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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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cake Interessen. Die Wahlen sind durchweg abhängig von dem Willen der
Negierung, und selten geschieht es, daß einer ihrer Candidaten durchfällt.

Die Polizei scheint gut zu sein. Wir hatten in einem Wirthshaus auf
dem Wege von Argos nach Tripolizza einen Plaid liegen lassen. Ein Brief
an den Wirth, in dem wir baten, den Plaid nach Korinth zu schicken, blieb
ohne Erfolg. Wir wendeten uns nun in Athen an die Centralpolizeistelle,
und vor einigen Tagen bekam ich die Nachricht, der Verlorene sei wohlbehalten
in Trieft eingetroffen. Daß dieser Fall aber nicht vereinzelt dasteht, zeigte
die Zuversicht unsres Dragomans, als er uns über den Verlust beruhigte.

Von Fremden wohnen in Athen besonders viele Franzosen, wie denn die
französische Sprache hier selbst häufiger gehört wird, als die sonst im Orient
gewöhnlich zur Verständigung mit den Eingebornen dienende italienische. Eng¬
länder befinden sich hier verhältnißmäßig wenige, was bei der erklärlichen Ab¬
neigung des Volt's vor der britischen Nation begreiflich ist. Symbolisch darf
man es auffassen. daß die Wohnung des russischen Gesandten dem königlichen
Palaste am nächsten liegt. Von Deutschen halten sich hier jetzt nur etwa zwei¬
hundert auf. Früher waren die Spitzen der Civilverwaltung und viele Offiziere
Deutsche. Die Revolution von 1843 entfernte sie bis auf diejenigen, welche
als Philhellenen für das Land gefochten hatten. Gegenwärtig besteht die
deutsche Colonie in Athen nur aus den Mitgliedern der preußischen und öst¬
reichischen Gesandtschaft, aus den Personen, die zum Hofstaat des Königs und
der Königin gehören, einem katholischen und einem lutherischen Hofprediger
(letzterer ist ein vertriebener Schleswig-holsteinischer Geistlicher von der friesischen
Insel Sylt), mehren Aerzten, einem Bildhauer, einem Buchhändler, einem
Agenten des Lloyd und einer Anzahl von Handwerkern. Einigen von diesen
Herren danke ich angenehme Stunden und mancherlei Belehrung, und diesen
rufe ich hiermit, so weit sie Leser der "Grenzboten" sind, herzliche Grüße zu.

Zum Schluß mag noch die Curiositüt Erwähnung verdienen, daß Sachsen
in Athen nicht, wie man erwarten sollte, durch den preußischen Gesandten,
dessen Vermittlung schon der Zollverein nahe zu legen scheint, sondern durch
den schwedischen vertreten ist, der nicht einmal deutsch versteht.

Das Geld, welches in Athen im Umlauf ist, besteht fast nur aus frem¬
den, und vorzüglich aus deutschen Münzsorten. Griechische Thaler kamen uns
niemals zu Gesicht. Drachmen (sie haben einen Werth von etwa 7^/2 Silber-
groschen) sieht man kaum anders verwendet als zum Halsschmuck der Bauer¬
mädchen. Als Scheidemünze dienen Fünf- und Zehnleptastücke von Kupfer.
Von Silbermünzen cursiren hauptsächlich Zwanziger, östreichische und sächsische
Gulden und alle möglichen Speciesthaler des weiland römischen Reichs: kur¬
pfälzische, kurbaierische, kursüchsische, braunschweigische, nürnbergische u. a.
Mit Jahreszahlen bis hinaus zum dreißigjährigen Kriege. Welche Zickzackreise


cake Interessen. Die Wahlen sind durchweg abhängig von dem Willen der
Negierung, und selten geschieht es, daß einer ihrer Candidaten durchfällt.

Die Polizei scheint gut zu sein. Wir hatten in einem Wirthshaus auf
dem Wege von Argos nach Tripolizza einen Plaid liegen lassen. Ein Brief
an den Wirth, in dem wir baten, den Plaid nach Korinth zu schicken, blieb
ohne Erfolg. Wir wendeten uns nun in Athen an die Centralpolizeistelle,
und vor einigen Tagen bekam ich die Nachricht, der Verlorene sei wohlbehalten
in Trieft eingetroffen. Daß dieser Fall aber nicht vereinzelt dasteht, zeigte
die Zuversicht unsres Dragomans, als er uns über den Verlust beruhigte.

Von Fremden wohnen in Athen besonders viele Franzosen, wie denn die
französische Sprache hier selbst häufiger gehört wird, als die sonst im Orient
gewöhnlich zur Verständigung mit den Eingebornen dienende italienische. Eng¬
länder befinden sich hier verhältnißmäßig wenige, was bei der erklärlichen Ab¬
neigung des Volt's vor der britischen Nation begreiflich ist. Symbolisch darf
man es auffassen. daß die Wohnung des russischen Gesandten dem königlichen
Palaste am nächsten liegt. Von Deutschen halten sich hier jetzt nur etwa zwei¬
hundert auf. Früher waren die Spitzen der Civilverwaltung und viele Offiziere
Deutsche. Die Revolution von 1843 entfernte sie bis auf diejenigen, welche
als Philhellenen für das Land gefochten hatten. Gegenwärtig besteht die
deutsche Colonie in Athen nur aus den Mitgliedern der preußischen und öst¬
reichischen Gesandtschaft, aus den Personen, die zum Hofstaat des Königs und
der Königin gehören, einem katholischen und einem lutherischen Hofprediger
(letzterer ist ein vertriebener Schleswig-holsteinischer Geistlicher von der friesischen
Insel Sylt), mehren Aerzten, einem Bildhauer, einem Buchhändler, einem
Agenten des Lloyd und einer Anzahl von Handwerkern. Einigen von diesen
Herren danke ich angenehme Stunden und mancherlei Belehrung, und diesen
rufe ich hiermit, so weit sie Leser der „Grenzboten" sind, herzliche Grüße zu.

Zum Schluß mag noch die Curiositüt Erwähnung verdienen, daß Sachsen
in Athen nicht, wie man erwarten sollte, durch den preußischen Gesandten,
dessen Vermittlung schon der Zollverein nahe zu legen scheint, sondern durch
den schwedischen vertreten ist, der nicht einmal deutsch versteht.

Das Geld, welches in Athen im Umlauf ist, besteht fast nur aus frem¬
den, und vorzüglich aus deutschen Münzsorten. Griechische Thaler kamen uns
niemals zu Gesicht. Drachmen (sie haben einen Werth von etwa 7^/2 Silber-
groschen) sieht man kaum anders verwendet als zum Halsschmuck der Bauer¬
mädchen. Als Scheidemünze dienen Fünf- und Zehnleptastücke von Kupfer.
Von Silbermünzen cursiren hauptsächlich Zwanziger, östreichische und sächsische
Gulden und alle möglichen Speciesthaler des weiland römischen Reichs: kur¬
pfälzische, kurbaierische, kursüchsische, braunschweigische, nürnbergische u. a.
Mit Jahreszahlen bis hinaus zum dreißigjährigen Kriege. Welche Zickzackreise


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[0391] cake Interessen. Die Wahlen sind durchweg abhängig von dem Willen der Negierung, und selten geschieht es, daß einer ihrer Candidaten durchfällt. Die Polizei scheint gut zu sein. Wir hatten in einem Wirthshaus auf dem Wege von Argos nach Tripolizza einen Plaid liegen lassen. Ein Brief an den Wirth, in dem wir baten, den Plaid nach Korinth zu schicken, blieb ohne Erfolg. Wir wendeten uns nun in Athen an die Centralpolizeistelle, und vor einigen Tagen bekam ich die Nachricht, der Verlorene sei wohlbehalten in Trieft eingetroffen. Daß dieser Fall aber nicht vereinzelt dasteht, zeigte die Zuversicht unsres Dragomans, als er uns über den Verlust beruhigte. Von Fremden wohnen in Athen besonders viele Franzosen, wie denn die französische Sprache hier selbst häufiger gehört wird, als die sonst im Orient gewöhnlich zur Verständigung mit den Eingebornen dienende italienische. Eng¬ länder befinden sich hier verhältnißmäßig wenige, was bei der erklärlichen Ab¬ neigung des Volt's vor der britischen Nation begreiflich ist. Symbolisch darf man es auffassen. daß die Wohnung des russischen Gesandten dem königlichen Palaste am nächsten liegt. Von Deutschen halten sich hier jetzt nur etwa zwei¬ hundert auf. Früher waren die Spitzen der Civilverwaltung und viele Offiziere Deutsche. Die Revolution von 1843 entfernte sie bis auf diejenigen, welche als Philhellenen für das Land gefochten hatten. Gegenwärtig besteht die deutsche Colonie in Athen nur aus den Mitgliedern der preußischen und öst¬ reichischen Gesandtschaft, aus den Personen, die zum Hofstaat des Königs und der Königin gehören, einem katholischen und einem lutherischen Hofprediger (letzterer ist ein vertriebener Schleswig-holsteinischer Geistlicher von der friesischen Insel Sylt), mehren Aerzten, einem Bildhauer, einem Buchhändler, einem Agenten des Lloyd und einer Anzahl von Handwerkern. Einigen von diesen Herren danke ich angenehme Stunden und mancherlei Belehrung, und diesen rufe ich hiermit, so weit sie Leser der „Grenzboten" sind, herzliche Grüße zu. Zum Schluß mag noch die Curiositüt Erwähnung verdienen, daß Sachsen in Athen nicht, wie man erwarten sollte, durch den preußischen Gesandten, dessen Vermittlung schon der Zollverein nahe zu legen scheint, sondern durch den schwedischen vertreten ist, der nicht einmal deutsch versteht. Das Geld, welches in Athen im Umlauf ist, besteht fast nur aus frem¬ den, und vorzüglich aus deutschen Münzsorten. Griechische Thaler kamen uns niemals zu Gesicht. Drachmen (sie haben einen Werth von etwa 7^/2 Silber- groschen) sieht man kaum anders verwendet als zum Halsschmuck der Bauer¬ mädchen. Als Scheidemünze dienen Fünf- und Zehnleptastücke von Kupfer. Von Silbermünzen cursiren hauptsächlich Zwanziger, östreichische und sächsische Gulden und alle möglichen Speciesthaler des weiland römischen Reichs: kur¬ pfälzische, kurbaierische, kursüchsische, braunschweigische, nürnbergische u. a. Mit Jahreszahlen bis hinaus zum dreißigjährigen Kriege. Welche Zickzackreise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/391>, abgerufen am 23.07.2024.