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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Der andere Fall, den wir erzählen wollen, schildert nicht blos die Un¬
sicherheit des israelitischen Eigenthums, sondern offenbart den positiven Scha¬
den, welchen auch christlicher Besitz durch die erwähnte beschränkende Verord¬
nung erleidet. Vor achtzehn Monaten wurde der große Gütercomplex von
Leitomischl in Böhmen gerichtlich versteigert. Es lag ein Angebot vor, welches
nach Tilgung aller Schulden dem ehemaligen Besitzer noch eine ansehnliche
Summe verschafft hätte. Da dasselbe jedoch von einem Juden ausging, wurde
es zurückgewiesen, und dem Fürsten Thurn und Taxis die Herrschaft zugeschla¬
gen, welcher dieselbe Dank dem Umstände, daß er blos jüdische Mitbewerber
hatte, halb geschenkt erhielt. Wir gönnen dem neuen Eigenthümer von gan¬
zem Herzen den glücklichen Erwerb. Wenn wir aber vernehmen, daß der
Kaufpreis (1,257.334 Thlr.) hinter der Schuldenmasse um eine halbe Million
Thaler zurückblieb, daß ein Pensionscapital von etwa 26,000 Thalern keine
Deckung erhielt und Waisengelder im Betrag von 96,145 Thlr. (144,218 Fi.)
durch den niedrigen Kaufpreis verloren gingen, und daß das alles eine Folge
der abgewiesenen jüdischen Concurrenz ist, so begreisen wir den Aerger der
Beschädigtem, die sich wol gar betrogen wähnen und erklären uns leicht die
Unpopularität der wiederhergestellten Besitzunfähigkeit der Juden in grund¬
besitzenden Kreisen.

Drücken unvermeidliche Umstände und natürliche Verhältnisse den Werth
liegender Güter, so muß man sich dies gefallen lassen, wenn aber die Preise
künstlich erniedrigt werden, wie es durch die willkürliche Einschränkung der
Concurrenz unzweifelhaft der Fall ist, so gibt dies nothwendig Veranlassung
Mr Klage und Unzufriedenheit. Die Landeigenthümer wissen, daß die nam¬
hafte Erhöhung der Grundsteuer nur noch eine Frage der Zeit ist. Jndirect
hat man sie bereits im verflossenen Jahre gesteigert, indem man das Ka¬
raster verbesserte, wodurch ein Mehrerträgniß von 1,891,536 Fi. gegen das
Jahr 1856 erzielt wurde. Die Regierung begnügt sich aber nicht damit,
sondern wird, sobald die Einzahlungen aus die Nationalanleihe -- bekannt¬
lich eine verdeckte Einkommensteuer -- ihr Ende erreicht haben, die Grund¬
steuer überhaupt höher bemessen. Soll dies ohne Ueberbürdung des Grund¬
besitzes geschehen, so muß sie schon frühzeitig bedacht sein, alle Schranken des
freien Verkehrs, alle Hindernisse einer Werthsteigerung wegzuräumen. Ist die
Verordnung vom 2. October 1853 ein solches Hinderniß, wie jedermann in
Oestreich zugibt, so muß sie aufgehoben werden, mag die Regierung noch so
große Bedenken gegen die Erweiterung der Rechte der Juden hegen.

Die Billigkeit verlangt es übrigens, daß wir der Regierung das Zeugniß
geben, daß sie keineswegs von Vorurtheilen in Bezug auf die Juden erfüllt ist.
Die Statthalter der verschiedenen Provinzen haben oft und eifrig die Gleichstellung
der Juden in der Besitzfähigkeit empfohlen und Bittschriften in diesem Sinne
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Grenzboten III. 18S8. 47

Der andere Fall, den wir erzählen wollen, schildert nicht blos die Un¬
sicherheit des israelitischen Eigenthums, sondern offenbart den positiven Scha¬
den, welchen auch christlicher Besitz durch die erwähnte beschränkende Verord¬
nung erleidet. Vor achtzehn Monaten wurde der große Gütercomplex von
Leitomischl in Böhmen gerichtlich versteigert. Es lag ein Angebot vor, welches
nach Tilgung aller Schulden dem ehemaligen Besitzer noch eine ansehnliche
Summe verschafft hätte. Da dasselbe jedoch von einem Juden ausging, wurde
es zurückgewiesen, und dem Fürsten Thurn und Taxis die Herrschaft zugeschla¬
gen, welcher dieselbe Dank dem Umstände, daß er blos jüdische Mitbewerber
hatte, halb geschenkt erhielt. Wir gönnen dem neuen Eigenthümer von gan¬
zem Herzen den glücklichen Erwerb. Wenn wir aber vernehmen, daß der
Kaufpreis (1,257.334 Thlr.) hinter der Schuldenmasse um eine halbe Million
Thaler zurückblieb, daß ein Pensionscapital von etwa 26,000 Thalern keine
Deckung erhielt und Waisengelder im Betrag von 96,145 Thlr. (144,218 Fi.)
durch den niedrigen Kaufpreis verloren gingen, und daß das alles eine Folge
der abgewiesenen jüdischen Concurrenz ist, so begreisen wir den Aerger der
Beschädigtem, die sich wol gar betrogen wähnen und erklären uns leicht die
Unpopularität der wiederhergestellten Besitzunfähigkeit der Juden in grund¬
besitzenden Kreisen.

Drücken unvermeidliche Umstände und natürliche Verhältnisse den Werth
liegender Güter, so muß man sich dies gefallen lassen, wenn aber die Preise
künstlich erniedrigt werden, wie es durch die willkürliche Einschränkung der
Concurrenz unzweifelhaft der Fall ist, so gibt dies nothwendig Veranlassung
Mr Klage und Unzufriedenheit. Die Landeigenthümer wissen, daß die nam¬
hafte Erhöhung der Grundsteuer nur noch eine Frage der Zeit ist. Jndirect
hat man sie bereits im verflossenen Jahre gesteigert, indem man das Ka¬
raster verbesserte, wodurch ein Mehrerträgniß von 1,891,536 Fi. gegen das
Jahr 1856 erzielt wurde. Die Regierung begnügt sich aber nicht damit,
sondern wird, sobald die Einzahlungen aus die Nationalanleihe — bekannt¬
lich eine verdeckte Einkommensteuer — ihr Ende erreicht haben, die Grund¬
steuer überhaupt höher bemessen. Soll dies ohne Ueberbürdung des Grund¬
besitzes geschehen, so muß sie schon frühzeitig bedacht sein, alle Schranken des
freien Verkehrs, alle Hindernisse einer Werthsteigerung wegzuräumen. Ist die
Verordnung vom 2. October 1853 ein solches Hinderniß, wie jedermann in
Oestreich zugibt, so muß sie aufgehoben werden, mag die Regierung noch so
große Bedenken gegen die Erweiterung der Rechte der Juden hegen.

Die Billigkeit verlangt es übrigens, daß wir der Regierung das Zeugniß
geben, daß sie keineswegs von Vorurtheilen in Bezug auf die Juden erfüllt ist.
Die Statthalter der verschiedenen Provinzen haben oft und eifrig die Gleichstellung
der Juden in der Besitzfähigkeit empfohlen und Bittschriften in diesem Sinne
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[0377] Der andere Fall, den wir erzählen wollen, schildert nicht blos die Un¬ sicherheit des israelitischen Eigenthums, sondern offenbart den positiven Scha¬ den, welchen auch christlicher Besitz durch die erwähnte beschränkende Verord¬ nung erleidet. Vor achtzehn Monaten wurde der große Gütercomplex von Leitomischl in Böhmen gerichtlich versteigert. Es lag ein Angebot vor, welches nach Tilgung aller Schulden dem ehemaligen Besitzer noch eine ansehnliche Summe verschafft hätte. Da dasselbe jedoch von einem Juden ausging, wurde es zurückgewiesen, und dem Fürsten Thurn und Taxis die Herrschaft zugeschla¬ gen, welcher dieselbe Dank dem Umstände, daß er blos jüdische Mitbewerber hatte, halb geschenkt erhielt. Wir gönnen dem neuen Eigenthümer von gan¬ zem Herzen den glücklichen Erwerb. Wenn wir aber vernehmen, daß der Kaufpreis (1,257.334 Thlr.) hinter der Schuldenmasse um eine halbe Million Thaler zurückblieb, daß ein Pensionscapital von etwa 26,000 Thalern keine Deckung erhielt und Waisengelder im Betrag von 96,145 Thlr. (144,218 Fi.) durch den niedrigen Kaufpreis verloren gingen, und daß das alles eine Folge der abgewiesenen jüdischen Concurrenz ist, so begreisen wir den Aerger der Beschädigtem, die sich wol gar betrogen wähnen und erklären uns leicht die Unpopularität der wiederhergestellten Besitzunfähigkeit der Juden in grund¬ besitzenden Kreisen. Drücken unvermeidliche Umstände und natürliche Verhältnisse den Werth liegender Güter, so muß man sich dies gefallen lassen, wenn aber die Preise künstlich erniedrigt werden, wie es durch die willkürliche Einschränkung der Concurrenz unzweifelhaft der Fall ist, so gibt dies nothwendig Veranlassung Mr Klage und Unzufriedenheit. Die Landeigenthümer wissen, daß die nam¬ hafte Erhöhung der Grundsteuer nur noch eine Frage der Zeit ist. Jndirect hat man sie bereits im verflossenen Jahre gesteigert, indem man das Ka¬ raster verbesserte, wodurch ein Mehrerträgniß von 1,891,536 Fi. gegen das Jahr 1856 erzielt wurde. Die Regierung begnügt sich aber nicht damit, sondern wird, sobald die Einzahlungen aus die Nationalanleihe — bekannt¬ lich eine verdeckte Einkommensteuer — ihr Ende erreicht haben, die Grund¬ steuer überhaupt höher bemessen. Soll dies ohne Ueberbürdung des Grund¬ besitzes geschehen, so muß sie schon frühzeitig bedacht sein, alle Schranken des freien Verkehrs, alle Hindernisse einer Werthsteigerung wegzuräumen. Ist die Verordnung vom 2. October 1853 ein solches Hinderniß, wie jedermann in Oestreich zugibt, so muß sie aufgehoben werden, mag die Regierung noch so große Bedenken gegen die Erweiterung der Rechte der Juden hegen. Die Billigkeit verlangt es übrigens, daß wir der Regierung das Zeugniß geben, daß sie keineswegs von Vorurtheilen in Bezug auf die Juden erfüllt ist. Die Statthalter der verschiedenen Provinzen haben oft und eifrig die Gleichstellung der Juden in der Besitzfähigkeit empfohlen und Bittschriften in diesem Sinne ' Grenzboten III. 18S8. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/377>, abgerufen am 22.07.2024.