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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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mit Gebüsch bewachsen, bis zur Höhe von dreitausend Fuß über uns. Links
gähnte schroff der Abgrund. Vor uns sahen wir die Straße, schmal, mit
Steinbrocken besäet, an mehren Stellen eingesunken, bald steil in Schluchten
hinabsteigen, bald zwischen Wurzelwerk und herabgerollten Blöcken wieder
emporklettern. Der Spaß wird Ernst, dachte ich, als ich einen Blick auf die
dunkle Flut that, in die ich bei einem falschen Tritt meines Pferdes, da die
Straße keine Brüstung hat. unzweifelhaft hinabgestürzt wäre. Der Spaß
wird sehr ernst, sagte mein Begleiter, als Spiro getröstet, das sei noch lange
nicht die schlimmste Stelle. Indeß hatten hunderttausend Andere den Ritt
glücklich gemacht, warum nicht auch wir? So ritten wir, nachdem das erste
Grausen vorüber und das Bewußtsein gewonnen war, daß man sich auf die
Pferde verlassen konnte, mit ziemlicher Seelenruhe'weiter, und lange' schon
ehe die drei Stunden vorüber waren, die man braucht, um auf sicherern
Boden zu gelangen, hatte sich unsre Zuversicht so weit gestärkt und unser
Auge so an die schwindelerregende Tiefe zur Linken gewöhnt, daß wir über
sie wegsehen und die schöne Gebirgsformation und die prachtvollen Farben
der gegenüberliegenden Küste von Argolis bewundern konnten. Es ist wahr,
es kamen mehre sehr gefährliche Stellen, die, wenn Regen den Boden schlüpfrig
macht, kaum zu passiren sein werden. Wir waren wiederholt genöthigt,
abzusteigen, um die Pferde zu erleichtern oder um den Stößen von Säcken
und Ballen auszuweichen, mit denen beladene Maulthiere, uns aus der durch¬
schnittlich kaum vier Fuß breiten Straße entgegenkommend, unser Gleich¬
gewicht bedrohten. Die Thiere rutschten bisweilen auf dem glatten Kalkgestein
aus, und das gab einen unangenehmen Ruck nicht blos durch den Leib, son¬
dern auch durch die Seele. Im Ganzen aber war der Weg der Art, daß wir
uns, auf den letzten Stufen der "bösen Treppe" angelangt, sagen konnten,
wir hätten uns nach dem ersten Anblick ihre Gefahren größer vorgestellt.

An einer Stelle sahen wir in der Tiefe Fischer ihr Handwerk treiben,
wobei einer von ihnen aus der Spitze des Maseh sitzend die Fische zu
beobachten hatte, welche, in dem klaren Wasser selbst von unsrer Höhe sichtbar,
in starken Zügen an der Küste hinstreben. Weiterhin trafen wir Maurer,
welche an dem großen Steindamm arbeiteten, mit dem die jetzige Regierung
das Werk Hadrians endlich ausbessern läßt. Endlich stiegen wir in eine kleine
Ebene hinab, welche das Gebirge hier zwischen sich und der See frei /läßt,
und erreichten zuerst einen einsamen Khan, in welchem sich ein Gensdarmer.ie-
Posten zum Schutz des Passes vor Räubern befand, und eine Stunde später,
die Hütten eines kleinen Dorfes, bei dessen abseits gelegener Kirche wir nach
einem Bade in dem nahen Meer unter einem großen wilden Olivenbäume
unser Mittagsessen einnahmen und die Zeit der größten Hitze abwarteten.
Vor dem Khan hatten wir einen Pfeiler mit einer kleinen Nische gefunden


mit Gebüsch bewachsen, bis zur Höhe von dreitausend Fuß über uns. Links
gähnte schroff der Abgrund. Vor uns sahen wir die Straße, schmal, mit
Steinbrocken besäet, an mehren Stellen eingesunken, bald steil in Schluchten
hinabsteigen, bald zwischen Wurzelwerk und herabgerollten Blöcken wieder
emporklettern. Der Spaß wird Ernst, dachte ich, als ich einen Blick auf die
dunkle Flut that, in die ich bei einem falschen Tritt meines Pferdes, da die
Straße keine Brüstung hat. unzweifelhaft hinabgestürzt wäre. Der Spaß
wird sehr ernst, sagte mein Begleiter, als Spiro getröstet, das sei noch lange
nicht die schlimmste Stelle. Indeß hatten hunderttausend Andere den Ritt
glücklich gemacht, warum nicht auch wir? So ritten wir, nachdem das erste
Grausen vorüber und das Bewußtsein gewonnen war, daß man sich auf die
Pferde verlassen konnte, mit ziemlicher Seelenruhe'weiter, und lange' schon
ehe die drei Stunden vorüber waren, die man braucht, um auf sicherern
Boden zu gelangen, hatte sich unsre Zuversicht so weit gestärkt und unser
Auge so an die schwindelerregende Tiefe zur Linken gewöhnt, daß wir über
sie wegsehen und die schöne Gebirgsformation und die prachtvollen Farben
der gegenüberliegenden Küste von Argolis bewundern konnten. Es ist wahr,
es kamen mehre sehr gefährliche Stellen, die, wenn Regen den Boden schlüpfrig
macht, kaum zu passiren sein werden. Wir waren wiederholt genöthigt,
abzusteigen, um die Pferde zu erleichtern oder um den Stößen von Säcken
und Ballen auszuweichen, mit denen beladene Maulthiere, uns aus der durch¬
schnittlich kaum vier Fuß breiten Straße entgegenkommend, unser Gleich¬
gewicht bedrohten. Die Thiere rutschten bisweilen auf dem glatten Kalkgestein
aus, und das gab einen unangenehmen Ruck nicht blos durch den Leib, son¬
dern auch durch die Seele. Im Ganzen aber war der Weg der Art, daß wir
uns, auf den letzten Stufen der „bösen Treppe" angelangt, sagen konnten,
wir hätten uns nach dem ersten Anblick ihre Gefahren größer vorgestellt.

An einer Stelle sahen wir in der Tiefe Fischer ihr Handwerk treiben,
wobei einer von ihnen aus der Spitze des Maseh sitzend die Fische zu
beobachten hatte, welche, in dem klaren Wasser selbst von unsrer Höhe sichtbar,
in starken Zügen an der Küste hinstreben. Weiterhin trafen wir Maurer,
welche an dem großen Steindamm arbeiteten, mit dem die jetzige Regierung
das Werk Hadrians endlich ausbessern läßt. Endlich stiegen wir in eine kleine
Ebene hinab, welche das Gebirge hier zwischen sich und der See frei /läßt,
und erreichten zuerst einen einsamen Khan, in welchem sich ein Gensdarmer.ie-
Posten zum Schutz des Passes vor Räubern befand, und eine Stunde später,
die Hütten eines kleinen Dorfes, bei dessen abseits gelegener Kirche wir nach
einem Bade in dem nahen Meer unter einem großen wilden Olivenbäume
unser Mittagsessen einnahmen und die Zeit der größten Hitze abwarteten.
Vor dem Khan hatten wir einen Pfeiler mit einer kleinen Nische gefunden


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[0437] mit Gebüsch bewachsen, bis zur Höhe von dreitausend Fuß über uns. Links gähnte schroff der Abgrund. Vor uns sahen wir die Straße, schmal, mit Steinbrocken besäet, an mehren Stellen eingesunken, bald steil in Schluchten hinabsteigen, bald zwischen Wurzelwerk und herabgerollten Blöcken wieder emporklettern. Der Spaß wird Ernst, dachte ich, als ich einen Blick auf die dunkle Flut that, in die ich bei einem falschen Tritt meines Pferdes, da die Straße keine Brüstung hat. unzweifelhaft hinabgestürzt wäre. Der Spaß wird sehr ernst, sagte mein Begleiter, als Spiro getröstet, das sei noch lange nicht die schlimmste Stelle. Indeß hatten hunderttausend Andere den Ritt glücklich gemacht, warum nicht auch wir? So ritten wir, nachdem das erste Grausen vorüber und das Bewußtsein gewonnen war, daß man sich auf die Pferde verlassen konnte, mit ziemlicher Seelenruhe'weiter, und lange' schon ehe die drei Stunden vorüber waren, die man braucht, um auf sicherern Boden zu gelangen, hatte sich unsre Zuversicht so weit gestärkt und unser Auge so an die schwindelerregende Tiefe zur Linken gewöhnt, daß wir über sie wegsehen und die schöne Gebirgsformation und die prachtvollen Farben der gegenüberliegenden Küste von Argolis bewundern konnten. Es ist wahr, es kamen mehre sehr gefährliche Stellen, die, wenn Regen den Boden schlüpfrig macht, kaum zu passiren sein werden. Wir waren wiederholt genöthigt, abzusteigen, um die Pferde zu erleichtern oder um den Stößen von Säcken und Ballen auszuweichen, mit denen beladene Maulthiere, uns aus der durch¬ schnittlich kaum vier Fuß breiten Straße entgegenkommend, unser Gleich¬ gewicht bedrohten. Die Thiere rutschten bisweilen auf dem glatten Kalkgestein aus, und das gab einen unangenehmen Ruck nicht blos durch den Leib, son¬ dern auch durch die Seele. Im Ganzen aber war der Weg der Art, daß wir uns, auf den letzten Stufen der „bösen Treppe" angelangt, sagen konnten, wir hätten uns nach dem ersten Anblick ihre Gefahren größer vorgestellt. An einer Stelle sahen wir in der Tiefe Fischer ihr Handwerk treiben, wobei einer von ihnen aus der Spitze des Maseh sitzend die Fische zu beobachten hatte, welche, in dem klaren Wasser selbst von unsrer Höhe sichtbar, in starken Zügen an der Küste hinstreben. Weiterhin trafen wir Maurer, welche an dem großen Steindamm arbeiteten, mit dem die jetzige Regierung das Werk Hadrians endlich ausbessern läßt. Endlich stiegen wir in eine kleine Ebene hinab, welche das Gebirge hier zwischen sich und der See frei /läßt, und erreichten zuerst einen einsamen Khan, in welchem sich ein Gensdarmer.ie- Posten zum Schutz des Passes vor Räubern befand, und eine Stunde später, die Hütten eines kleinen Dorfes, bei dessen abseits gelegener Kirche wir nach einem Bade in dem nahen Meer unter einem großen wilden Olivenbäume unser Mittagsessen einnahmen und die Zeit der größten Hitze abwarteten. Vor dem Khan hatten wir einen Pfeiler mit einer kleinen Nische gefunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/437>, abgerufen am 23.07.2024.