Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Mittheilungen Arndts über Stein umfassen einen Zeitraum von '
zwanzig Jahren. Im Kometenjahre 1811 machte er die persönliche Bekannt¬
schaft seines Ritters, der bald sein Freund wurde; 1831 folgte er dem Zuge,
der seine Leiche in die Gruft von Frucht führte. In dieser ganzen Zeit haben
die beiden in mehr oder minder lebhaftem Verkehr, aber stets auf freundschaft¬
lichem Fuß miteinander gestanden. Arndt ging in jenem Jahr, da er sich als
Universitätslehrer in Greifswald durch den Zorn der freien Rede die Acht Na¬
poleons zugezogen, gleich Stein und andern Geächteten oder anrüchig Gewor¬
denen nach Petersburg, wo sich Gelegenheit bot, den in Deutschland unmög¬
lich gewordenen Kampf mit den Franzosen fortzusetzen. Gegen Ende Augusts
stand er hier vor Stein, der ihn gerufen. "Gut. daß Sie da sind. Wir
müssen hoffen, daß wir hier Arbeit bekommen," sagte der Freiherr zum Pro¬
fessor. Die Hoffnung erfüllte sich. Stein wurde der Vertraute und bald der
erste Minister Kaiser Alexanders, Arndt, der "literarische Mitläufer oder Bei-
läufer" Steins, als welcher er politische Flugblätter schrieb, einen Theil von
der Korrespondenz des Ministers führte und vorzüglich "für die Bestimmung
und Vertheidigung der deutschen Legion manchen Tintentropfen aus der Feder
laufen ließ." In dieser Stellung kam er mit den bedeutendsten Persönlich¬
keiten der russischen Hauptstadt und des Kreises von Fremden, der sich damals
dort aushielt, in Berührung, kehrte er später mit Stein nach Deutschland
zurück, war er hier mit ihm in Krieg und Frieden vielfach thätig, bis er
zuletzt mit ihm die Jahre der Muße auf seinem Schloß im Rheinlande theilte.

Wir deuten das, was er von den Nebenpersonen seiner Erlebnisse mit¬
theilt, nur kurz an, um Raum zu haben für Arndts Porträt von der Haupt¬
person, die den Deutschen nicht oft genug zur Verehrung ausgestellt werden
kann. Von besonderem Interesse sind aus den Kreisen der Petersburger Er¬
fahrungen die Bilder von der schönen Gräfin Lieven. von Nesselrode, der den
Auftrug hatte, "dem gewaltigen Löwen Stein bisweilen in die fliegenden
Zügel seiner Entschlüsse und Worte zu fallen," und deshalb von ihm ein
"kleiner blanker kriechender Taschenkrebs" gescholten wurde, von Graf Münster,
dessen Junkerei dem Freiherrn schon damals zuwider war, der ihm aber doch
als braver zuverlässiger Mann erschien -- eine Täuschung, über die er sich
später, als Münster gegen Preußens Interesse arbeitete, nur zu klar wurde.
Ferner werden uns vorgeführt: der in seinen Sitten leichtfertige, sonst tüchtige
und bedeutende Graf Armfelt. Statthalter von Finnland, Wilhelm Schlegel,
der unter den gestiefelten und gespornten Deutschen in Petersburg "wie ein
blankgeschnicgelter französischer Abt>6 in Schuhen mit goldnen Schnallen und
schneeweißen seidnen Strümpfen erschien" und hinter allen Thüren und Tapeten
Ohren vermuthend, nur leise zu flüstern wagte, die Staöl, die feurig patrio¬
tische Herzogin Antonie von Würtemberg, die Kaiserin Mutter, die anmuthige.


Die Mittheilungen Arndts über Stein umfassen einen Zeitraum von '
zwanzig Jahren. Im Kometenjahre 1811 machte er die persönliche Bekannt¬
schaft seines Ritters, der bald sein Freund wurde; 1831 folgte er dem Zuge,
der seine Leiche in die Gruft von Frucht führte. In dieser ganzen Zeit haben
die beiden in mehr oder minder lebhaftem Verkehr, aber stets auf freundschaft¬
lichem Fuß miteinander gestanden. Arndt ging in jenem Jahr, da er sich als
Universitätslehrer in Greifswald durch den Zorn der freien Rede die Acht Na¬
poleons zugezogen, gleich Stein und andern Geächteten oder anrüchig Gewor¬
denen nach Petersburg, wo sich Gelegenheit bot, den in Deutschland unmög¬
lich gewordenen Kampf mit den Franzosen fortzusetzen. Gegen Ende Augusts
stand er hier vor Stein, der ihn gerufen. „Gut. daß Sie da sind. Wir
müssen hoffen, daß wir hier Arbeit bekommen," sagte der Freiherr zum Pro¬
fessor. Die Hoffnung erfüllte sich. Stein wurde der Vertraute und bald der
erste Minister Kaiser Alexanders, Arndt, der „literarische Mitläufer oder Bei-
läufer" Steins, als welcher er politische Flugblätter schrieb, einen Theil von
der Korrespondenz des Ministers führte und vorzüglich „für die Bestimmung
und Vertheidigung der deutschen Legion manchen Tintentropfen aus der Feder
laufen ließ." In dieser Stellung kam er mit den bedeutendsten Persönlich¬
keiten der russischen Hauptstadt und des Kreises von Fremden, der sich damals
dort aushielt, in Berührung, kehrte er später mit Stein nach Deutschland
zurück, war er hier mit ihm in Krieg und Frieden vielfach thätig, bis er
zuletzt mit ihm die Jahre der Muße auf seinem Schloß im Rheinlande theilte.

Wir deuten das, was er von den Nebenpersonen seiner Erlebnisse mit¬
theilt, nur kurz an, um Raum zu haben für Arndts Porträt von der Haupt¬
person, die den Deutschen nicht oft genug zur Verehrung ausgestellt werden
kann. Von besonderem Interesse sind aus den Kreisen der Petersburger Er¬
fahrungen die Bilder von der schönen Gräfin Lieven. von Nesselrode, der den
Auftrug hatte, „dem gewaltigen Löwen Stein bisweilen in die fliegenden
Zügel seiner Entschlüsse und Worte zu fallen," und deshalb von ihm ein
„kleiner blanker kriechender Taschenkrebs" gescholten wurde, von Graf Münster,
dessen Junkerei dem Freiherrn schon damals zuwider war, der ihm aber doch
als braver zuverlässiger Mann erschien — eine Täuschung, über die er sich
später, als Münster gegen Preußens Interesse arbeitete, nur zu klar wurde.
Ferner werden uns vorgeführt: der in seinen Sitten leichtfertige, sonst tüchtige
und bedeutende Graf Armfelt. Statthalter von Finnland, Wilhelm Schlegel,
der unter den gestiefelten und gespornten Deutschen in Petersburg „wie ein
blankgeschnicgelter französischer Abt>6 in Schuhen mit goldnen Schnallen und
schneeweißen seidnen Strümpfen erschien" und hinter allen Thüren und Tapeten
Ohren vermuthend, nur leise zu flüstern wagte, die Staöl, die feurig patrio¬
tische Herzogin Antonie von Würtemberg, die Kaiserin Mutter, die anmuthige.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0346" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106157"/>
          <p xml:id="ID_959"> Die Mittheilungen Arndts über Stein umfassen einen Zeitraum von '<lb/>
zwanzig Jahren. Im Kometenjahre 1811 machte er die persönliche Bekannt¬<lb/>
schaft seines Ritters, der bald sein Freund wurde; 1831 folgte er dem Zuge,<lb/>
der seine Leiche in die Gruft von Frucht führte. In dieser ganzen Zeit haben<lb/>
die beiden in mehr oder minder lebhaftem Verkehr, aber stets auf freundschaft¬<lb/>
lichem Fuß miteinander gestanden. Arndt ging in jenem Jahr, da er sich als<lb/>
Universitätslehrer in Greifswald durch den Zorn der freien Rede die Acht Na¬<lb/>
poleons zugezogen, gleich Stein und andern Geächteten oder anrüchig Gewor¬<lb/>
denen nach Petersburg, wo sich Gelegenheit bot, den in Deutschland unmög¬<lb/>
lich gewordenen Kampf mit den Franzosen fortzusetzen. Gegen Ende Augusts<lb/>
stand er hier vor Stein, der ihn gerufen. &#x201E;Gut. daß Sie da sind. Wir<lb/>
müssen hoffen, daß wir hier Arbeit bekommen," sagte der Freiherr zum Pro¬<lb/>
fessor. Die Hoffnung erfüllte sich. Stein wurde der Vertraute und bald der<lb/>
erste Minister Kaiser Alexanders, Arndt, der &#x201E;literarische Mitläufer oder Bei-<lb/>
läufer" Steins, als welcher er politische Flugblätter schrieb, einen Theil von<lb/>
der Korrespondenz des Ministers führte und vorzüglich &#x201E;für die Bestimmung<lb/>
und Vertheidigung der deutschen Legion manchen Tintentropfen aus der Feder<lb/>
laufen ließ." In dieser Stellung kam er mit den bedeutendsten Persönlich¬<lb/>
keiten der russischen Hauptstadt und des Kreises von Fremden, der sich damals<lb/>
dort aushielt, in Berührung, kehrte er später mit Stein nach Deutschland<lb/>
zurück, war er hier mit ihm in Krieg und Frieden vielfach thätig, bis er<lb/>
zuletzt mit ihm die Jahre der Muße auf seinem Schloß im Rheinlande theilte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_960" next="#ID_961"> Wir deuten das, was er von den Nebenpersonen seiner Erlebnisse mit¬<lb/>
theilt, nur kurz an, um Raum zu haben für Arndts Porträt von der Haupt¬<lb/>
person, die den Deutschen nicht oft genug zur Verehrung ausgestellt werden<lb/>
kann. Von besonderem Interesse sind aus den Kreisen der Petersburger Er¬<lb/>
fahrungen die Bilder von der schönen Gräfin Lieven. von Nesselrode, der den<lb/>
Auftrug hatte, &#x201E;dem gewaltigen Löwen Stein bisweilen in die fliegenden<lb/>
Zügel seiner Entschlüsse und Worte zu fallen," und deshalb von ihm ein<lb/>
&#x201E;kleiner blanker kriechender Taschenkrebs" gescholten wurde, von Graf Münster,<lb/>
dessen Junkerei dem Freiherrn schon damals zuwider war, der ihm aber doch<lb/>
als braver zuverlässiger Mann erschien &#x2014; eine Täuschung, über die er sich<lb/>
später, als Münster gegen Preußens Interesse arbeitete, nur zu klar wurde.<lb/>
Ferner werden uns vorgeführt: der in seinen Sitten leichtfertige, sonst tüchtige<lb/>
und bedeutende Graf Armfelt. Statthalter von Finnland, Wilhelm Schlegel,<lb/>
der unter den gestiefelten und gespornten Deutschen in Petersburg &#x201E;wie ein<lb/>
blankgeschnicgelter französischer Abt&gt;6 in Schuhen mit goldnen Schnallen und<lb/>
schneeweißen seidnen Strümpfen erschien" und hinter allen Thüren und Tapeten<lb/>
Ohren vermuthend, nur leise zu flüstern wagte, die Staöl, die feurig patrio¬<lb/>
tische Herzogin Antonie von Würtemberg, die Kaiserin Mutter, die anmuthige.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0346] Die Mittheilungen Arndts über Stein umfassen einen Zeitraum von ' zwanzig Jahren. Im Kometenjahre 1811 machte er die persönliche Bekannt¬ schaft seines Ritters, der bald sein Freund wurde; 1831 folgte er dem Zuge, der seine Leiche in die Gruft von Frucht führte. In dieser ganzen Zeit haben die beiden in mehr oder minder lebhaftem Verkehr, aber stets auf freundschaft¬ lichem Fuß miteinander gestanden. Arndt ging in jenem Jahr, da er sich als Universitätslehrer in Greifswald durch den Zorn der freien Rede die Acht Na¬ poleons zugezogen, gleich Stein und andern Geächteten oder anrüchig Gewor¬ denen nach Petersburg, wo sich Gelegenheit bot, den in Deutschland unmög¬ lich gewordenen Kampf mit den Franzosen fortzusetzen. Gegen Ende Augusts stand er hier vor Stein, der ihn gerufen. „Gut. daß Sie da sind. Wir müssen hoffen, daß wir hier Arbeit bekommen," sagte der Freiherr zum Pro¬ fessor. Die Hoffnung erfüllte sich. Stein wurde der Vertraute und bald der erste Minister Kaiser Alexanders, Arndt, der „literarische Mitläufer oder Bei- läufer" Steins, als welcher er politische Flugblätter schrieb, einen Theil von der Korrespondenz des Ministers führte und vorzüglich „für die Bestimmung und Vertheidigung der deutschen Legion manchen Tintentropfen aus der Feder laufen ließ." In dieser Stellung kam er mit den bedeutendsten Persönlich¬ keiten der russischen Hauptstadt und des Kreises von Fremden, der sich damals dort aushielt, in Berührung, kehrte er später mit Stein nach Deutschland zurück, war er hier mit ihm in Krieg und Frieden vielfach thätig, bis er zuletzt mit ihm die Jahre der Muße auf seinem Schloß im Rheinlande theilte. Wir deuten das, was er von den Nebenpersonen seiner Erlebnisse mit¬ theilt, nur kurz an, um Raum zu haben für Arndts Porträt von der Haupt¬ person, die den Deutschen nicht oft genug zur Verehrung ausgestellt werden kann. Von besonderem Interesse sind aus den Kreisen der Petersburger Er¬ fahrungen die Bilder von der schönen Gräfin Lieven. von Nesselrode, der den Auftrug hatte, „dem gewaltigen Löwen Stein bisweilen in die fliegenden Zügel seiner Entschlüsse und Worte zu fallen," und deshalb von ihm ein „kleiner blanker kriechender Taschenkrebs" gescholten wurde, von Graf Münster, dessen Junkerei dem Freiherrn schon damals zuwider war, der ihm aber doch als braver zuverlässiger Mann erschien — eine Täuschung, über die er sich später, als Münster gegen Preußens Interesse arbeitete, nur zu klar wurde. Ferner werden uns vorgeführt: der in seinen Sitten leichtfertige, sonst tüchtige und bedeutende Graf Armfelt. Statthalter von Finnland, Wilhelm Schlegel, der unter den gestiefelten und gespornten Deutschen in Petersburg „wie ein blankgeschnicgelter französischer Abt>6 in Schuhen mit goldnen Schnallen und schneeweißen seidnen Strümpfen erschien" und hinter allen Thüren und Tapeten Ohren vermuthend, nur leise zu flüstern wagte, die Staöl, die feurig patrio¬ tische Herzogin Antonie von Würtemberg, die Kaiserin Mutter, die anmuthige.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/346
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/346>, abgerufen am 22.07.2024.