Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

noch keinen Einfluß gehabt. Er ist auf dem Lande und in den kleinern
Städten allenthalben mit Fichtenharz verseht wie im Alterthum, und zwar so
stark, daß niemand, der zum ersten Mal davon trinkt, auf Traubensaft, gar
mancher aber auf Terpentinöl rathen würde, falls man ihn das Getränk in-
cognito kosten ließe. Vermuthlich rührt daher auch der Name Krahl, Mischung,
Mischtrank, den der Wein im Volksmunde führt. Wie dem aber auch sei,
ich rathe jedem, der längere Zeit in Griechenland zu reisen beabsichtigt und
des Weines nicht entrathen kann, beim Auszug aus Athen alle Hoffnung auf
anderes Rebenblnt als diesen Nezinat dahinten zu lassen. Daß auch die
Helden Homers, auch Perikles und Alkibiades und die Gäste des Symposions
diesem eigenthümlichen Geschmack gehuldigt haben sollen, ist glaublich und
nach manchen andern wunderlichen Gewohnheiten des alten Hellas sogar
wahrscheinlich, aber kein Trost für die erschrockne Zunge. Indeß gewohnt sie
sich mit der Zeit daran, und die hier lebenden Deutschen wissen von mehr
als einem Landsmann zu berichten, der sich in den Rezinatschenken arm und
krank getrunken hat.

Wir hatten in Athen schon den ersten Schauder überwunden, und so
sprachen wir der großen Holzflasche Spiros so lange zu, bis wir empfanden,
daß auch Kienölwein recht lustig' machen könne. Der Maulthiertreiber, der
mit dem Pferdeknecht sich an die Reste des Mahles gemacht, wurde durch
fleißiges Einschenker bewogen, eines jener griechischen Volkslieder vorzutragen,
die so lang wie Papier ohne Ende sind, und kam der Aufforderung mit einer
Ausdauer nach, dre seiner Kehle, oder eigentlich seiner Nase, mehr Ehre als
unsern Ohren Vergnügen machte.

Er begann eben eine Romanze von Marko Bozzaris zu näseln, als über
den Bergen von Salamis der Mond ausging. Der zauberhafte Glanz, den
er über die zackige Küste und über die unter ihr vom Winde geschaukelte
Meeresflut ausgoß, lockte uns von dein Sänger hinweg, und statt des
Weinfeuers zog allmälig die milde Melancholie in die Seele, die solche
Mondscheinnächte an der See erwecken. Wie ein Geisterland lag drunten vor
uns die dämmernde Insel mit der flimmernden Brücke, we.lebe der Magus
der Nacht mit seiner himmlischen Zauberlaterne über die dunklen Gewässer
hingaukelte. Die Klippen warfen ihre Schatten in die See. Von Südosten
her wuchs aus dem Horizont gleich der Fata Morgana einer tropischen Palme
ein prächtiger weißer Sturmbaum über den Himmel herauf. Nebeldünste
quollen aus dem Boden und schwebten Gespenstern gleich über das Gefilde
auf die Brücke zu. Cicaden zirpten ihr schwermüthig eintöniges Lied, als
wollten sie den Gesang von Bozzaris begleiten, der jetzt, durch die Entfernung
gedämpft, nicht mehr störte, fondern, recht eigentlich zum Charakter des gan¬
zen Nachtbildes passend, die klagende Stimme des Irrlichts zu sein schien, in


64*

noch keinen Einfluß gehabt. Er ist auf dem Lande und in den kleinern
Städten allenthalben mit Fichtenharz verseht wie im Alterthum, und zwar so
stark, daß niemand, der zum ersten Mal davon trinkt, auf Traubensaft, gar
mancher aber auf Terpentinöl rathen würde, falls man ihn das Getränk in-
cognito kosten ließe. Vermuthlich rührt daher auch der Name Krahl, Mischung,
Mischtrank, den der Wein im Volksmunde führt. Wie dem aber auch sei,
ich rathe jedem, der längere Zeit in Griechenland zu reisen beabsichtigt und
des Weines nicht entrathen kann, beim Auszug aus Athen alle Hoffnung auf
anderes Rebenblnt als diesen Nezinat dahinten zu lassen. Daß auch die
Helden Homers, auch Perikles und Alkibiades und die Gäste des Symposions
diesem eigenthümlichen Geschmack gehuldigt haben sollen, ist glaublich und
nach manchen andern wunderlichen Gewohnheiten des alten Hellas sogar
wahrscheinlich, aber kein Trost für die erschrockne Zunge. Indeß gewohnt sie
sich mit der Zeit daran, und die hier lebenden Deutschen wissen von mehr
als einem Landsmann zu berichten, der sich in den Rezinatschenken arm und
krank getrunken hat.

Wir hatten in Athen schon den ersten Schauder überwunden, und so
sprachen wir der großen Holzflasche Spiros so lange zu, bis wir empfanden,
daß auch Kienölwein recht lustig' machen könne. Der Maulthiertreiber, der
mit dem Pferdeknecht sich an die Reste des Mahles gemacht, wurde durch
fleißiges Einschenker bewogen, eines jener griechischen Volkslieder vorzutragen,
die so lang wie Papier ohne Ende sind, und kam der Aufforderung mit einer
Ausdauer nach, dre seiner Kehle, oder eigentlich seiner Nase, mehr Ehre als
unsern Ohren Vergnügen machte.

Er begann eben eine Romanze von Marko Bozzaris zu näseln, als über
den Bergen von Salamis der Mond ausging. Der zauberhafte Glanz, den
er über die zackige Küste und über die unter ihr vom Winde geschaukelte
Meeresflut ausgoß, lockte uns von dein Sänger hinweg, und statt des
Weinfeuers zog allmälig die milde Melancholie in die Seele, die solche
Mondscheinnächte an der See erwecken. Wie ein Geisterland lag drunten vor
uns die dämmernde Insel mit der flimmernden Brücke, we.lebe der Magus
der Nacht mit seiner himmlischen Zauberlaterne über die dunklen Gewässer
hingaukelte. Die Klippen warfen ihre Schatten in die See. Von Südosten
her wuchs aus dem Horizont gleich der Fata Morgana einer tropischen Palme
ein prächtiger weißer Sturmbaum über den Himmel herauf. Nebeldünste
quollen aus dem Boden und schwebten Gespenstern gleich über das Gefilde
auf die Brücke zu. Cicaden zirpten ihr schwermüthig eintöniges Lied, als
wollten sie den Gesang von Bozzaris begleiten, der jetzt, durch die Entfernung
gedämpft, nicht mehr störte, fondern, recht eigentlich zum Charakter des gan¬
zen Nachtbildes passend, die klagende Stimme des Irrlichts zu sein schien, in


64*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106246"/>
            <p xml:id="ID_1210" prev="#ID_1209"> noch keinen Einfluß gehabt. Er ist auf dem Lande und in den kleinern<lb/>
Städten allenthalben mit Fichtenharz verseht wie im Alterthum, und zwar so<lb/>
stark, daß niemand, der zum ersten Mal davon trinkt, auf Traubensaft, gar<lb/>
mancher aber auf Terpentinöl rathen würde, falls man ihn das Getränk in-<lb/>
cognito kosten ließe. Vermuthlich rührt daher auch der Name Krahl, Mischung,<lb/>
Mischtrank, den der Wein im Volksmunde führt. Wie dem aber auch sei,<lb/>
ich rathe jedem, der längere Zeit in Griechenland zu reisen beabsichtigt und<lb/>
des Weines nicht entrathen kann, beim Auszug aus Athen alle Hoffnung auf<lb/>
anderes Rebenblnt als diesen Nezinat dahinten zu lassen. Daß auch die<lb/>
Helden Homers, auch Perikles und Alkibiades und die Gäste des Symposions<lb/>
diesem eigenthümlichen Geschmack gehuldigt haben sollen, ist glaublich und<lb/>
nach manchen andern wunderlichen Gewohnheiten des alten Hellas sogar<lb/>
wahrscheinlich, aber kein Trost für die erschrockne Zunge. Indeß gewohnt sie<lb/>
sich mit der Zeit daran, und die hier lebenden Deutschen wissen von mehr<lb/>
als einem Landsmann zu berichten, der sich in den Rezinatschenken arm und<lb/>
krank getrunken hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1211"> Wir hatten in Athen schon den ersten Schauder überwunden, und so<lb/>
sprachen wir der großen Holzflasche Spiros so lange zu, bis wir empfanden,<lb/>
daß auch Kienölwein recht lustig' machen könne. Der Maulthiertreiber, der<lb/>
mit dem Pferdeknecht sich an die Reste des Mahles gemacht, wurde durch<lb/>
fleißiges Einschenker bewogen, eines jener griechischen Volkslieder vorzutragen,<lb/>
die so lang wie Papier ohne Ende sind, und kam der Aufforderung mit einer<lb/>
Ausdauer nach, dre seiner Kehle, oder eigentlich seiner Nase, mehr Ehre als<lb/>
unsern Ohren Vergnügen machte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1212" next="#ID_1213"> Er begann eben eine Romanze von Marko Bozzaris zu näseln, als über<lb/>
den Bergen von Salamis der Mond ausging. Der zauberhafte Glanz, den<lb/>
er über die zackige Küste und über die unter ihr vom Winde geschaukelte<lb/>
Meeresflut ausgoß, lockte uns von dein Sänger hinweg, und statt des<lb/>
Weinfeuers zog allmälig die milde Melancholie in die Seele, die solche<lb/>
Mondscheinnächte an der See erwecken. Wie ein Geisterland lag drunten vor<lb/>
uns die dämmernde Insel mit der flimmernden Brücke, we.lebe der Magus<lb/>
der Nacht mit seiner himmlischen Zauberlaterne über die dunklen Gewässer<lb/>
hingaukelte. Die Klippen warfen ihre Schatten in die See. Von Südosten<lb/>
her wuchs aus dem Horizont gleich der Fata Morgana einer tropischen Palme<lb/>
ein prächtiger weißer Sturmbaum über den Himmel herauf. Nebeldünste<lb/>
quollen aus dem Boden und schwebten Gespenstern gleich über das Gefilde<lb/>
auf die Brücke zu. Cicaden zirpten ihr schwermüthig eintöniges Lied, als<lb/>
wollten sie den Gesang von Bozzaris begleiten, der jetzt, durch die Entfernung<lb/>
gedämpft, nicht mehr störte, fondern, recht eigentlich zum Charakter des gan¬<lb/>
zen Nachtbildes passend, die klagende Stimme des Irrlichts zu sein schien, in</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 64*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] noch keinen Einfluß gehabt. Er ist auf dem Lande und in den kleinern Städten allenthalben mit Fichtenharz verseht wie im Alterthum, und zwar so stark, daß niemand, der zum ersten Mal davon trinkt, auf Traubensaft, gar mancher aber auf Terpentinöl rathen würde, falls man ihn das Getränk in- cognito kosten ließe. Vermuthlich rührt daher auch der Name Krahl, Mischung, Mischtrank, den der Wein im Volksmunde führt. Wie dem aber auch sei, ich rathe jedem, der längere Zeit in Griechenland zu reisen beabsichtigt und des Weines nicht entrathen kann, beim Auszug aus Athen alle Hoffnung auf anderes Rebenblnt als diesen Nezinat dahinten zu lassen. Daß auch die Helden Homers, auch Perikles und Alkibiades und die Gäste des Symposions diesem eigenthümlichen Geschmack gehuldigt haben sollen, ist glaublich und nach manchen andern wunderlichen Gewohnheiten des alten Hellas sogar wahrscheinlich, aber kein Trost für die erschrockne Zunge. Indeß gewohnt sie sich mit der Zeit daran, und die hier lebenden Deutschen wissen von mehr als einem Landsmann zu berichten, der sich in den Rezinatschenken arm und krank getrunken hat. Wir hatten in Athen schon den ersten Schauder überwunden, und so sprachen wir der großen Holzflasche Spiros so lange zu, bis wir empfanden, daß auch Kienölwein recht lustig' machen könne. Der Maulthiertreiber, der mit dem Pferdeknecht sich an die Reste des Mahles gemacht, wurde durch fleißiges Einschenker bewogen, eines jener griechischen Volkslieder vorzutragen, die so lang wie Papier ohne Ende sind, und kam der Aufforderung mit einer Ausdauer nach, dre seiner Kehle, oder eigentlich seiner Nase, mehr Ehre als unsern Ohren Vergnügen machte. Er begann eben eine Romanze von Marko Bozzaris zu näseln, als über den Bergen von Salamis der Mond ausging. Der zauberhafte Glanz, den er über die zackige Küste und über die unter ihr vom Winde geschaukelte Meeresflut ausgoß, lockte uns von dein Sänger hinweg, und statt des Weinfeuers zog allmälig die milde Melancholie in die Seele, die solche Mondscheinnächte an der See erwecken. Wie ein Geisterland lag drunten vor uns die dämmernde Insel mit der flimmernden Brücke, we.lebe der Magus der Nacht mit seiner himmlischen Zauberlaterne über die dunklen Gewässer hingaukelte. Die Klippen warfen ihre Schatten in die See. Von Südosten her wuchs aus dem Horizont gleich der Fata Morgana einer tropischen Palme ein prächtiger weißer Sturmbaum über den Himmel herauf. Nebeldünste quollen aus dem Boden und schwebten Gespenstern gleich über das Gefilde auf die Brücke zu. Cicaden zirpten ihr schwermüthig eintöniges Lied, als wollten sie den Gesang von Bozzaris begleiten, der jetzt, durch die Entfernung gedämpft, nicht mehr störte, fondern, recht eigentlich zum Charakter des gan¬ zen Nachtbildes passend, die klagende Stimme des Irrlichts zu sein schien, in 64*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/435>, abgerufen am 23.07.2024.