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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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gothaischen Partei über Preußen zuweilen Dinge hören, die uns an die alte Wahr¬
heit erinnern, daß der gesunde Menschenverstand nicht zu den Privilegien einer Par¬
tei gehört. -- Hier nun der Artikel.: "Die Blicke von ganz Deutschland wenden
sich bei den bevorstehenden Wahlen nach Preußen. Und zwar ist es nicht blos die
natürliche Theilnahme an den Geschicken eines deutschen Brudervolkes, welche auch
uns Süddeutsche dorthin blicken läßt: nein, wir erwarten auch für uns selbst
Heil und neue politische Anregung von Preußen. Wir können aber solche Erwar¬
tungen und Hoffnungen nur in der Voraussetzung hegen, daß sich das ganze preu¬
ßische Volk, ohne Rücksicht auf die alten Partcinanicn und Partcimanöver an den
Wahlen betheiligc. Wir erwarten dies daher fest und zuversichtlich, und wir sprechen
dies hiermit gleich von vornherein aus, um niemanden über unsere Meinung im
Zweisel zu lassen, wollen aber dann die Gründe unsrer Ansicht kurz darlegen. Wir
glauben zwar nicht, daß das "Nichtwählen" noch viele Vertheidiger in Preußen
finden wird, wissen aber auch, daß grade unter diesen viele redliche Männer sind,
die wir aber als "irrende Gewissen" ansehen müssen. Sei dem aber wie ihm wolle,
wenn es uns gelingt, auch nur eine dieser skrupulosen Seelen von ihrem Irrthum
zu überzeugen, so wäre schon unsere Mühe belohnt. Blicken wir daher einmal vor
allem auf die Zeit zurück, wo die Wahlenthaltungcn von Seiten der "demokratischen
Partei" aufs Tapet gebracht wurden, und fragen uns, welcher Zweck durch dieselben
erreicht werden sollte. Die demokratische Partei hatte durch die Bewegungen des
Jahres 1848 einen Theil ihrer übcrkommncn doctrinären politischen Glaubensartikel
durchgesetzt; alle Versassungs- und Wahlgesetze waren wenigstens auf dem, durch die
Bewegung neu geschaffenen, "gesetzlichen Boden" erwachsen und nach ihrem Ursprung
formell untadelhaft. Die Demokratie unterwarf sich denselben, wenn sie auch an
dem Materiellen dieser Gesetzgebungen viel auszusetzen hatte. Als sich die März¬
bewegung gelegt hatte, wurde diesen Gesetzen von der andern Seite der Garaus ge¬
macht: es wurden neue Verfassungen und Wahlgesetze "octroyirt". Die Demokratie
protestirte, sie mußte dies thun, sie mußte sich also auch der Theilnahme an den
Wahlen, welche nach den octroyirtcn Wahlgesetzen vorgenommen wurden, enthalten.
Der Verfasser selbst that dies damals und wirkte dafür. Die Demokratie mußte
die Voraussetzung festhalten, daß alles, was aus der Märzbcwegung im Staate er¬
wachsen war, wie diese selbst, nicht etwa durch ihre eigne künstliche Agitation, son¬
dern aus dem innern Leben und Willen der Nation heraus entstanden sei; -- sie
mußte diese Voraussetzung festhalten, weil ja alles "formell richtig", aus dem gesetz¬
lichen Boden erwachsen war;-- sie mußte es, weil sie sonst sich selbst verurtheilt, einen
Politischen und moralischen Selbstmord begangen hätte. Was war nun der Erfolg?
Das Volk ließ sich zwar das "Nichtwählen" gefallen, weil ja überhaupt das Nichthan-
deln bequemer ist, als das Handeln, wiewol in diesem Falle das erstere als eine große mo¬
ralische Action genommen wurde. Allein der weitere "gewaltige moralische Andrang gegen
die octroyirten Verfassungen, auf den man gehofft hatte, blieb aus. Das Volk nahm
sich aus der Doctrin des "Nichtwählcns" nur so viel heraus, daß es auch fürderhin
das Nichthandeln dem Handeln stets vorzog; die Deutschen gingen wieder wie vordem
ihren Privatangelegenheiten nach und versanken in solche Blasirtheit, daß sie sich
höchstens noch zu einem Witz über ihre eignen öffentlichen Zustände erheben konnten.
Ein Jahrzehnt ist verflossen, die Probe ist gemacht d. i. vollendet, und sie ist schlecht
genug ausgefallen. Man hat sich für die "Rcichsvcrfckssung" und dergleichen Dinge
je länger, je weniger interessirt. wol aber für ganz andere politische Ereignisse und
Constellationen, z. B. für den orientalischen Krieg und das westmächtlichc Bündniß,
den materiellen Aufschwung Oestreichs u. s. w. bis auf die "preußisch-englische Alli¬
anz". Wir alten Demokraten hatten gemeint, das deutsche Volk müsse um die
Reichsverfassung in Sack und Asche trauern, und werde sein Trauergewand nicht
eher ablegen, bis die Todte wieder auferweckt sei; aber das Volk hat sich gar bald


gothaischen Partei über Preußen zuweilen Dinge hören, die uns an die alte Wahr¬
heit erinnern, daß der gesunde Menschenverstand nicht zu den Privilegien einer Par¬
tei gehört. — Hier nun der Artikel.: „Die Blicke von ganz Deutschland wenden
sich bei den bevorstehenden Wahlen nach Preußen. Und zwar ist es nicht blos die
natürliche Theilnahme an den Geschicken eines deutschen Brudervolkes, welche auch
uns Süddeutsche dorthin blicken läßt: nein, wir erwarten auch für uns selbst
Heil und neue politische Anregung von Preußen. Wir können aber solche Erwar¬
tungen und Hoffnungen nur in der Voraussetzung hegen, daß sich das ganze preu¬
ßische Volk, ohne Rücksicht auf die alten Partcinanicn und Partcimanöver an den
Wahlen betheiligc. Wir erwarten dies daher fest und zuversichtlich, und wir sprechen
dies hiermit gleich von vornherein aus, um niemanden über unsere Meinung im
Zweisel zu lassen, wollen aber dann die Gründe unsrer Ansicht kurz darlegen. Wir
glauben zwar nicht, daß das „Nichtwählen" noch viele Vertheidiger in Preußen
finden wird, wissen aber auch, daß grade unter diesen viele redliche Männer sind,
die wir aber als „irrende Gewissen" ansehen müssen. Sei dem aber wie ihm wolle,
wenn es uns gelingt, auch nur eine dieser skrupulosen Seelen von ihrem Irrthum
zu überzeugen, so wäre schon unsere Mühe belohnt. Blicken wir daher einmal vor
allem auf die Zeit zurück, wo die Wahlenthaltungcn von Seiten der „demokratischen
Partei" aufs Tapet gebracht wurden, und fragen uns, welcher Zweck durch dieselben
erreicht werden sollte. Die demokratische Partei hatte durch die Bewegungen des
Jahres 1848 einen Theil ihrer übcrkommncn doctrinären politischen Glaubensartikel
durchgesetzt; alle Versassungs- und Wahlgesetze waren wenigstens auf dem, durch die
Bewegung neu geschaffenen, „gesetzlichen Boden" erwachsen und nach ihrem Ursprung
formell untadelhaft. Die Demokratie unterwarf sich denselben, wenn sie auch an
dem Materiellen dieser Gesetzgebungen viel auszusetzen hatte. Als sich die März¬
bewegung gelegt hatte, wurde diesen Gesetzen von der andern Seite der Garaus ge¬
macht: es wurden neue Verfassungen und Wahlgesetze „octroyirt". Die Demokratie
protestirte, sie mußte dies thun, sie mußte sich also auch der Theilnahme an den
Wahlen, welche nach den octroyirtcn Wahlgesetzen vorgenommen wurden, enthalten.
Der Verfasser selbst that dies damals und wirkte dafür. Die Demokratie mußte
die Voraussetzung festhalten, daß alles, was aus der Märzbcwegung im Staate er¬
wachsen war, wie diese selbst, nicht etwa durch ihre eigne künstliche Agitation, son¬
dern aus dem innern Leben und Willen der Nation heraus entstanden sei; — sie
mußte diese Voraussetzung festhalten, weil ja alles „formell richtig", aus dem gesetz¬
lichen Boden erwachsen war;— sie mußte es, weil sie sonst sich selbst verurtheilt, einen
Politischen und moralischen Selbstmord begangen hätte. Was war nun der Erfolg?
Das Volk ließ sich zwar das „Nichtwählen" gefallen, weil ja überhaupt das Nichthan-
deln bequemer ist, als das Handeln, wiewol in diesem Falle das erstere als eine große mo¬
ralische Action genommen wurde. Allein der weitere „gewaltige moralische Andrang gegen
die octroyirten Verfassungen, auf den man gehofft hatte, blieb aus. Das Volk nahm
sich aus der Doctrin des „Nichtwählcns" nur so viel heraus, daß es auch fürderhin
das Nichthandeln dem Handeln stets vorzog; die Deutschen gingen wieder wie vordem
ihren Privatangelegenheiten nach und versanken in solche Blasirtheit, daß sie sich
höchstens noch zu einem Witz über ihre eignen öffentlichen Zustände erheben konnten.
Ein Jahrzehnt ist verflossen, die Probe ist gemacht d. i. vollendet, und sie ist schlecht
genug ausgefallen. Man hat sich für die „Rcichsvcrfckssung" und dergleichen Dinge
je länger, je weniger interessirt. wol aber für ganz andere politische Ereignisse und
Constellationen, z. B. für den orientalischen Krieg und das westmächtlichc Bündniß,
den materiellen Aufschwung Oestreichs u. s. w. bis auf die „preußisch-englische Alli¬
anz". Wir alten Demokraten hatten gemeint, das deutsche Volk müsse um die
Reichsverfassung in Sack und Asche trauern, und werde sein Trauergewand nicht
eher ablegen, bis die Todte wieder auferweckt sei; aber das Volk hat sich gar bald


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[0445] gothaischen Partei über Preußen zuweilen Dinge hören, die uns an die alte Wahr¬ heit erinnern, daß der gesunde Menschenverstand nicht zu den Privilegien einer Par¬ tei gehört. — Hier nun der Artikel.: „Die Blicke von ganz Deutschland wenden sich bei den bevorstehenden Wahlen nach Preußen. Und zwar ist es nicht blos die natürliche Theilnahme an den Geschicken eines deutschen Brudervolkes, welche auch uns Süddeutsche dorthin blicken läßt: nein, wir erwarten auch für uns selbst Heil und neue politische Anregung von Preußen. Wir können aber solche Erwar¬ tungen und Hoffnungen nur in der Voraussetzung hegen, daß sich das ganze preu¬ ßische Volk, ohne Rücksicht auf die alten Partcinanicn und Partcimanöver an den Wahlen betheiligc. Wir erwarten dies daher fest und zuversichtlich, und wir sprechen dies hiermit gleich von vornherein aus, um niemanden über unsere Meinung im Zweisel zu lassen, wollen aber dann die Gründe unsrer Ansicht kurz darlegen. Wir glauben zwar nicht, daß das „Nichtwählen" noch viele Vertheidiger in Preußen finden wird, wissen aber auch, daß grade unter diesen viele redliche Männer sind, die wir aber als „irrende Gewissen" ansehen müssen. Sei dem aber wie ihm wolle, wenn es uns gelingt, auch nur eine dieser skrupulosen Seelen von ihrem Irrthum zu überzeugen, so wäre schon unsere Mühe belohnt. Blicken wir daher einmal vor allem auf die Zeit zurück, wo die Wahlenthaltungcn von Seiten der „demokratischen Partei" aufs Tapet gebracht wurden, und fragen uns, welcher Zweck durch dieselben erreicht werden sollte. Die demokratische Partei hatte durch die Bewegungen des Jahres 1848 einen Theil ihrer übcrkommncn doctrinären politischen Glaubensartikel durchgesetzt; alle Versassungs- und Wahlgesetze waren wenigstens auf dem, durch die Bewegung neu geschaffenen, „gesetzlichen Boden" erwachsen und nach ihrem Ursprung formell untadelhaft. Die Demokratie unterwarf sich denselben, wenn sie auch an dem Materiellen dieser Gesetzgebungen viel auszusetzen hatte. Als sich die März¬ bewegung gelegt hatte, wurde diesen Gesetzen von der andern Seite der Garaus ge¬ macht: es wurden neue Verfassungen und Wahlgesetze „octroyirt". Die Demokratie protestirte, sie mußte dies thun, sie mußte sich also auch der Theilnahme an den Wahlen, welche nach den octroyirtcn Wahlgesetzen vorgenommen wurden, enthalten. Der Verfasser selbst that dies damals und wirkte dafür. Die Demokratie mußte die Voraussetzung festhalten, daß alles, was aus der Märzbcwegung im Staate er¬ wachsen war, wie diese selbst, nicht etwa durch ihre eigne künstliche Agitation, son¬ dern aus dem innern Leben und Willen der Nation heraus entstanden sei; — sie mußte diese Voraussetzung festhalten, weil ja alles „formell richtig", aus dem gesetz¬ lichen Boden erwachsen war;— sie mußte es, weil sie sonst sich selbst verurtheilt, einen Politischen und moralischen Selbstmord begangen hätte. Was war nun der Erfolg? Das Volk ließ sich zwar das „Nichtwählen" gefallen, weil ja überhaupt das Nichthan- deln bequemer ist, als das Handeln, wiewol in diesem Falle das erstere als eine große mo¬ ralische Action genommen wurde. Allein der weitere „gewaltige moralische Andrang gegen die octroyirten Verfassungen, auf den man gehofft hatte, blieb aus. Das Volk nahm sich aus der Doctrin des „Nichtwählcns" nur so viel heraus, daß es auch fürderhin das Nichthandeln dem Handeln stets vorzog; die Deutschen gingen wieder wie vordem ihren Privatangelegenheiten nach und versanken in solche Blasirtheit, daß sie sich höchstens noch zu einem Witz über ihre eignen öffentlichen Zustände erheben konnten. Ein Jahrzehnt ist verflossen, die Probe ist gemacht d. i. vollendet, und sie ist schlecht genug ausgefallen. Man hat sich für die „Rcichsvcrfckssung" und dergleichen Dinge je länger, je weniger interessirt. wol aber für ganz andere politische Ereignisse und Constellationen, z. B. für den orientalischen Krieg und das westmächtlichc Bündniß, den materiellen Aufschwung Oestreichs u. s. w. bis auf die „preußisch-englische Alli¬ anz". Wir alten Demokraten hatten gemeint, das deutsche Volk müsse um die Reichsverfassung in Sack und Asche trauern, und werde sein Trauergewand nicht eher ablegen, bis die Todte wieder auferweckt sei; aber das Volk hat sich gar bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/445>, abgerufen am 22.07.2024.