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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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waren nicht sehr erbaulich, der eine Patriot klagte immer den andern gemei-
ner Unterschleife an. die französischen Behörden trabten einer dem andern ab¬
wechselnd mit dem Galgen. Ein großes Entsetzen erregte in Mainz die Nach'
richt von der Hinrichtung des Königs. Förster, der jetzt ganz den Jakobinern
verfallen war. empfing mit großem Schreck einen Brief seiner Frau, worin
sie sich heftig gegen diese That aussprach. Er antwortete- "Eins merke ich
freilich. daß du durch und durch feuiUantisirt bist, und da hatte ich doch lieber
gesehen, daß du gradezu Royalistin geworden wärst. Einmal ist es doch ge¬
wiß nicht gleichgiltig. welche Grundsätze man hat und befolgt, einem jeden
um sein selbst willen; zweitens haben Verschiedenheiten der politischen Mei¬
nungen jetzt mehr Einfluß als je aus Privatverhältnisse. Alles ist feuillan-
tische Meierei, was die Leute dir von der lieben Ruhe in einer nicht halben,
nicht ganzen Verfassung vorwinseln." Und nachdem er seine Ansicht noch
einmal entwickelt, setzt er hinzu: "Ich wiederhole meine dringende Bitte, neige
dich nicht auf die Seite dieser ohne Zweifel gefährlichsten Partei im Staate,
dem wir jetzt zugehören müssen. Findest du aber, daß du du Gewalt an¬
thun müßtest, bist du von ihnen schon gewonnen und überzeugt, so traue ich
deiner Rechtschaffenheit gegen mich zu. daß du mich es wissen lässest, weil
wir unsere gegenseitigen Maßregeln danach nehmen müßten. -

Wenn meine Bitten etwas bei dir vermögen. so gib den Verkehr augen¬
blicklich aus. Gott wie konntest du doch den Leichtsinn so weit treiben!" --

Endlich lui" der Tag. wo das Verfassungswerk definitiv erledigt werden
sollte. Am 8. März erklärte die souveräne Versammlung unter Forsters Lei¬
tung den ganzen Strich Landes von Landau bis Bingen für frei, unab¬
hängig und unzertrennlich. Alle in diesem Strick regierende Fürsten und
Grafen, geistliche und weltliche Körperschaften sollten ihrer Ansprüche verlustig
und ihre durch Usurpation angemaßten Souveränetätsrechte auf ewig erlo¬
schen sein. In der folgenden Sitzung wurde die Einverleibung der neuen
Republik in die französische beschlossen. Forster wurde bevollmächtigt, diesen
Beschluß zu überbringen und zugleich mit den, Entwurf des Schreibens be¬
auftragt, dessen Anfang wir hier wenigstens mittheilen.

"Nicht den Sturz eines einzelnen Despoten verkündigen wir auch heute;
das rheinisch-deutsche Volk hat die sogenannten Throne zwanzig kleiner Ty¬
rannen, die alle nach Menschenblut dürswen. alle vom Schweiß des Armen
und Elenden sich mästeten, auf einmal niedergeworfen. Auf den Trümmern
ihrer Macht sitzt das souveräne Volk; es hat seine Magistrate und Stellver¬
treter gewählt, es hat sich mit seinem Vertrauen und mit der Fülle seiner
Gewalt gerüstet. Die Stellvertreter des rheinisch-deutschen Volks, nachdem
sie als Nationalconvent in Mainz zusammengetreten^ waren, und nor aller
Welt die ehemaligen Tyrannen dieser Gegenden aller ihrer angemaßten Rechte
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waren nicht sehr erbaulich, der eine Patriot klagte immer den andern gemei-
ner Unterschleife an. die französischen Behörden trabten einer dem andern ab¬
wechselnd mit dem Galgen. Ein großes Entsetzen erregte in Mainz die Nach'
richt von der Hinrichtung des Königs. Förster, der jetzt ganz den Jakobinern
verfallen war. empfing mit großem Schreck einen Brief seiner Frau, worin
sie sich heftig gegen diese That aussprach. Er antwortete- „Eins merke ich
freilich. daß du durch und durch feuiUantisirt bist, und da hatte ich doch lieber
gesehen, daß du gradezu Royalistin geworden wärst. Einmal ist es doch ge¬
wiß nicht gleichgiltig. welche Grundsätze man hat und befolgt, einem jeden
um sein selbst willen; zweitens haben Verschiedenheiten der politischen Mei¬
nungen jetzt mehr Einfluß als je aus Privatverhältnisse. Alles ist feuillan-
tische Meierei, was die Leute dir von der lieben Ruhe in einer nicht halben,
nicht ganzen Verfassung vorwinseln." Und nachdem er seine Ansicht noch
einmal entwickelt, setzt er hinzu: „Ich wiederhole meine dringende Bitte, neige
dich nicht auf die Seite dieser ohne Zweifel gefährlichsten Partei im Staate,
dem wir jetzt zugehören müssen. Findest du aber, daß du du Gewalt an¬
thun müßtest, bist du von ihnen schon gewonnen und überzeugt, so traue ich
deiner Rechtschaffenheit gegen mich zu. daß du mich es wissen lässest, weil
wir unsere gegenseitigen Maßregeln danach nehmen müßten. -

Wenn meine Bitten etwas bei dir vermögen. so gib den Verkehr augen¬
blicklich aus. Gott wie konntest du doch den Leichtsinn so weit treiben!" —

Endlich lui» der Tag. wo das Verfassungswerk definitiv erledigt werden
sollte. Am 8. März erklärte die souveräne Versammlung unter Forsters Lei¬
tung den ganzen Strich Landes von Landau bis Bingen für frei, unab¬
hängig und unzertrennlich. Alle in diesem Strick regierende Fürsten und
Grafen, geistliche und weltliche Körperschaften sollten ihrer Ansprüche verlustig
und ihre durch Usurpation angemaßten Souveränetätsrechte auf ewig erlo¬
schen sein. In der folgenden Sitzung wurde die Einverleibung der neuen
Republik in die französische beschlossen. Forster wurde bevollmächtigt, diesen
Beschluß zu überbringen und zugleich mit den, Entwurf des Schreibens be¬
auftragt, dessen Anfang wir hier wenigstens mittheilen.

„Nicht den Sturz eines einzelnen Despoten verkündigen wir auch heute;
das rheinisch-deutsche Volk hat die sogenannten Throne zwanzig kleiner Ty¬
rannen, die alle nach Menschenblut dürswen. alle vom Schweiß des Armen
und Elenden sich mästeten, auf einmal niedergeworfen. Auf den Trümmern
ihrer Macht sitzt das souveräne Volk; es hat seine Magistrate und Stellver¬
treter gewählt, es hat sich mit seinem Vertrauen und mit der Fülle seiner
Gewalt gerüstet. Die Stellvertreter des rheinisch-deutschen Volks, nachdem
sie als Nationalconvent in Mainz zusammengetreten^ waren, und nor aller
Welt die ehemaligen Tyrannen dieser Gegenden aller ihrer angemaßten Rechte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/35>, abgerufen am 22.07.2024.