Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geistreiche Gräfin Orloff, "welche von Stein wie von einem höhern Geist angeweht
schien, und auch ihn wie ein Frühlingswind voll Maimondduft und Jugend
wieder zu durchwehen schien." Dann in bunter Reihe der Kaiser Alexander,
der Präsident von Schön, der Oberpräsident von Auerswald, der Fürst Witt-
genstein berüchtigten Angedenkens, dessen schmuzige Lebensgeschichte nach Steins
Worten mitgetheilt wird (der Schluß: "Es ist ein Jammer, aber selbst gute
Könige gewöhnen sich zuletzt an solche lächelnde Alteweibergesichter; es ist ihnen
oft bequem, auch solche um sich zu haben, denen sie in übler Laune nöthigen-
falls einen Fußtritt geben können." enthält eine Bemerkung, die auch in der
jüngstverflossenen Zeit des preußischen Hoflebens ein und das andere Beispiel
für sich hatte), die Gräfin Dohna, Scharnhorsts treffliche Tochter, Kotzebue,
Knesebeck u. a. Kotzebue enttäuschte Arndt außerordentlich. Er hatte sich in
ihm einen gewandten, ja etwas ritterlichen Hofmann vorgestellt, fand aber in
seiner Erscheinung "etwas von einem Lumpentrödler und Altflicker, einem läng¬
lichen vornüber gebückten Mann mit freundlicher, halb zutraulicher, lauschiger
Geberde; ja wie ein rechter Lurifax sah der Mann aus, so blinzelten seine
Augen rings umher, als ob er jedem etwas abhorchen wollte." Günstig
dagegen urtheilt Arndt über Knesebeck, dessen Charakter vielfach falsch aufgefaßt
worden ist. Man hat ihn als von Junkervorurtheilen erfüllt dargestellt. Arndt
sagt, umgekehrt, er 'habe sich früher sogar republikanischen Grundsätzen von
Freiheit und Gleichheit zugeneigt und sei sein Lebenlang ein freisinniger Manu
gewesen. Seine Kränklichkeit und sein melancholisches Temperament nur Hütten
bisweilen bei seinem Einfluß auf den König Schaden gestiftet. "Bei seinen
Sendungen zum russischen Kaiser hat er treue und gute Dienste geleistet, hat
über Preußens geographische und militärische Stellung zu Rußland und Polen
und über Preußens künftige Grenzen viele nöthigste und nützliche Winke ge¬
geben. Wenn man diese Winke bei den Unterhandlungen nur befolgt hätte,
oder bei dem hastigen Sturz und Uebersturz der Dinge, wohinein später die
ganze europäische diplomatische Kunst mitspielte, nur hätte befolgen können."

In Dresden sah Arndt Goethe, der ihm in seiner ungläubigen Hoff¬
nungslosigkeit in Betreff des Siegs der guten Sache sehr unerfreulich war,
' Körner und den geschwätzigen Böttger. In Reichenbach machte er die Be¬
kanntschaft des liebenswürdigen Grafen Geßler, der ihm bald ein treuer Freund
wurde, des russischen Diplomaten Pozzo ti Borgo, Niebuhrs und des bal¬
tischen Schwindelpatrioten Graf Reisach.") Aus den letzten Bogen interessirt
vorzüglich, was von dem Verkehr Steins mit Goethe und dem Großherzog
von Weimar und Köln erzählt wird. Ueber den letztern theilen wir später
Einiges mit. Von Goethe erfreuten Arndt sein herrliches Antlitz, seine stolze



") Von Baiern wegen schlechter Streiche gerichtlich verfolgt, später Dcmagogenschnüfflcr
für die Firma Wittgenstein-Kampjz, zuletzt von Bodelschwingh auch in Preusien weggejagt.
43*

geistreiche Gräfin Orloff, „welche von Stein wie von einem höhern Geist angeweht
schien, und auch ihn wie ein Frühlingswind voll Maimondduft und Jugend
wieder zu durchwehen schien." Dann in bunter Reihe der Kaiser Alexander,
der Präsident von Schön, der Oberpräsident von Auerswald, der Fürst Witt-
genstein berüchtigten Angedenkens, dessen schmuzige Lebensgeschichte nach Steins
Worten mitgetheilt wird (der Schluß: „Es ist ein Jammer, aber selbst gute
Könige gewöhnen sich zuletzt an solche lächelnde Alteweibergesichter; es ist ihnen
oft bequem, auch solche um sich zu haben, denen sie in übler Laune nöthigen-
falls einen Fußtritt geben können." enthält eine Bemerkung, die auch in der
jüngstverflossenen Zeit des preußischen Hoflebens ein und das andere Beispiel
für sich hatte), die Gräfin Dohna, Scharnhorsts treffliche Tochter, Kotzebue,
Knesebeck u. a. Kotzebue enttäuschte Arndt außerordentlich. Er hatte sich in
ihm einen gewandten, ja etwas ritterlichen Hofmann vorgestellt, fand aber in
seiner Erscheinung „etwas von einem Lumpentrödler und Altflicker, einem läng¬
lichen vornüber gebückten Mann mit freundlicher, halb zutraulicher, lauschiger
Geberde; ja wie ein rechter Lurifax sah der Mann aus, so blinzelten seine
Augen rings umher, als ob er jedem etwas abhorchen wollte." Günstig
dagegen urtheilt Arndt über Knesebeck, dessen Charakter vielfach falsch aufgefaßt
worden ist. Man hat ihn als von Junkervorurtheilen erfüllt dargestellt. Arndt
sagt, umgekehrt, er 'habe sich früher sogar republikanischen Grundsätzen von
Freiheit und Gleichheit zugeneigt und sei sein Lebenlang ein freisinniger Manu
gewesen. Seine Kränklichkeit und sein melancholisches Temperament nur Hütten
bisweilen bei seinem Einfluß auf den König Schaden gestiftet. „Bei seinen
Sendungen zum russischen Kaiser hat er treue und gute Dienste geleistet, hat
über Preußens geographische und militärische Stellung zu Rußland und Polen
und über Preußens künftige Grenzen viele nöthigste und nützliche Winke ge¬
geben. Wenn man diese Winke bei den Unterhandlungen nur befolgt hätte,
oder bei dem hastigen Sturz und Uebersturz der Dinge, wohinein später die
ganze europäische diplomatische Kunst mitspielte, nur hätte befolgen können."

In Dresden sah Arndt Goethe, der ihm in seiner ungläubigen Hoff¬
nungslosigkeit in Betreff des Siegs der guten Sache sehr unerfreulich war,
' Körner und den geschwätzigen Böttger. In Reichenbach machte er die Be¬
kanntschaft des liebenswürdigen Grafen Geßler, der ihm bald ein treuer Freund
wurde, des russischen Diplomaten Pozzo ti Borgo, Niebuhrs und des bal¬
tischen Schwindelpatrioten Graf Reisach.") Aus den letzten Bogen interessirt
vorzüglich, was von dem Verkehr Steins mit Goethe und dem Großherzog
von Weimar und Köln erzählt wird. Ueber den letztern theilen wir später
Einiges mit. Von Goethe erfreuten Arndt sein herrliches Antlitz, seine stolze



") Von Baiern wegen schlechter Streiche gerichtlich verfolgt, später Dcmagogenschnüfflcr
für die Firma Wittgenstein-Kampjz, zuletzt von Bodelschwingh auch in Preusien weggejagt.
43*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106158"/>
          <p xml:id="ID_961" prev="#ID_960"> geistreiche Gräfin Orloff, &#x201E;welche von Stein wie von einem höhern Geist angeweht<lb/>
schien, und auch ihn wie ein Frühlingswind voll Maimondduft und Jugend<lb/>
wieder zu durchwehen schien." Dann in bunter Reihe der Kaiser Alexander,<lb/>
der Präsident von Schön, der Oberpräsident von Auerswald, der Fürst Witt-<lb/>
genstein berüchtigten Angedenkens, dessen schmuzige Lebensgeschichte nach Steins<lb/>
Worten mitgetheilt wird (der Schluß: &#x201E;Es ist ein Jammer, aber selbst gute<lb/>
Könige gewöhnen sich zuletzt an solche lächelnde Alteweibergesichter; es ist ihnen<lb/>
oft bequem, auch solche um sich zu haben, denen sie in übler Laune nöthigen-<lb/>
falls einen Fußtritt geben können." enthält eine Bemerkung, die auch in der<lb/>
jüngstverflossenen Zeit des preußischen Hoflebens ein und das andere Beispiel<lb/>
für sich hatte), die Gräfin Dohna, Scharnhorsts treffliche Tochter, Kotzebue,<lb/>
Knesebeck u. a. Kotzebue enttäuschte Arndt außerordentlich. Er hatte sich in<lb/>
ihm einen gewandten, ja etwas ritterlichen Hofmann vorgestellt, fand aber in<lb/>
seiner Erscheinung &#x201E;etwas von einem Lumpentrödler und Altflicker, einem läng¬<lb/>
lichen vornüber gebückten Mann mit freundlicher, halb zutraulicher, lauschiger<lb/>
Geberde; ja wie ein rechter Lurifax sah der Mann aus, so blinzelten seine<lb/>
Augen rings umher, als ob er jedem etwas abhorchen wollte." Günstig<lb/>
dagegen urtheilt Arndt über Knesebeck, dessen Charakter vielfach falsch aufgefaßt<lb/>
worden ist. Man hat ihn als von Junkervorurtheilen erfüllt dargestellt. Arndt<lb/>
sagt, umgekehrt, er 'habe sich früher sogar republikanischen Grundsätzen von<lb/>
Freiheit und Gleichheit zugeneigt und sei sein Lebenlang ein freisinniger Manu<lb/>
gewesen. Seine Kränklichkeit und sein melancholisches Temperament nur Hütten<lb/>
bisweilen bei seinem Einfluß auf den König Schaden gestiftet. &#x201E;Bei seinen<lb/>
Sendungen zum russischen Kaiser hat er treue und gute Dienste geleistet, hat<lb/>
über Preußens geographische und militärische Stellung zu Rußland und Polen<lb/>
und über Preußens künftige Grenzen viele nöthigste und nützliche Winke ge¬<lb/>
geben. Wenn man diese Winke bei den Unterhandlungen nur befolgt hätte,<lb/>
oder bei dem hastigen Sturz und Uebersturz der Dinge, wohinein später die<lb/>
ganze europäische diplomatische Kunst mitspielte, nur hätte befolgen können."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_962" next="#ID_963"> In Dresden sah Arndt Goethe, der ihm in seiner ungläubigen Hoff¬<lb/>
nungslosigkeit in Betreff des Siegs der guten Sache sehr unerfreulich war,<lb/>
' Körner und den geschwätzigen Böttger. In Reichenbach machte er die Be¬<lb/>
kanntschaft des liebenswürdigen Grafen Geßler, der ihm bald ein treuer Freund<lb/>
wurde, des russischen Diplomaten Pozzo ti Borgo, Niebuhrs und des bal¬<lb/>
tischen Schwindelpatrioten Graf Reisach.") Aus den letzten Bogen interessirt<lb/>
vorzüglich, was von dem Verkehr Steins mit Goethe und dem Großherzog<lb/>
von Weimar und Köln erzählt wird. Ueber den letztern theilen wir später<lb/>
Einiges mit.  Von Goethe erfreuten Arndt sein herrliches Antlitz, seine stolze</p><lb/>
          <note xml:id="FID_27" place="foot"> ") Von Baiern wegen schlechter Streiche gerichtlich verfolgt, später Dcmagogenschnüfflcr<lb/>
für die Firma Wittgenstein-Kampjz, zuletzt von Bodelschwingh auch in Preusien weggejagt.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 43*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0347] geistreiche Gräfin Orloff, „welche von Stein wie von einem höhern Geist angeweht schien, und auch ihn wie ein Frühlingswind voll Maimondduft und Jugend wieder zu durchwehen schien." Dann in bunter Reihe der Kaiser Alexander, der Präsident von Schön, der Oberpräsident von Auerswald, der Fürst Witt- genstein berüchtigten Angedenkens, dessen schmuzige Lebensgeschichte nach Steins Worten mitgetheilt wird (der Schluß: „Es ist ein Jammer, aber selbst gute Könige gewöhnen sich zuletzt an solche lächelnde Alteweibergesichter; es ist ihnen oft bequem, auch solche um sich zu haben, denen sie in übler Laune nöthigen- falls einen Fußtritt geben können." enthält eine Bemerkung, die auch in der jüngstverflossenen Zeit des preußischen Hoflebens ein und das andere Beispiel für sich hatte), die Gräfin Dohna, Scharnhorsts treffliche Tochter, Kotzebue, Knesebeck u. a. Kotzebue enttäuschte Arndt außerordentlich. Er hatte sich in ihm einen gewandten, ja etwas ritterlichen Hofmann vorgestellt, fand aber in seiner Erscheinung „etwas von einem Lumpentrödler und Altflicker, einem läng¬ lichen vornüber gebückten Mann mit freundlicher, halb zutraulicher, lauschiger Geberde; ja wie ein rechter Lurifax sah der Mann aus, so blinzelten seine Augen rings umher, als ob er jedem etwas abhorchen wollte." Günstig dagegen urtheilt Arndt über Knesebeck, dessen Charakter vielfach falsch aufgefaßt worden ist. Man hat ihn als von Junkervorurtheilen erfüllt dargestellt. Arndt sagt, umgekehrt, er 'habe sich früher sogar republikanischen Grundsätzen von Freiheit und Gleichheit zugeneigt und sei sein Lebenlang ein freisinniger Manu gewesen. Seine Kränklichkeit und sein melancholisches Temperament nur Hütten bisweilen bei seinem Einfluß auf den König Schaden gestiftet. „Bei seinen Sendungen zum russischen Kaiser hat er treue und gute Dienste geleistet, hat über Preußens geographische und militärische Stellung zu Rußland und Polen und über Preußens künftige Grenzen viele nöthigste und nützliche Winke ge¬ geben. Wenn man diese Winke bei den Unterhandlungen nur befolgt hätte, oder bei dem hastigen Sturz und Uebersturz der Dinge, wohinein später die ganze europäische diplomatische Kunst mitspielte, nur hätte befolgen können." In Dresden sah Arndt Goethe, der ihm in seiner ungläubigen Hoff¬ nungslosigkeit in Betreff des Siegs der guten Sache sehr unerfreulich war, ' Körner und den geschwätzigen Böttger. In Reichenbach machte er die Be¬ kanntschaft des liebenswürdigen Grafen Geßler, der ihm bald ein treuer Freund wurde, des russischen Diplomaten Pozzo ti Borgo, Niebuhrs und des bal¬ tischen Schwindelpatrioten Graf Reisach.") Aus den letzten Bogen interessirt vorzüglich, was von dem Verkehr Steins mit Goethe und dem Großherzog von Weimar und Köln erzählt wird. Ueber den letztern theilen wir später Einiges mit. Von Goethe erfreuten Arndt sein herrliches Antlitz, seine stolze ") Von Baiern wegen schlechter Streiche gerichtlich verfolgt, später Dcmagogenschnüfflcr für die Firma Wittgenstein-Kampjz, zuletzt von Bodelschwingh auch in Preusien weggejagt. 43*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/347
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/347>, abgerufen am 23.07.2024.