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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Wirthe leben. Dagegen scheinen die Frauen den Putz sehr zu lieben, und
man erzählt manche hübsche Anekdote von der Art, wie sich unbemittelte zu
eleganten Toiletten verhelfen. So versetzte unter anderm die bessere Hälfte
eines Lieutenants den Kessel, in welchem sie dem Herrn Gemahl seine Suppe
kochte, um sich einen Pamelahut zu kaufen, der ihr leider von jenem auf eine
hier nicht näher zu beschreibende, an Eulenspiegel erinnernde Weise verdorben
wurde. Sonst hört man von dem Familienleben sast nur Gutes, und wenn
die Frauen im Allgemeinen eine sehr untergeordnete Stellung einnehmen, so
weiß die Skandalchronik, die sonst hier ziemlich reich ist, nur sehr wenig von
Eheskandal zu berichten -- ein Verhältniß, sür dessen Erhaltung von höchster
Stelle (ich meine das Boudoir des Schlosses) mit ebenso viel Wachsamkeit als
Energie gesorgt wird. Auch nach andern Richtungen hin hebt sich die Sittlich¬
keit, wenn es auch noch vor kurzem vorkommen konnte, daß ein Offizier auf
einem Ball sich die Taschen untersuchen lassen mußte, weil er den Empfang
eines Armbands ableugnete, welches ihm von seiner Tänzerin zum Aufheben
anvertraut worden war, und wenn auch ein Gutsbesitzer, ebenfalls vor kurzem,
sich dadurch Lob erwerben konnte, daß er eine Summe, die ihm zur Verbesse¬
rung einer Korinthenpflanzung geliehen worden und die er, durch die Trauben¬
fäule in seinen Erwartungen getäuscht, vor Gericht abgeschworen hatte, später,
als ein gutes Jahr kam, wenigstens zum Theil zurückzahlte. Die Leute nann¬
ten das edel und hochherzig gehandelt; er hätte das Geld ja ganz behalten
können. Räuber gibt es vorläufig nicht in Griechenland. Seitdem die Königin
das erste Todesurtheil unterschrieben, haben Pulver und Blei und die Guillo¬
tine fleißig unter dem Gesindel aufgeräumt. Das jetzige Ministerium, welches
überhaupt viel gelobt wird, scheint die letzten Banden ausgerottet zu haben,
und der Kriegsminister Smolcnitz hat durch ein System von Patrouillen und Wacht¬
posten, die durch ganz Nordgriechenland vertheilt sind, gesorgt, daß die Neigung des
albanesischen Volksstammes zu derartiger Romantik in Schranken gehalten wird.
Das Gefühl vollkommner Sicherheit ist damit allerdings noch nicht gewonnen.
Sechs Wochen vor unsrer Ankunft noch hatte ein Fleischer aus dem Piräus
mit einer starken Schar das Land bis auf eine Stunde von Athen durch
Blutthaten in Schrecken gesetzt, und niemand weiß zu sagen, ob der Gebrauch,
wenn eine Partei ein anderes Cabinet wünscht. Räuberbanden auftreten zu
lassen, um die Unfähigkeit der Minister zu gehöriger Sicherstellung der Bürger
darzuthun, sür immer außer Uebung gekommen ist. Ueber die Konstitution
vernahm ich allgemein ungünstige Urtheile, und von einer eigentlichen parla¬
mentarischen Regierung ist nicht die Rede. "Wenn es dem König heute be¬
liebte, die Verfassung aufzuheben, so würde kein Hahn darüber krähen," äu¬
ßerten sich verschiedene wohlunterrichtete Stimmen. Parteien, die auf Prin¬
cipien gegründet sind, gibt es nicht, man kennt nur persönliche, höchstens lo-


Wirthe leben. Dagegen scheinen die Frauen den Putz sehr zu lieben, und
man erzählt manche hübsche Anekdote von der Art, wie sich unbemittelte zu
eleganten Toiletten verhelfen. So versetzte unter anderm die bessere Hälfte
eines Lieutenants den Kessel, in welchem sie dem Herrn Gemahl seine Suppe
kochte, um sich einen Pamelahut zu kaufen, der ihr leider von jenem auf eine
hier nicht näher zu beschreibende, an Eulenspiegel erinnernde Weise verdorben
wurde. Sonst hört man von dem Familienleben sast nur Gutes, und wenn
die Frauen im Allgemeinen eine sehr untergeordnete Stellung einnehmen, so
weiß die Skandalchronik, die sonst hier ziemlich reich ist, nur sehr wenig von
Eheskandal zu berichten — ein Verhältniß, sür dessen Erhaltung von höchster
Stelle (ich meine das Boudoir des Schlosses) mit ebenso viel Wachsamkeit als
Energie gesorgt wird. Auch nach andern Richtungen hin hebt sich die Sittlich¬
keit, wenn es auch noch vor kurzem vorkommen konnte, daß ein Offizier auf
einem Ball sich die Taschen untersuchen lassen mußte, weil er den Empfang
eines Armbands ableugnete, welches ihm von seiner Tänzerin zum Aufheben
anvertraut worden war, und wenn auch ein Gutsbesitzer, ebenfalls vor kurzem,
sich dadurch Lob erwerben konnte, daß er eine Summe, die ihm zur Verbesse¬
rung einer Korinthenpflanzung geliehen worden und die er, durch die Trauben¬
fäule in seinen Erwartungen getäuscht, vor Gericht abgeschworen hatte, später,
als ein gutes Jahr kam, wenigstens zum Theil zurückzahlte. Die Leute nann¬
ten das edel und hochherzig gehandelt; er hätte das Geld ja ganz behalten
können. Räuber gibt es vorläufig nicht in Griechenland. Seitdem die Königin
das erste Todesurtheil unterschrieben, haben Pulver und Blei und die Guillo¬
tine fleißig unter dem Gesindel aufgeräumt. Das jetzige Ministerium, welches
überhaupt viel gelobt wird, scheint die letzten Banden ausgerottet zu haben,
und der Kriegsminister Smolcnitz hat durch ein System von Patrouillen und Wacht¬
posten, die durch ganz Nordgriechenland vertheilt sind, gesorgt, daß die Neigung des
albanesischen Volksstammes zu derartiger Romantik in Schranken gehalten wird.
Das Gefühl vollkommner Sicherheit ist damit allerdings noch nicht gewonnen.
Sechs Wochen vor unsrer Ankunft noch hatte ein Fleischer aus dem Piräus
mit einer starken Schar das Land bis auf eine Stunde von Athen durch
Blutthaten in Schrecken gesetzt, und niemand weiß zu sagen, ob der Gebrauch,
wenn eine Partei ein anderes Cabinet wünscht. Räuberbanden auftreten zu
lassen, um die Unfähigkeit der Minister zu gehöriger Sicherstellung der Bürger
darzuthun, sür immer außer Uebung gekommen ist. Ueber die Konstitution
vernahm ich allgemein ungünstige Urtheile, und von einer eigentlichen parla¬
mentarischen Regierung ist nicht die Rede. „Wenn es dem König heute be¬
liebte, die Verfassung aufzuheben, so würde kein Hahn darüber krähen," äu¬
ßerten sich verschiedene wohlunterrichtete Stimmen. Parteien, die auf Prin¬
cipien gegründet sind, gibt es nicht, man kennt nur persönliche, höchstens lo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/390>, abgerufen am 22.07.2024.