frauen und schließlich die Männer. Hier glänzen die blauen,
roth umränderten Rocke der Strandbewohnerinnen im Sonnenschein; dort
gehen die schwarz gekleideten Frauen von Guerin vorüber; weiterhin erkennt
man die Mädchen aus den Bergen an ihren bunten Tüchern und aufgesteckten
Mützcnbarben. Jene trotzig einherschreitenden Männer in Segeltuchhosen und
schwarzen Schifferjacken sind die Fischer von der Insel Sein; dort, die bun¬
ten Schärpen und Halstücher, gehören den reichen Bauersöhnen aus Nieder-
Cornouaillc, und die unheimlichen Gestalten am Ende des Zuges, die in
lange Tootenhemden gehüllt, mit brennenden Kerzen in den Händen, barfuß,
mit gesenktem Kopfe vorüberziehen, sind die Matrosen der Ennora, die Se.
Aureus Schutz ihre Rettung verdanken und gekommen sind, das Gelübde zu
erfüllen, das sie der wunderreichen Schutzpatronin von Alloadek in ihrer
Todesnoth dargebracht haben.

Rings um den Kirchhof bewegt sich die Procession; jeder, der hier noch
kommt, reiht sich dem Zuge ein, wo die Fahne seines Kirchspiels weht, dann
geht es weiter, immer mit Gesang und Glockenklang -- um das Dorf, durch
die Felder, den Waldessaum entlang und über die Haide, bis zu der so¬
genannten Hirtenquelle. Die Trümmer eines Dolmen liegen daneben; Blu¬
men, ein paar Heiligenbilder und ein Crucifix haben den Heidenstein in einen
christlichen Altar verwandelt. Der Priester segnet die Quelle, den Stein und
die Haide -- nun können die Herden ohne Schaden diese Kräuter abweiden,
von diesem Wasser trinken, und kein böser Geist wird den Hirten erschrecken,
der auf Se. Anne vertrauend sein Lager hier aufschlägt.

Der Zug kehrt ins Dorf zurück; an den verschiedenen Stationsnltären
wird Halt gemacht, um für die Kranken und Unmündigen zu beten, die um
Nundgcmge nicht Theil nehmen konnten; dann gehts zur Kirche. Noch einmal
wird Se. Anne im gemeinschaftlichen Gebet angerufen, endlich spricht der
Priester über die kniende Menge den Segen aus, und mit den verhallenden
Orgeltönen und Glockenklängcn steigt ein tausendstimmiges, frohlockendes Amen
zum glänzenden Abendhimmel auf. Se. Anne hat den Sündern vergeben,
und hat die Bitten der Leidenden gehört; sie wird sich der Kranken erbarmen,


weiten Pluderhosen, die bis an die Knie reichen, mit dunkeln Gamaschen und
blank gewichsten Schuhen. Hin und wieder zeigen sich aber auch Gestalten
in vielfarbig zusammengcstückten Kleidern, barfuß oder mit zerbrochenen Holz¬
schuhen an den Füßen, auf Stock oder Krücke.gestützt, inmitten der geputzten
Schar — es sind die „Lieblinge Gottes", die Armen, die sich in der Bretagne
großer Achtung und Liebe erfreuen. In gleicher Ordnung wie die Bewohner
von Alloadck schließen sich die Wallfahrer der übrigen Gemeinden an. Vor¬
an geht immer die Geistlichkeit mit Kirchenfahne und Crucifix; dann kommen
die Kinder, die Frauen und schließlich die Männer. Hier glänzen die blauen,
roth umränderten Rocke der Strandbewohnerinnen im Sonnenschein; dort
gehen die schwarz gekleideten Frauen von Guerin vorüber; weiterhin erkennt
man die Mädchen aus den Bergen an ihren bunten Tüchern und aufgesteckten
Mützcnbarben. Jene trotzig einherschreitenden Männer in Segeltuchhosen und
schwarzen Schifferjacken sind die Fischer von der Insel Sein; dort, die bun¬
ten Schärpen und Halstücher, gehören den reichen Bauersöhnen aus Nieder-
Cornouaillc, und die unheimlichen Gestalten am Ende des Zuges, die in
lange Tootenhemden gehüllt, mit brennenden Kerzen in den Händen, barfuß,
mit gesenktem Kopfe vorüberziehen, sind die Matrosen der Ennora, die Se.
Aureus Schutz ihre Rettung verdanken und gekommen sind, das Gelübde zu
erfüllen, das sie der wunderreichen Schutzpatronin von Alloadek in ihrer
Todesnoth dargebracht haben.

Rings um den Kirchhof bewegt sich die Procession; jeder, der hier noch
kommt, reiht sich dem Zuge ein, wo die Fahne seines Kirchspiels weht, dann
geht es weiter, immer mit Gesang und Glockenklang — um das Dorf, durch
die Felder, den Waldessaum entlang und über die Haide, bis zu der so¬
genannten Hirtenquelle. Die Trümmer eines Dolmen liegen daneben; Blu¬
men, ein paar Heiligenbilder und ein Crucifix haben den Heidenstein in einen
christlichen Altar verwandelt. Der Priester segnet die Quelle, den Stein und
die Haide — nun können die Herden ohne Schaden diese Kräuter abweiden,
von diesem Wasser trinken, und kein böser Geist wird den Hirten erschrecken,
der auf Se. Anne vertrauend sein Lager hier aufschlägt.

Der Zug kehrt ins Dorf zurück; an den verschiedenen Stationsnltären
wird Halt gemacht, um für die Kranken und Unmündigen zu beten, die um
Nundgcmge nicht Theil nehmen konnten; dann gehts zur Kirche. Noch einmal
wird Se. Anne im gemeinschaftlichen Gebet angerufen, endlich spricht der
Priester über die kniende Menge den Segen aus, und mit den verhallenden
Orgeltönen und Glockenklängcn steigt ein tausendstimmiges, frohlockendes Amen
zum glänzenden Abendhimmel auf. Se. Anne hat den Sündern vergeben,
und hat die Bitten der Leidenden gehört; sie wird sich der Kranken erbarmen,


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[0466] weiten Pluderhosen, die bis an die Knie reichen, mit dunkeln Gamaschen und blank gewichsten Schuhen. Hin und wieder zeigen sich aber auch Gestalten in vielfarbig zusammengcstückten Kleidern, barfuß oder mit zerbrochenen Holz¬ schuhen an den Füßen, auf Stock oder Krücke.gestützt, inmitten der geputzten Schar — es sind die „Lieblinge Gottes", die Armen, die sich in der Bretagne großer Achtung und Liebe erfreuen. In gleicher Ordnung wie die Bewohner von Alloadck schließen sich die Wallfahrer der übrigen Gemeinden an. Vor¬ an geht immer die Geistlichkeit mit Kirchenfahne und Crucifix; dann kommen die Kinder, die Frauen und schließlich die Männer. Hier glänzen die blauen, roth umränderten Rocke der Strandbewohnerinnen im Sonnenschein; dort gehen die schwarz gekleideten Frauen von Guerin vorüber; weiterhin erkennt man die Mädchen aus den Bergen an ihren bunten Tüchern und aufgesteckten Mützcnbarben. Jene trotzig einherschreitenden Männer in Segeltuchhosen und schwarzen Schifferjacken sind die Fischer von der Insel Sein; dort, die bun¬ ten Schärpen und Halstücher, gehören den reichen Bauersöhnen aus Nieder- Cornouaillc, und die unheimlichen Gestalten am Ende des Zuges, die in lange Tootenhemden gehüllt, mit brennenden Kerzen in den Händen, barfuß, mit gesenktem Kopfe vorüberziehen, sind die Matrosen der Ennora, die Se. Aureus Schutz ihre Rettung verdanken und gekommen sind, das Gelübde zu erfüllen, das sie der wunderreichen Schutzpatronin von Alloadek in ihrer Todesnoth dargebracht haben. Rings um den Kirchhof bewegt sich die Procession; jeder, der hier noch kommt, reiht sich dem Zuge ein, wo die Fahne seines Kirchspiels weht, dann geht es weiter, immer mit Gesang und Glockenklang — um das Dorf, durch die Felder, den Waldessaum entlang und über die Haide, bis zu der so¬ genannten Hirtenquelle. Die Trümmer eines Dolmen liegen daneben; Blu¬ men, ein paar Heiligenbilder und ein Crucifix haben den Heidenstein in einen christlichen Altar verwandelt. Der Priester segnet die Quelle, den Stein und die Haide — nun können die Herden ohne Schaden diese Kräuter abweiden, von diesem Wasser trinken, und kein böser Geist wird den Hirten erschrecken, der auf Se. Anne vertrauend sein Lager hier aufschlägt. Der Zug kehrt ins Dorf zurück; an den verschiedenen Stationsnltären wird Halt gemacht, um für die Kranken und Unmündigen zu beten, die um Nundgcmge nicht Theil nehmen konnten; dann gehts zur Kirche. Noch einmal wird Se. Anne im gemeinschaftlichen Gebet angerufen, endlich spricht der Priester über die kniende Menge den Segen aus, und mit den verhallenden Orgeltönen und Glockenklängcn steigt ein tausendstimmiges, frohlockendes Amen zum glänzenden Abendhimmel auf. Se. Anne hat den Sündern vergeben, und hat die Bitten der Leidenden gehört; sie wird sich der Kranken erbarmen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/466>, abgerufen am 23.07.2024.