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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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1782. Das Original befindet sich in der Hand des Medicinalraths Leidhecker
in Darmstadt und lautet wörtlich also:


Hochwohlgeborener Herr,
Hochgebietender Herr Obrist!

Die Ueberzeugung, daß ich mit einem Manne rede, der Gefühl für mein
Unglück und Weisheit genug für meine Lage hat, einem Manne, der in Ver¬
bindungen eines Vaters gegen mich steht, läßt mir jetzt die Dreistigkeit zu,
Hochdenenselben mein Herz aufzudecken, und wenn mich alle Ressourcen in
der Welt verlassen, meine Zuversicht zur Großmuth und edlen Denkungsart
meines ehemaligen Freundes zu nehmen. Seine herzogliche Durchlaucht haben
mir vor vier Wochen das Herausgeben literarischer Schriften verboten. Da
ich mir schmeichelte, durch eben dergleichen Schriften den Plan der Erziehung,
- der in der Karlsakademie zu Grunde liegt, auf eine auffallende Art gerecht¬
fertigt und geehrt zu haben, da es überdies die Gerechtigkeit gegen mein eig¬
nes Talent erforderte, es zu meinem Nuhm und Glück anzubauen, da die
wenigen Schriften, die ich bis jetzt der Welt mitgetheilt habe, meine jährliche
Gage um 500 Fi. vermehrt haben, so war es mir ganz unmöglich, ein Ver¬
bot, das alle diese Vortheile und Aussichten zu Grunde richtet, ganz mit still¬
schweigender Gleichgiltigkeit anzunehmen. Ich habe es gewagt, Se. herzog¬
liche Durchlaucht unterthänigst um die gnädigste Erlaubniß anzusuchen, Höchst-
demselben in einem Schreiben meine Lage vor Augen zu stellen. Diese Bitte
wurde mir abgeschlagen und meinem General der Befehl gegeben, mich, so¬
bald ich mich wieder um die Erlaubniß eines Briefes melden würde, in
Arrest nehmen zu lassen. Da ich nun aber schlechterdings gezwungen bin,
dieses Verbot entweder aufgehoben oder gemildert zu sehen, so bin ich hier¬
her geflohen, um meinem gnädigsten Landesherren meine Noth ohne Gefahr
vortragen zu können. Von Euer Hochwohlgeboren aufgeklärten Geist und
edlem Herzen hoffe ich großmüthigste Unterstützung in meiner höchst bedrängten
Situation, denn ich bin der unglücklichste Flüchtling, wenn mich Serenissimus
nicht zurückkommen lassen. Ich kenne die fremde Welt nicht, bin losgerissen
von Freunden. Familie und Vaterland und meine wenigen Talente wiegen
zu wenig in der Schale der großen Welt, als daß ich mich auf sie verlassen
könnte. Darf ich meine Zuflucht zu Ihnen nehmen, verehrungswürdigstcr
Herr? Darf ich Sie, der Sie schon so vielen Antheil an meinem Glück und
meiner Bildung hatten, auch jetzt noch auffordern, Ihre Hand nicht von
einem Hilflosen zu wenden, der in einem unbekannten Lande alles Schutzes
beraubt Glück und Unglück von den Diensten seiner Freunde erwartet?

Ich schließe mit dieser frohen Hoffnung und habe, die Gnade, Euer Hoch-


1782. Das Original befindet sich in der Hand des Medicinalraths Leidhecker
in Darmstadt und lautet wörtlich also:


Hochwohlgeborener Herr,
Hochgebietender Herr Obrist!

Die Ueberzeugung, daß ich mit einem Manne rede, der Gefühl für mein
Unglück und Weisheit genug für meine Lage hat, einem Manne, der in Ver¬
bindungen eines Vaters gegen mich steht, läßt mir jetzt die Dreistigkeit zu,
Hochdenenselben mein Herz aufzudecken, und wenn mich alle Ressourcen in
der Welt verlassen, meine Zuversicht zur Großmuth und edlen Denkungsart
meines ehemaligen Freundes zu nehmen. Seine herzogliche Durchlaucht haben
mir vor vier Wochen das Herausgeben literarischer Schriften verboten. Da
ich mir schmeichelte, durch eben dergleichen Schriften den Plan der Erziehung,
- der in der Karlsakademie zu Grunde liegt, auf eine auffallende Art gerecht¬
fertigt und geehrt zu haben, da es überdies die Gerechtigkeit gegen mein eig¬
nes Talent erforderte, es zu meinem Nuhm und Glück anzubauen, da die
wenigen Schriften, die ich bis jetzt der Welt mitgetheilt habe, meine jährliche
Gage um 500 Fi. vermehrt haben, so war es mir ganz unmöglich, ein Ver¬
bot, das alle diese Vortheile und Aussichten zu Grunde richtet, ganz mit still¬
schweigender Gleichgiltigkeit anzunehmen. Ich habe es gewagt, Se. herzog¬
liche Durchlaucht unterthänigst um die gnädigste Erlaubniß anzusuchen, Höchst-
demselben in einem Schreiben meine Lage vor Augen zu stellen. Diese Bitte
wurde mir abgeschlagen und meinem General der Befehl gegeben, mich, so¬
bald ich mich wieder um die Erlaubniß eines Briefes melden würde, in
Arrest nehmen zu lassen. Da ich nun aber schlechterdings gezwungen bin,
dieses Verbot entweder aufgehoben oder gemildert zu sehen, so bin ich hier¬
her geflohen, um meinem gnädigsten Landesherren meine Noth ohne Gefahr
vortragen zu können. Von Euer Hochwohlgeboren aufgeklärten Geist und
edlem Herzen hoffe ich großmüthigste Unterstützung in meiner höchst bedrängten
Situation, denn ich bin der unglücklichste Flüchtling, wenn mich Serenissimus
nicht zurückkommen lassen. Ich kenne die fremde Welt nicht, bin losgerissen
von Freunden. Familie und Vaterland und meine wenigen Talente wiegen
zu wenig in der Schale der großen Welt, als daß ich mich auf sie verlassen
könnte. Darf ich meine Zuflucht zu Ihnen nehmen, verehrungswürdigstcr
Herr? Darf ich Sie, der Sie schon so vielen Antheil an meinem Glück und
meiner Bildung hatten, auch jetzt noch auffordern, Ihre Hand nicht von
einem Hilflosen zu wenden, der in einem unbekannten Lande alles Schutzes
beraubt Glück und Unglück von den Diensten seiner Freunde erwartet?

Ich schließe mit dieser frohen Hoffnung und habe, die Gnade, Euer Hoch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/342>, abgerufen am 22.07.2024.