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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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hier verkündete Paulus die Mähr vom unbekannten Gotte, und hier in der
wilden düstern Schlucht daneben, in welche ein in den Fels gehauener Weg
hinabführt, wohnten an der Quelle, die noch jeßt wie ihr finster blickendes
Auge heraufstarrt, die Göttinnen der Blutrache.

Südlich von hier steigt der Museions Hügel an, wo Musaeus gesungen
haben und begraben sein soll. Später legte Demetrius Poliorketes hier eine
Zwingburg an. Jetzt erhebt sich auf dem Gipfel das Denkmal des Seleu-
ciden Philopappus, welches einst ungemein prachtvoll gewesen sein muß, dessen
Reliefs, Statuen und Inschriften aber jetzt so verstümmelt sind, daß ich mich
hier mit der bloßen Erwähnung begnügen kann. Ebenso wenig bedürfen einer
ausführlichen Erwähnung die drei in den Felsen gehauenen Vorrathskammern,
die auf der nördlichen Seite am Fuße des Museionshügels sich finden,
und in denen Leute, die alles sehen, was sie sehen wollen, das Gesängniß
des Sokrates entdeckt haben. Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Ansicht für sich,
daß die große Familiengruft an dem südwestlichen AbHange das Grab Kimons,
des Siegers in der Doppelschlacht am Eurymedon, sei. Unten im Thale
schlängelt sich, bald nachher in morastigen Boden verschwindend, das in der
Sommerszeit fast wasserlose Bächlein des Ilissus hin. Der nächste Hügel im
Nordwesten ist die Pnyx, die Stätte der Volksversammlungen im alten Athen.
Auf der Seite, die der Stadt zugekehrt ist, breitet sich einige Fuß unter der
höchsten Stelle ein weiter halbkreisförmiger Platz aus, der künstlich geebnet
ist. Da, wo das Terrain nach Norden hin eine Senkung bildete, hat man
eine Mauer aufgeführt, die sich eine Strecke weit verfolgen läßt, und deren
Steine, in der Weise von Cyklopenbautcn zusammengefügt, 'zum Theil von
riesigen Maßen sind. In der Mitte des Hufeisens, welches die Pnyx nach
Westen, Süden und Osten hin darstellt, springt aus dem natürlichen Felsen
anderthalb Mann hoch ein mächtiger Steinwürfel hervor, zu dem, rechts und
links an die Felswand sich anlehnend, acht ziemlich regelmäßige Stufen hin¬
aufführen. Die Oberfläche ist jetzt rauh. Einst mochte sie mit glatten Tafeln
belegt und dadurch erhöht sein; denn nur so löst sich der Widerspruch, der
gegen die Meinung, daß hier das Bema, die Rednerbühne gewesen, darauf
hin erhoben worden ist, daß man im Plutarch liest, es sei von hier das Meer
zu sehen gewesen, was jetzt nicht der Fall ist.

Ich besuchte die Stätte mit einem berliner Philologen und einem in
Athen wohnhaften deutschen Archäologen, der Landsleuten gefällig als Führer
dient. Jener erhob Zweifel, ob der Redner auf dem Würfel bis an das
Ende des ungefähr siebentausend Menschen fassenden Zuhörerraums verstanden
worden sei. Aber eine Probe, die mit den Anfangsworten der Rede für den
Kranz gemacht wurde, zeigte, daß selbst ein Organ, welches nichts von dem
Donner des Perikles hatte, bis in die entfernteste Ecke verständlich war.


hier verkündete Paulus die Mähr vom unbekannten Gotte, und hier in der
wilden düstern Schlucht daneben, in welche ein in den Fels gehauener Weg
hinabführt, wohnten an der Quelle, die noch jeßt wie ihr finster blickendes
Auge heraufstarrt, die Göttinnen der Blutrache.

Südlich von hier steigt der Museions Hügel an, wo Musaeus gesungen
haben und begraben sein soll. Später legte Demetrius Poliorketes hier eine
Zwingburg an. Jetzt erhebt sich auf dem Gipfel das Denkmal des Seleu-
ciden Philopappus, welches einst ungemein prachtvoll gewesen sein muß, dessen
Reliefs, Statuen und Inschriften aber jetzt so verstümmelt sind, daß ich mich
hier mit der bloßen Erwähnung begnügen kann. Ebenso wenig bedürfen einer
ausführlichen Erwähnung die drei in den Felsen gehauenen Vorrathskammern,
die auf der nördlichen Seite am Fuße des Museionshügels sich finden,
und in denen Leute, die alles sehen, was sie sehen wollen, das Gesängniß
des Sokrates entdeckt haben. Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Ansicht für sich,
daß die große Familiengruft an dem südwestlichen AbHange das Grab Kimons,
des Siegers in der Doppelschlacht am Eurymedon, sei. Unten im Thale
schlängelt sich, bald nachher in morastigen Boden verschwindend, das in der
Sommerszeit fast wasserlose Bächlein des Ilissus hin. Der nächste Hügel im
Nordwesten ist die Pnyx, die Stätte der Volksversammlungen im alten Athen.
Auf der Seite, die der Stadt zugekehrt ist, breitet sich einige Fuß unter der
höchsten Stelle ein weiter halbkreisförmiger Platz aus, der künstlich geebnet
ist. Da, wo das Terrain nach Norden hin eine Senkung bildete, hat man
eine Mauer aufgeführt, die sich eine Strecke weit verfolgen läßt, und deren
Steine, in der Weise von Cyklopenbautcn zusammengefügt, 'zum Theil von
riesigen Maßen sind. In der Mitte des Hufeisens, welches die Pnyx nach
Westen, Süden und Osten hin darstellt, springt aus dem natürlichen Felsen
anderthalb Mann hoch ein mächtiger Steinwürfel hervor, zu dem, rechts und
links an die Felswand sich anlehnend, acht ziemlich regelmäßige Stufen hin¬
aufführen. Die Oberfläche ist jetzt rauh. Einst mochte sie mit glatten Tafeln
belegt und dadurch erhöht sein; denn nur so löst sich der Widerspruch, der
gegen die Meinung, daß hier das Bema, die Rednerbühne gewesen, darauf
hin erhoben worden ist, daß man im Plutarch liest, es sei von hier das Meer
zu sehen gewesen, was jetzt nicht der Fall ist.

Ich besuchte die Stätte mit einem berliner Philologen und einem in
Athen wohnhaften deutschen Archäologen, der Landsleuten gefällig als Führer
dient. Jener erhob Zweifel, ob der Redner auf dem Würfel bis an das
Ende des ungefähr siebentausend Menschen fassenden Zuhörerraums verstanden
worden sei. Aber eine Probe, die mit den Anfangsworten der Rede für den
Kranz gemacht wurde, zeigte, daß selbst ein Organ, welches nichts von dem
Donner des Perikles hatte, bis in die entfernteste Ecke verständlich war.


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[0358] hier verkündete Paulus die Mähr vom unbekannten Gotte, und hier in der wilden düstern Schlucht daneben, in welche ein in den Fels gehauener Weg hinabführt, wohnten an der Quelle, die noch jeßt wie ihr finster blickendes Auge heraufstarrt, die Göttinnen der Blutrache. Südlich von hier steigt der Museions Hügel an, wo Musaeus gesungen haben und begraben sein soll. Später legte Demetrius Poliorketes hier eine Zwingburg an. Jetzt erhebt sich auf dem Gipfel das Denkmal des Seleu- ciden Philopappus, welches einst ungemein prachtvoll gewesen sein muß, dessen Reliefs, Statuen und Inschriften aber jetzt so verstümmelt sind, daß ich mich hier mit der bloßen Erwähnung begnügen kann. Ebenso wenig bedürfen einer ausführlichen Erwähnung die drei in den Felsen gehauenen Vorrathskammern, die auf der nördlichen Seite am Fuße des Museionshügels sich finden, und in denen Leute, die alles sehen, was sie sehen wollen, das Gesängniß des Sokrates entdeckt haben. Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Ansicht für sich, daß die große Familiengruft an dem südwestlichen AbHange das Grab Kimons, des Siegers in der Doppelschlacht am Eurymedon, sei. Unten im Thale schlängelt sich, bald nachher in morastigen Boden verschwindend, das in der Sommerszeit fast wasserlose Bächlein des Ilissus hin. Der nächste Hügel im Nordwesten ist die Pnyx, die Stätte der Volksversammlungen im alten Athen. Auf der Seite, die der Stadt zugekehrt ist, breitet sich einige Fuß unter der höchsten Stelle ein weiter halbkreisförmiger Platz aus, der künstlich geebnet ist. Da, wo das Terrain nach Norden hin eine Senkung bildete, hat man eine Mauer aufgeführt, die sich eine Strecke weit verfolgen läßt, und deren Steine, in der Weise von Cyklopenbautcn zusammengefügt, 'zum Theil von riesigen Maßen sind. In der Mitte des Hufeisens, welches die Pnyx nach Westen, Süden und Osten hin darstellt, springt aus dem natürlichen Felsen anderthalb Mann hoch ein mächtiger Steinwürfel hervor, zu dem, rechts und links an die Felswand sich anlehnend, acht ziemlich regelmäßige Stufen hin¬ aufführen. Die Oberfläche ist jetzt rauh. Einst mochte sie mit glatten Tafeln belegt und dadurch erhöht sein; denn nur so löst sich der Widerspruch, der gegen die Meinung, daß hier das Bema, die Rednerbühne gewesen, darauf hin erhoben worden ist, daß man im Plutarch liest, es sei von hier das Meer zu sehen gewesen, was jetzt nicht der Fall ist. Ich besuchte die Stätte mit einem berliner Philologen und einem in Athen wohnhaften deutschen Archäologen, der Landsleuten gefällig als Führer dient. Jener erhob Zweifel, ob der Redner auf dem Würfel bis an das Ende des ungefähr siebentausend Menschen fassenden Zuhörerraums verstanden worden sei. Aber eine Probe, die mit den Anfangsworten der Rede für den Kranz gemacht wurde, zeigte, daß selbst ein Organ, welches nichts von dem Donner des Perikles hatte, bis in die entfernteste Ecke verständlich war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/358>, abgerufen am 23.07.2024.