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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Bußlied an, und die Procession setzt sich in Bewegung. Voran gehen Chor¬
knaben um ein großes, mit weißen und purpurnen Bändern verziertes Cru¬
cifix geschart. Dann kommen die beiden prächtigen Fahnen von Alloadek,
die eine himmelblau, mit dem Bilde des Lammes / das die Sünden der Welt
trägt; die andere weiß, mit dem blutenden Herzen Mariä. Von ihren rau¬
schenden Falten beschattet schreitet der Pfarrer der Gemeinde in seinem schön¬
sten rothen Meßgewande und der Stola von Silberbrokat; er trägt das Aller-
heiligste in reich vergoldeter Monstranz. So oft er stehen bleibt und sie er¬
hebt, stürzt alles zu Boden, bekreuzt sich und schlägt an Brust und Stirn,
während das Glöckchen klingelt und die geschwungenen Rauchfässer dichte
Weihrauchwolken ausströmen. Dem Pfarrer folgen die Schulkinder, paarweise
nach der Größe geordnet. Sie streuen Tannenzweige, wilden Thymian und
Lavendel auf den Weg, hin und wieder schweigt der Chor der Erwachsenen,
und ihre hellen, scharfen Stimmen singen ein paar Strophen der Litanei zu
Ehren der heiligen Anne, die von Jungfrauen getragen dicht hinter ihnen
erscheint.

Se. Anne, eine zierliche Holzfigur von der Größe eines siebenjährigen Kin¬
des, ist aufs prächtigste geschmückt: wie sichs gebührt trägt sie den Anzug einer
bretagnischen Braut, aber alles ist von den schönsten Stoffen verfertigt. Der
faltenreiche rothe Rock ist von schwerem Seidenzeuge, das gleichfarbige Mieder
von Sammet. An einem schwarzen Sammetbande trägt sie ein goldenes, mit
Rubinen und Smaragden verziertes Kreuz um den Hals, ihr Tuch ist mit
goldenen und silbernen Blumen gestickt; auf der Haube mit lang herabhän¬
genden Barben glänzt ein Silberspiegel am andern; die blauen Strümpfe sind
mit silbernen Zwickeln, die,kleinen schwarzen Schuhe mit silbernen Schnallen
verziert, und vom Ellenbogen an, wo die weißen mit Spitzen besetzten Aermel
aufhören, bis zum Handgelenk, sind die Arme der Himmlischen mit feinen
Silberfäden dicht umwickelt -- hat sie doch Theil an den unermeßlichen Schä¬
tzen des Himmels!*)

Aber nicht lange ist es den Zuschauern vergönnt, sich am Anblick dieser
Herrlichkeit zu weiden; der Zug geht weiter, schon kommen die Reliquien¬
schreine; hier der große, der die Gebeine der heiligen Anne umschließt; dort
der kleinere, der ein Stück ihres Mantels enthält. Die Frauen von Alloadek
folgen, in dunkle Kapuzenmäntel vom Kopf bis zu den Füßen verhüllt, --
dann kommen die Männer, barhaupt, mit langherabhängenden Haaren, den
breitkrämpigen Hut unter dem Arme, den Rosenkranz in der Hand; in langen
braunen oder dunkelblauen Röcken mit silbernen Knöpfen, bunten Westen,



') Die Silberbarren, womit sich bretagnische Bräute die Arme schmücken, sind ein Zeichen
ihres Reichthums, denn sür jedes Tausend Franken, das sie in die Brautlade bekommen,
wird eine solche Tresse angelegt.
Grenzboten III. 1853. 58

Bußlied an, und die Procession setzt sich in Bewegung. Voran gehen Chor¬
knaben um ein großes, mit weißen und purpurnen Bändern verziertes Cru¬
cifix geschart. Dann kommen die beiden prächtigen Fahnen von Alloadek,
die eine himmelblau, mit dem Bilde des Lammes / das die Sünden der Welt
trägt; die andere weiß, mit dem blutenden Herzen Mariä. Von ihren rau¬
schenden Falten beschattet schreitet der Pfarrer der Gemeinde in seinem schön¬
sten rothen Meßgewande und der Stola von Silberbrokat; er trägt das Aller-
heiligste in reich vergoldeter Monstranz. So oft er stehen bleibt und sie er¬
hebt, stürzt alles zu Boden, bekreuzt sich und schlägt an Brust und Stirn,
während das Glöckchen klingelt und die geschwungenen Rauchfässer dichte
Weihrauchwolken ausströmen. Dem Pfarrer folgen die Schulkinder, paarweise
nach der Größe geordnet. Sie streuen Tannenzweige, wilden Thymian und
Lavendel auf den Weg, hin und wieder schweigt der Chor der Erwachsenen,
und ihre hellen, scharfen Stimmen singen ein paar Strophen der Litanei zu
Ehren der heiligen Anne, die von Jungfrauen getragen dicht hinter ihnen
erscheint.

Se. Anne, eine zierliche Holzfigur von der Größe eines siebenjährigen Kin¬
des, ist aufs prächtigste geschmückt: wie sichs gebührt trägt sie den Anzug einer
bretagnischen Braut, aber alles ist von den schönsten Stoffen verfertigt. Der
faltenreiche rothe Rock ist von schwerem Seidenzeuge, das gleichfarbige Mieder
von Sammet. An einem schwarzen Sammetbande trägt sie ein goldenes, mit
Rubinen und Smaragden verziertes Kreuz um den Hals, ihr Tuch ist mit
goldenen und silbernen Blumen gestickt; auf der Haube mit lang herabhän¬
genden Barben glänzt ein Silberspiegel am andern; die blauen Strümpfe sind
mit silbernen Zwickeln, die,kleinen schwarzen Schuhe mit silbernen Schnallen
verziert, und vom Ellenbogen an, wo die weißen mit Spitzen besetzten Aermel
aufhören, bis zum Handgelenk, sind die Arme der Himmlischen mit feinen
Silberfäden dicht umwickelt — hat sie doch Theil an den unermeßlichen Schä¬
tzen des Himmels!*)

Aber nicht lange ist es den Zuschauern vergönnt, sich am Anblick dieser
Herrlichkeit zu weiden; der Zug geht weiter, schon kommen die Reliquien¬
schreine; hier der große, der die Gebeine der heiligen Anne umschließt; dort
der kleinere, der ein Stück ihres Mantels enthält. Die Frauen von Alloadek
folgen, in dunkle Kapuzenmäntel vom Kopf bis zu den Füßen verhüllt, —
dann kommen die Männer, barhaupt, mit langherabhängenden Haaren, den
breitkrämpigen Hut unter dem Arme, den Rosenkranz in der Hand; in langen
braunen oder dunkelblauen Röcken mit silbernen Knöpfen, bunten Westen,



') Die Silberbarren, womit sich bretagnische Bräute die Arme schmücken, sind ein Zeichen
ihres Reichthums, denn sür jedes Tausend Franken, das sie in die Brautlade bekommen,
wird eine solche Tresse angelegt.
Grenzboten III. 1853. 58
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[0465] Bußlied an, und die Procession setzt sich in Bewegung. Voran gehen Chor¬ knaben um ein großes, mit weißen und purpurnen Bändern verziertes Cru¬ cifix geschart. Dann kommen die beiden prächtigen Fahnen von Alloadek, die eine himmelblau, mit dem Bilde des Lammes / das die Sünden der Welt trägt; die andere weiß, mit dem blutenden Herzen Mariä. Von ihren rau¬ schenden Falten beschattet schreitet der Pfarrer der Gemeinde in seinem schön¬ sten rothen Meßgewande und der Stola von Silberbrokat; er trägt das Aller- heiligste in reich vergoldeter Monstranz. So oft er stehen bleibt und sie er¬ hebt, stürzt alles zu Boden, bekreuzt sich und schlägt an Brust und Stirn, während das Glöckchen klingelt und die geschwungenen Rauchfässer dichte Weihrauchwolken ausströmen. Dem Pfarrer folgen die Schulkinder, paarweise nach der Größe geordnet. Sie streuen Tannenzweige, wilden Thymian und Lavendel auf den Weg, hin und wieder schweigt der Chor der Erwachsenen, und ihre hellen, scharfen Stimmen singen ein paar Strophen der Litanei zu Ehren der heiligen Anne, die von Jungfrauen getragen dicht hinter ihnen erscheint. Se. Anne, eine zierliche Holzfigur von der Größe eines siebenjährigen Kin¬ des, ist aufs prächtigste geschmückt: wie sichs gebührt trägt sie den Anzug einer bretagnischen Braut, aber alles ist von den schönsten Stoffen verfertigt. Der faltenreiche rothe Rock ist von schwerem Seidenzeuge, das gleichfarbige Mieder von Sammet. An einem schwarzen Sammetbande trägt sie ein goldenes, mit Rubinen und Smaragden verziertes Kreuz um den Hals, ihr Tuch ist mit goldenen und silbernen Blumen gestickt; auf der Haube mit lang herabhän¬ genden Barben glänzt ein Silberspiegel am andern; die blauen Strümpfe sind mit silbernen Zwickeln, die,kleinen schwarzen Schuhe mit silbernen Schnallen verziert, und vom Ellenbogen an, wo die weißen mit Spitzen besetzten Aermel aufhören, bis zum Handgelenk, sind die Arme der Himmlischen mit feinen Silberfäden dicht umwickelt — hat sie doch Theil an den unermeßlichen Schä¬ tzen des Himmels!*) Aber nicht lange ist es den Zuschauern vergönnt, sich am Anblick dieser Herrlichkeit zu weiden; der Zug geht weiter, schon kommen die Reliquien¬ schreine; hier der große, der die Gebeine der heiligen Anne umschließt; dort der kleinere, der ein Stück ihres Mantels enthält. Die Frauen von Alloadek folgen, in dunkle Kapuzenmäntel vom Kopf bis zu den Füßen verhüllt, — dann kommen die Männer, barhaupt, mit langherabhängenden Haaren, den breitkrämpigen Hut unter dem Arme, den Rosenkranz in der Hand; in langen braunen oder dunkelblauen Röcken mit silbernen Knöpfen, bunten Westen, ') Die Silberbarren, womit sich bretagnische Bräute die Arme schmücken, sind ein Zeichen ihres Reichthums, denn sür jedes Tausend Franken, das sie in die Brautlade bekommen, wird eine solche Tresse angelegt. Grenzboten III. 1853. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/465>, abgerufen am 23.07.2024.