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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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die Sieger in den dramatischen Wettkämpfen ehrte, und welche diese Sieger
dann hier vor dem, der sie begeistert, aufzustellen pflegten. Ein Beweis da¬
für sind die dreieckigen Kapitale. Die Säulen gehören, wie unter anderen
ihre Inschriften zeigen, gleich der ganzen Sitte der römischen Zeit an. und
sind die einzigen, welche von einer großen Zahl ähnlicher, demselben Zwecke
gewidmeter, die einst hier im Südosten der Akropolis standen, noch übrig sind.

Gehen wir weiter nach Norden, so stoßen wir aus einen kleinen thurm¬
artigen Bau von pentelischem Marmor, welcher -- Gott weiß von welcher
wunderlichen Phantasie zuerst -- als die Laterne des Diogenes bezeichnet wor¬
den ist. Seine Inschrift sagt uns, daß wir in ihm das Denkmal des
Choragen Lysikrates vor uns haben, der in der Zeit Alexanders des
Großen mit einem Knabenchor im Theater einen Sieg gewann. Auf einem
viereckigen Unterbau erheben sich gerundete Wände, um welche 6 korinthische
Säulen mit 13 Cannelüren stehen, die auf überaus zierlichen Kapitälen das
Gebälk des Kuppeldachs tragen. Auf dem Architrav liest man die erwähnte
Inschrift. Auf dem Fries darüber erzählt ein geschmackvoll gearbeitetes Re¬
lief den Mythus, nach welchem Dionysos, von tyrrhenischen Seeräubern an¬
gegriffen, sich der Feinde dadurch entledigt, daß er sie in Delphine verwan¬
delt. Es ist eine mit großer Feinheit, Anmuth und Lebendigkeit ausgeführte
Versteinerung des bekannten homerischen Hymnus auf den Gott, nur daß
statt der Wendung, wo der Dichter den Gegenstand seines Loblieds selbst zum
Löwen werden läßt, die Sculptur, die solche Metamorphosen nicht darstellen
durfte, uns Dionysos nur auf einem Löwen sitzend zeigt. Das Dach ist mit
schuppenförmigen Marmorplatten gedeckt, mit denen dasselbe einem Pinien-
znpfen gleicht. Die Spitze läßt einen runden, schön gegliederten Stamm aus
sich hervorstrcben, der oben nach drei Seiten Ranken mit Laubwerk aussendet.
Hier stand der Dreifuß, deu Lysikrates sich erobert. Der ganze Bau. der
erst vor kurzem aus den Mauern eines Klosters, mit denen ihn die Geschmack¬
losigkeit des Mittelalters verklebt hatte, herausgeschält worden ist, hat eine
Höhe von 34 und einen Durchmesser von 7 Fuß.

An der Nordseite des Akropolishügels befinden sich keine Alterthümer.
Doch mag eine der hier sich öffnenden Höhlen, in deren Wand man vier¬
eckige Vertiefungen wie zur Aufstellung von Weihgeschenken eingehauen sieht,
die Pcinsgrotte sein, in welcher Schalt' Anstophanes die schöne Ehcstands-
scene zwischen Kinesias und Myrrhine spielen läßt.

So sind wir wieder im Westen, am Aufgang nach dem Thor zur Akro¬
polis. An jeden der Hügel, die hier sich in einer Gruppe erheben, knüpfen
sich große und ernste Erinnerungen. Wie durch einen Felssturz hingeworfen,
liegen vor uns zunächst die kahlen braunen Blöcke des Hügels, in dem man
den Areopag erkannt hat. Hier fand Orestes Verzeihung des Muttermordes,


die Sieger in den dramatischen Wettkämpfen ehrte, und welche diese Sieger
dann hier vor dem, der sie begeistert, aufzustellen pflegten. Ein Beweis da¬
für sind die dreieckigen Kapitale. Die Säulen gehören, wie unter anderen
ihre Inschriften zeigen, gleich der ganzen Sitte der römischen Zeit an. und
sind die einzigen, welche von einer großen Zahl ähnlicher, demselben Zwecke
gewidmeter, die einst hier im Südosten der Akropolis standen, noch übrig sind.

Gehen wir weiter nach Norden, so stoßen wir aus einen kleinen thurm¬
artigen Bau von pentelischem Marmor, welcher — Gott weiß von welcher
wunderlichen Phantasie zuerst — als die Laterne des Diogenes bezeichnet wor¬
den ist. Seine Inschrift sagt uns, daß wir in ihm das Denkmal des
Choragen Lysikrates vor uns haben, der in der Zeit Alexanders des
Großen mit einem Knabenchor im Theater einen Sieg gewann. Auf einem
viereckigen Unterbau erheben sich gerundete Wände, um welche 6 korinthische
Säulen mit 13 Cannelüren stehen, die auf überaus zierlichen Kapitälen das
Gebälk des Kuppeldachs tragen. Auf dem Architrav liest man die erwähnte
Inschrift. Auf dem Fries darüber erzählt ein geschmackvoll gearbeitetes Re¬
lief den Mythus, nach welchem Dionysos, von tyrrhenischen Seeräubern an¬
gegriffen, sich der Feinde dadurch entledigt, daß er sie in Delphine verwan¬
delt. Es ist eine mit großer Feinheit, Anmuth und Lebendigkeit ausgeführte
Versteinerung des bekannten homerischen Hymnus auf den Gott, nur daß
statt der Wendung, wo der Dichter den Gegenstand seines Loblieds selbst zum
Löwen werden läßt, die Sculptur, die solche Metamorphosen nicht darstellen
durfte, uns Dionysos nur auf einem Löwen sitzend zeigt. Das Dach ist mit
schuppenförmigen Marmorplatten gedeckt, mit denen dasselbe einem Pinien-
znpfen gleicht. Die Spitze läßt einen runden, schön gegliederten Stamm aus
sich hervorstrcben, der oben nach drei Seiten Ranken mit Laubwerk aussendet.
Hier stand der Dreifuß, deu Lysikrates sich erobert. Der ganze Bau. der
erst vor kurzem aus den Mauern eines Klosters, mit denen ihn die Geschmack¬
losigkeit des Mittelalters verklebt hatte, herausgeschält worden ist, hat eine
Höhe von 34 und einen Durchmesser von 7 Fuß.

An der Nordseite des Akropolishügels befinden sich keine Alterthümer.
Doch mag eine der hier sich öffnenden Höhlen, in deren Wand man vier¬
eckige Vertiefungen wie zur Aufstellung von Weihgeschenken eingehauen sieht,
die Pcinsgrotte sein, in welcher Schalt' Anstophanes die schöne Ehcstands-
scene zwischen Kinesias und Myrrhine spielen läßt.

So sind wir wieder im Westen, am Aufgang nach dem Thor zur Akro¬
polis. An jeden der Hügel, die hier sich in einer Gruppe erheben, knüpfen
sich große und ernste Erinnerungen. Wie durch einen Felssturz hingeworfen,
liegen vor uns zunächst die kahlen braunen Blöcke des Hügels, in dem man
den Areopag erkannt hat. Hier fand Orestes Verzeihung des Muttermordes,


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[0357] die Sieger in den dramatischen Wettkämpfen ehrte, und welche diese Sieger dann hier vor dem, der sie begeistert, aufzustellen pflegten. Ein Beweis da¬ für sind die dreieckigen Kapitale. Die Säulen gehören, wie unter anderen ihre Inschriften zeigen, gleich der ganzen Sitte der römischen Zeit an. und sind die einzigen, welche von einer großen Zahl ähnlicher, demselben Zwecke gewidmeter, die einst hier im Südosten der Akropolis standen, noch übrig sind. Gehen wir weiter nach Norden, so stoßen wir aus einen kleinen thurm¬ artigen Bau von pentelischem Marmor, welcher — Gott weiß von welcher wunderlichen Phantasie zuerst — als die Laterne des Diogenes bezeichnet wor¬ den ist. Seine Inschrift sagt uns, daß wir in ihm das Denkmal des Choragen Lysikrates vor uns haben, der in der Zeit Alexanders des Großen mit einem Knabenchor im Theater einen Sieg gewann. Auf einem viereckigen Unterbau erheben sich gerundete Wände, um welche 6 korinthische Säulen mit 13 Cannelüren stehen, die auf überaus zierlichen Kapitälen das Gebälk des Kuppeldachs tragen. Auf dem Architrav liest man die erwähnte Inschrift. Auf dem Fries darüber erzählt ein geschmackvoll gearbeitetes Re¬ lief den Mythus, nach welchem Dionysos, von tyrrhenischen Seeräubern an¬ gegriffen, sich der Feinde dadurch entledigt, daß er sie in Delphine verwan¬ delt. Es ist eine mit großer Feinheit, Anmuth und Lebendigkeit ausgeführte Versteinerung des bekannten homerischen Hymnus auf den Gott, nur daß statt der Wendung, wo der Dichter den Gegenstand seines Loblieds selbst zum Löwen werden läßt, die Sculptur, die solche Metamorphosen nicht darstellen durfte, uns Dionysos nur auf einem Löwen sitzend zeigt. Das Dach ist mit schuppenförmigen Marmorplatten gedeckt, mit denen dasselbe einem Pinien- znpfen gleicht. Die Spitze läßt einen runden, schön gegliederten Stamm aus sich hervorstrcben, der oben nach drei Seiten Ranken mit Laubwerk aussendet. Hier stand der Dreifuß, deu Lysikrates sich erobert. Der ganze Bau. der erst vor kurzem aus den Mauern eines Klosters, mit denen ihn die Geschmack¬ losigkeit des Mittelalters verklebt hatte, herausgeschält worden ist, hat eine Höhe von 34 und einen Durchmesser von 7 Fuß. An der Nordseite des Akropolishügels befinden sich keine Alterthümer. Doch mag eine der hier sich öffnenden Höhlen, in deren Wand man vier¬ eckige Vertiefungen wie zur Aufstellung von Weihgeschenken eingehauen sieht, die Pcinsgrotte sein, in welcher Schalt' Anstophanes die schöne Ehcstands- scene zwischen Kinesias und Myrrhine spielen läßt. So sind wir wieder im Westen, am Aufgang nach dem Thor zur Akro¬ polis. An jeden der Hügel, die hier sich in einer Gruppe erheben, knüpfen sich große und ernste Erinnerungen. Wie durch einen Felssturz hingeworfen, liegen vor uns zunächst die kahlen braunen Blöcke des Hügels, in dem man den Areopag erkannt hat. Hier fand Orestes Verzeihung des Muttermordes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/357>, abgerufen am 22.07.2024.