Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Sohn des Decans die Entlassung aus der Akademie gab, was der Vater
erschrocken ausführt, den 25. Sept. 17 76, zugleich dem Intendanten cmwün-
schend. "der Herr möge sein Vergelter sein und ihm die nöthige Weisheit zur
Regierung und Behandlung einer in ihren Gesinnungen und Temperamenten,
Neigungen und vorhergegangenen Erziehung so sehr unterschiedenen zahlreichen
Jugend von oben mittheilen wollen." Den 28. Sept. 177K erhält der In¬
tendant die gnädigste Ordre, "dem special nicht mehr zu antworten."

Herr Wagner hält das für eine günstige Wendung, durch welche der In¬
tendant vor weiterer Blamirung bewahrt worden sei. Wir überlassen das
dem Urtheil des verständigen Lesers, so wie die weitere Bemerkung desselben,
daß die Religiosität, die Pädagogik und Logik des Intendanten in diesem
Streite sich große Blößen gegeben haben.

Wie oft mögen solche und andere Klagen und Beschuldigungen sich wie¬
derholt haben, welche verschiedenen Ansprüche mußten befriedigt werden von
hochadeligen Mägen (vrgl. den Brief v. Scegcrs an eine adelige Frau Ge¬
neralin den 7. Febr. 1784) bis zu den Ansprüchen herab, deren Vertreter
Herr Wagner mit der prägnanten Bemerkung Bd. 1. S. 327 ist: "ihm würde
ein halber Schoppen über Tisch nicht zureichend gewesen sein; Schubart allein
hätte deren 45 täglich verschlungen." Am disputabelsten ist wol in einem
besonderen Falle des Obristen Haltung Schiller gegenüber gewesen, dessen
medicinischen Tagesrapporte über den Eleven Hiller B. 1. S. 581 (diesmal
ausnahmsweise ohne Wagners Zusätze und Erläuterungen) mitgetheilt sind.

Die höchst interessanten Berichte Schillers lassen in der Behandlung des
Geisteskranken den ebenso scharfschcnden als feinfühlenden Psychologen er¬
kennen. Der Intendant muß anderer Ansicht gewesen sein; jedenfalls er¬
scheint es aber unvorsichtig, daß er dem Kranken, der ohnedies mißtrauisch
genug war, die Bemerkung machte, "er traue vielen, denen er gar nicht
trauen sollte." Schiller beklagt das und schildert beredt, welche Noth sie ge¬
habt haben, ihre Niedergeschlagenheit unter der Maske der Heiterkeit zu ver¬
decken. Ihre Methode sei freilich von der gewöhnlichen abgegangen -- "wir
durften es dem Kranken am wenigsten merken lassen, daß wir' auf Befehl
reden, nur die Künste der Freundschaft waren uns erlaubt, die mehr nach¬
gibt als forcirt und jener Tolle, der sich einbildete, er habe zwei Köpfe, war
nicht durch ein dictatorischcs Nein überwiesen, sondern man setzte ihm einen
künstlichen auf und diesen schlug man ihm ab."

Wie indeß Schiller vom Intendanten dachte, das spricht er nicht blos in
diesem vorliegenden Schreiben aus. durch die Zuversicht zu "der edlen Ge¬
sinnung des Intendanten". Wir haben dafür ein Zeugniß, das unsers Wis¬
sens noch nicht veröffentlicht wurde. Es ist ein Brief Schillers, unmittelbar
nach seiner Ankunft in Mannheim an den Intendanten geschrieben, den 24. Sept.


dem Sohn des Decans die Entlassung aus der Akademie gab, was der Vater
erschrocken ausführt, den 25. Sept. 17 76, zugleich dem Intendanten cmwün-
schend. „der Herr möge sein Vergelter sein und ihm die nöthige Weisheit zur
Regierung und Behandlung einer in ihren Gesinnungen und Temperamenten,
Neigungen und vorhergegangenen Erziehung so sehr unterschiedenen zahlreichen
Jugend von oben mittheilen wollen." Den 28. Sept. 177K erhält der In¬
tendant die gnädigste Ordre, „dem special nicht mehr zu antworten."

Herr Wagner hält das für eine günstige Wendung, durch welche der In¬
tendant vor weiterer Blamirung bewahrt worden sei. Wir überlassen das
dem Urtheil des verständigen Lesers, so wie die weitere Bemerkung desselben,
daß die Religiosität, die Pädagogik und Logik des Intendanten in diesem
Streite sich große Blößen gegeben haben.

Wie oft mögen solche und andere Klagen und Beschuldigungen sich wie¬
derholt haben, welche verschiedenen Ansprüche mußten befriedigt werden von
hochadeligen Mägen (vrgl. den Brief v. Scegcrs an eine adelige Frau Ge¬
neralin den 7. Febr. 1784) bis zu den Ansprüchen herab, deren Vertreter
Herr Wagner mit der prägnanten Bemerkung Bd. 1. S. 327 ist: „ihm würde
ein halber Schoppen über Tisch nicht zureichend gewesen sein; Schubart allein
hätte deren 45 täglich verschlungen." Am disputabelsten ist wol in einem
besonderen Falle des Obristen Haltung Schiller gegenüber gewesen, dessen
medicinischen Tagesrapporte über den Eleven Hiller B. 1. S. 581 (diesmal
ausnahmsweise ohne Wagners Zusätze und Erläuterungen) mitgetheilt sind.

Die höchst interessanten Berichte Schillers lassen in der Behandlung des
Geisteskranken den ebenso scharfschcnden als feinfühlenden Psychologen er¬
kennen. Der Intendant muß anderer Ansicht gewesen sein; jedenfalls er¬
scheint es aber unvorsichtig, daß er dem Kranken, der ohnedies mißtrauisch
genug war, die Bemerkung machte, „er traue vielen, denen er gar nicht
trauen sollte." Schiller beklagt das und schildert beredt, welche Noth sie ge¬
habt haben, ihre Niedergeschlagenheit unter der Maske der Heiterkeit zu ver¬
decken. Ihre Methode sei freilich von der gewöhnlichen abgegangen — „wir
durften es dem Kranken am wenigsten merken lassen, daß wir' auf Befehl
reden, nur die Künste der Freundschaft waren uns erlaubt, die mehr nach¬
gibt als forcirt und jener Tolle, der sich einbildete, er habe zwei Köpfe, war
nicht durch ein dictatorischcs Nein überwiesen, sondern man setzte ihm einen
künstlichen auf und diesen schlug man ihm ab."

Wie indeß Schiller vom Intendanten dachte, das spricht er nicht blos in
diesem vorliegenden Schreiben aus. durch die Zuversicht zu „der edlen Ge¬
sinnung des Intendanten". Wir haben dafür ein Zeugniß, das unsers Wis¬
sens noch nicht veröffentlicht wurde. Es ist ein Brief Schillers, unmittelbar
nach seiner Ankunft in Mannheim an den Intendanten geschrieben, den 24. Sept.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106152"/>
          <p xml:id="ID_941" prev="#ID_940"> dem Sohn des Decans die Entlassung aus der Akademie gab, was der Vater<lb/>
erschrocken ausführt, den 25. Sept. 17 76, zugleich dem Intendanten cmwün-<lb/>
schend. &#x201E;der Herr möge sein Vergelter sein und ihm die nöthige Weisheit zur<lb/>
Regierung und Behandlung einer in ihren Gesinnungen und Temperamenten,<lb/>
Neigungen und vorhergegangenen Erziehung so sehr unterschiedenen zahlreichen<lb/>
Jugend von oben mittheilen wollen." Den 28. Sept. 177K erhält der In¬<lb/>
tendant die gnädigste Ordre, &#x201E;dem special nicht mehr zu antworten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_942"> Herr Wagner hält das für eine günstige Wendung, durch welche der In¬<lb/>
tendant vor weiterer Blamirung bewahrt worden sei. Wir überlassen das<lb/>
dem Urtheil des verständigen Lesers, so wie die weitere Bemerkung desselben,<lb/>
daß die Religiosität, die Pädagogik und Logik des Intendanten in diesem<lb/>
Streite sich große Blößen gegeben haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_943"> Wie oft mögen solche und andere Klagen und Beschuldigungen sich wie¬<lb/>
derholt haben, welche verschiedenen Ansprüche mußten befriedigt werden von<lb/>
hochadeligen Mägen (vrgl. den Brief v. Scegcrs an eine adelige Frau Ge¬<lb/>
neralin den 7. Febr. 1784) bis zu den Ansprüchen herab, deren Vertreter<lb/>
Herr Wagner mit der prägnanten Bemerkung Bd. 1. S. 327 ist: &#x201E;ihm würde<lb/>
ein halber Schoppen über Tisch nicht zureichend gewesen sein; Schubart allein<lb/>
hätte deren 45 täglich verschlungen." Am disputabelsten ist wol in einem<lb/>
besonderen Falle des Obristen Haltung Schiller gegenüber gewesen, dessen<lb/>
medicinischen Tagesrapporte über den Eleven Hiller B. 1. S. 581 (diesmal<lb/>
ausnahmsweise ohne Wagners Zusätze und Erläuterungen) mitgetheilt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_944"> Die höchst interessanten Berichte Schillers lassen in der Behandlung des<lb/>
Geisteskranken den ebenso scharfschcnden als feinfühlenden Psychologen er¬<lb/>
kennen. Der Intendant muß anderer Ansicht gewesen sein; jedenfalls er¬<lb/>
scheint es aber unvorsichtig, daß er dem Kranken, der ohnedies mißtrauisch<lb/>
genug war, die Bemerkung machte, &#x201E;er traue vielen, denen er gar nicht<lb/>
trauen sollte." Schiller beklagt das und schildert beredt, welche Noth sie ge¬<lb/>
habt haben, ihre Niedergeschlagenheit unter der Maske der Heiterkeit zu ver¬<lb/>
decken. Ihre Methode sei freilich von der gewöhnlichen abgegangen &#x2014; &#x201E;wir<lb/>
durften es dem Kranken am wenigsten merken lassen, daß wir' auf Befehl<lb/>
reden, nur die Künste der Freundschaft waren uns erlaubt, die mehr nach¬<lb/>
gibt als forcirt und jener Tolle, der sich einbildete, er habe zwei Köpfe, war<lb/>
nicht durch ein dictatorischcs Nein überwiesen, sondern man setzte ihm einen<lb/>
künstlichen auf und diesen schlug man ihm ab."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_945" next="#ID_946"> Wie indeß Schiller vom Intendanten dachte, das spricht er nicht blos in<lb/>
diesem vorliegenden Schreiben aus. durch die Zuversicht zu &#x201E;der edlen Ge¬<lb/>
sinnung des Intendanten". Wir haben dafür ein Zeugniß, das unsers Wis¬<lb/>
sens noch nicht veröffentlicht wurde. Es ist ein Brief Schillers, unmittelbar<lb/>
nach seiner Ankunft in Mannheim an den Intendanten geschrieben, den 24. Sept.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] dem Sohn des Decans die Entlassung aus der Akademie gab, was der Vater erschrocken ausführt, den 25. Sept. 17 76, zugleich dem Intendanten cmwün- schend. „der Herr möge sein Vergelter sein und ihm die nöthige Weisheit zur Regierung und Behandlung einer in ihren Gesinnungen und Temperamenten, Neigungen und vorhergegangenen Erziehung so sehr unterschiedenen zahlreichen Jugend von oben mittheilen wollen." Den 28. Sept. 177K erhält der In¬ tendant die gnädigste Ordre, „dem special nicht mehr zu antworten." Herr Wagner hält das für eine günstige Wendung, durch welche der In¬ tendant vor weiterer Blamirung bewahrt worden sei. Wir überlassen das dem Urtheil des verständigen Lesers, so wie die weitere Bemerkung desselben, daß die Religiosität, die Pädagogik und Logik des Intendanten in diesem Streite sich große Blößen gegeben haben. Wie oft mögen solche und andere Klagen und Beschuldigungen sich wie¬ derholt haben, welche verschiedenen Ansprüche mußten befriedigt werden von hochadeligen Mägen (vrgl. den Brief v. Scegcrs an eine adelige Frau Ge¬ neralin den 7. Febr. 1784) bis zu den Ansprüchen herab, deren Vertreter Herr Wagner mit der prägnanten Bemerkung Bd. 1. S. 327 ist: „ihm würde ein halber Schoppen über Tisch nicht zureichend gewesen sein; Schubart allein hätte deren 45 täglich verschlungen." Am disputabelsten ist wol in einem besonderen Falle des Obristen Haltung Schiller gegenüber gewesen, dessen medicinischen Tagesrapporte über den Eleven Hiller B. 1. S. 581 (diesmal ausnahmsweise ohne Wagners Zusätze und Erläuterungen) mitgetheilt sind. Die höchst interessanten Berichte Schillers lassen in der Behandlung des Geisteskranken den ebenso scharfschcnden als feinfühlenden Psychologen er¬ kennen. Der Intendant muß anderer Ansicht gewesen sein; jedenfalls er¬ scheint es aber unvorsichtig, daß er dem Kranken, der ohnedies mißtrauisch genug war, die Bemerkung machte, „er traue vielen, denen er gar nicht trauen sollte." Schiller beklagt das und schildert beredt, welche Noth sie ge¬ habt haben, ihre Niedergeschlagenheit unter der Maske der Heiterkeit zu ver¬ decken. Ihre Methode sei freilich von der gewöhnlichen abgegangen — „wir durften es dem Kranken am wenigsten merken lassen, daß wir' auf Befehl reden, nur die Künste der Freundschaft waren uns erlaubt, die mehr nach¬ gibt als forcirt und jener Tolle, der sich einbildete, er habe zwei Köpfe, war nicht durch ein dictatorischcs Nein überwiesen, sondern man setzte ihm einen künstlichen auf und diesen schlug man ihm ab." Wie indeß Schiller vom Intendanten dachte, das spricht er nicht blos in diesem vorliegenden Schreiben aus. durch die Zuversicht zu „der edlen Ge¬ sinnung des Intendanten". Wir haben dafür ein Zeugniß, das unsers Wis¬ sens noch nicht veröffentlicht wurde. Es ist ein Brief Schillers, unmittelbar nach seiner Ankunft in Mannheim an den Intendanten geschrieben, den 24. Sept.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/341>, abgerufen am 25.08.2024.