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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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in der ein buntes Heiligenbild war. Davor lagen unter einem Scherben
einige Kupfermünzen, die, wie Spiro erklärte, vom Volke hierhergelegt werden,
damit ein Priester in der nahe, gelegenen .Kapelle dafür eine Predigt thut.
Wir trafen solche Nischen später noch, oft. Ich glaube indeß, daß Spiro das
Wort Predigt für Gottesdienst überhaupt brauchte, da nur die Geistlichen
in den großen Städten Geschick und Neigung haben, dann und wann ein¬
mal zu predigen. Die Ebne ist nur wenig angebaut. Den größten Theil
des Bodens bedecken Büsche und kleine Bäume: wilde Oelbäume, myrthen-
nrtigc Sträucher, Oleander und Wachholdern, die Räubern ein passendes
Bersteck bieten, weshalb die Gegend bis vor kurzem als ein Ort galt, wo
es nicht geheuer sei. Ueber der Thür der Kirche ist eine altgriechische Grab-
schrift eingemauert, die auf ein frühverstorbenes Mädchen geht und mit ihrem
Schlüsse: "In wem Liebe zum Leben ist, der möge unbeneidet alt werden",
vielleicht den Glauben an das "neidische Auge" verräth, das nach der
Meinung der Alten Unheil und selbst den Tod bringen konnte.

Südwestlich von hier passuten wir wieder über eine nach dem Meer
vorgedrungene Gebirgswurzel. Dann folgte eine zweite schmale Ebne, in der
ein verlassenes Dorf lag. dessen Einwohner von der Fieberluft vertrieben
worden waren, die den ganzen Isthmus ungesund macht.

Hier möge ein für alle Mal ein Bild unsrer Karavane seine Stelle finden, die
in der That ziemlich abenteuerlich aussah. Voran zog in der Regel der Führer.
Er ritt ein kleines dürres Pferd, welches die Gestalt, aber auch die Naschheit
und Ausdauer jener winzigen Gäulchen hatte, auf denen unsre Väter die
Bauerntosakcn kommen sahen. Spiro war eine lange, dürre Figur, gebräunten
Gesichts, schwarz von Harren und Augen. Er trug sich europäisch. Den
Kopf bedeckte ein grauer Schlapphut, um den er zum Schutz gegen den
Sonnenstich ein weißes Stück Zeug in der Form eines Turbans gewunden
hatte. Seine Füße staken in großen Courierstiefeln. Die Steigbügel hingen
an Stricken. Ueber den Sattel hatte er ein zottiges Schaffell gebreitet, hinter
sich Regenschirme und einen Kapuzenrock aufgeschnallt, bisweilen auch einige
schnatternde Gänse, ein geschlachtetes Lamm oder andern an der Straße
gekauften Proviant. Im Busen stak ihm ein großes Messer, in der Rechten schwang
er eine lange schwere Peitsche. Legte er bei kaltem Wetter den Kapuzenrock an,
so glich er fast aufs Haar einem Kosaken, dem die Pike abhanden gekommen.
Auch wir würden mit unsern Turbanhütcn, unsern brennend rothen Wollen-
Hemden und blos einem Sporn an der rechten Ferse -- ein zweiter gilt in
Griechenland für Ueberfluß -- in der Heimath Verwunderung erregt haben.
Den Nachtrab bildete der Besitzer und Wärter der Pferde, ein kleiner schmuziger
Graubart. Er ritt einen uralten Schimmel, trug einen breitkrümpigen Strohhut,
über den ein Fez gestülpt war, eine abgeschabte, mit Borte besetzte weißgelbe Fries-


in der ein buntes Heiligenbild war. Davor lagen unter einem Scherben
einige Kupfermünzen, die, wie Spiro erklärte, vom Volke hierhergelegt werden,
damit ein Priester in der nahe, gelegenen .Kapelle dafür eine Predigt thut.
Wir trafen solche Nischen später noch, oft. Ich glaube indeß, daß Spiro das
Wort Predigt für Gottesdienst überhaupt brauchte, da nur die Geistlichen
in den großen Städten Geschick und Neigung haben, dann und wann ein¬
mal zu predigen. Die Ebne ist nur wenig angebaut. Den größten Theil
des Bodens bedecken Büsche und kleine Bäume: wilde Oelbäume, myrthen-
nrtigc Sträucher, Oleander und Wachholdern, die Räubern ein passendes
Bersteck bieten, weshalb die Gegend bis vor kurzem als ein Ort galt, wo
es nicht geheuer sei. Ueber der Thür der Kirche ist eine altgriechische Grab-
schrift eingemauert, die auf ein frühverstorbenes Mädchen geht und mit ihrem
Schlüsse: „In wem Liebe zum Leben ist, der möge unbeneidet alt werden",
vielleicht den Glauben an das „neidische Auge" verräth, das nach der
Meinung der Alten Unheil und selbst den Tod bringen konnte.

Südwestlich von hier passuten wir wieder über eine nach dem Meer
vorgedrungene Gebirgswurzel. Dann folgte eine zweite schmale Ebne, in der
ein verlassenes Dorf lag. dessen Einwohner von der Fieberluft vertrieben
worden waren, die den ganzen Isthmus ungesund macht.

Hier möge ein für alle Mal ein Bild unsrer Karavane seine Stelle finden, die
in der That ziemlich abenteuerlich aussah. Voran zog in der Regel der Führer.
Er ritt ein kleines dürres Pferd, welches die Gestalt, aber auch die Naschheit
und Ausdauer jener winzigen Gäulchen hatte, auf denen unsre Väter die
Bauerntosakcn kommen sahen. Spiro war eine lange, dürre Figur, gebräunten
Gesichts, schwarz von Harren und Augen. Er trug sich europäisch. Den
Kopf bedeckte ein grauer Schlapphut, um den er zum Schutz gegen den
Sonnenstich ein weißes Stück Zeug in der Form eines Turbans gewunden
hatte. Seine Füße staken in großen Courierstiefeln. Die Steigbügel hingen
an Stricken. Ueber den Sattel hatte er ein zottiges Schaffell gebreitet, hinter
sich Regenschirme und einen Kapuzenrock aufgeschnallt, bisweilen auch einige
schnatternde Gänse, ein geschlachtetes Lamm oder andern an der Straße
gekauften Proviant. Im Busen stak ihm ein großes Messer, in der Rechten schwang
er eine lange schwere Peitsche. Legte er bei kaltem Wetter den Kapuzenrock an,
so glich er fast aufs Haar einem Kosaken, dem die Pike abhanden gekommen.
Auch wir würden mit unsern Turbanhütcn, unsern brennend rothen Wollen-
Hemden und blos einem Sporn an der rechten Ferse — ein zweiter gilt in
Griechenland für Ueberfluß — in der Heimath Verwunderung erregt haben.
Den Nachtrab bildete der Besitzer und Wärter der Pferde, ein kleiner schmuziger
Graubart. Er ritt einen uralten Schimmel, trug einen breitkrümpigen Strohhut,
über den ein Fez gestülpt war, eine abgeschabte, mit Borte besetzte weißgelbe Fries-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/438>, abgerufen am 23.07.2024.