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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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vermochte es nicht, die Ausgcmgspfortcn des Jahres 1782 zu eröffnen, bevor
er, zwischen beide mit seinem Doppclgcsicht sich in die Mitte stellend, die
bisherige Militärakademie jenen Kulminationspunkt im laufenden Jahr mit
dem Preis ihrer höchsten Ehre, dem kaiserlichen Diplom ihrer Erhöhung zur
Hochschule, d. d. 22. Dec., ersteigen und im anbrechenden das Fest ihrer Weihe
als Karls Hohe Schule aus den Flügeln Aurorens anrücken sah." Oder I.B.
S. 52: "Das widerliche, übertriebene, selbst unwahre Selbstlob der Voll¬
kommenheit." 2. B. S. 102: "Das mißtrauisch sich erwiesene Volt" u.a.
Noch weniger aber als mit dem Stil können wir mit Herrn Wagners Dar¬
stellung von Verhältnissen und Persönlichkeiten durchweg uns einverstanden
erklären.

Die Hohe Karlsschule steht nicht isolirt da, sondern ist neben aller
schöpferischen Genialität ihres Stifters das Kind ihrer Zeit. Grade im Gegen¬
satz zu den Sturm- und Drangbewcgungen, die in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts sich geltend machten, insbesondere zu den pädagogischen
Revolutionen, die in Rousseau und Basedow ihre Stimmführer hatten, wollte
Herzog Karl die seine höfische Sitte und Bildung in seiner Akademie verwirk¬
lichen und zum Gemeingut derjenigen machen, die überhaupt für eine höhere
Bildung berufen waren. Das erste Mittel hierfür war unstreitig die Krone
der ganzen Anstalt, nämlich Karls persönliche Betheiligung bei derselben.
War er doch nicht blos Stifter, sondern auch Rector und zwar nicht allein
Magnisicentissimus, sondern selbst Subtilissimus, der sich alle, auch die kleinsten
Einzelnheiten seiner Lieblingsstiftung zur Entscheidung vorbehalten hatte und
jede Erziehungs- und Bildungsfrage selbst leitete, insbesondere bei den
Prüfungen durch Fragestellung, Opposition und Vertheidigung von Thesen sich
betheiligte. Und nicht blos das. Karl Eugen war der Vater seiner Akademisten,
der sie als seine "liebsten Söhne" anredete, täglich an der Seite seiner Ge¬
mahlin, Franziska, lobend, rügend, strafend, sogar neckend unter ihnen weilte
und sich ebenso sehr zu ihnen herabließ, als er sie zu sich hinanzog.

Das alles geschah freilich innerhalb der Schranken strenger militärischer
Formen. Die höfische Sitte, die damals den Fürsten wie ein höheres Wesen
ansah, dem unbedingter Gehorsam zu leisten ist, drückte sich im militärischen
Gehorsam am sichtbarsten aus. Demgemäß heißt es im Reglement für die
Garten- und Stuccatorsknaben vom 5. Febr. 1770 Art. 5: "Se. herzogliche
Durchlaucht sind die erste und höchste Person, welcher ein jeglicher den aller¬
größten Respect und Untertänigkeit schuldig ist. Es soll demnach keiner auch
nur den Namen "Herzog" ohne die größte Verehrung aussprechen, sondern
alle Augenblicke eingedenk sein, daß von Höchst-Erlaucht-Deroselben Gnade
sein Leben, sein Glück und seine Erhaltung, ohne welche wol die meisten dar¬
ben und betteln müßten, abHange." Aehnlich lautet es im Entwurf des Regie-


vermochte es nicht, die Ausgcmgspfortcn des Jahres 1782 zu eröffnen, bevor
er, zwischen beide mit seinem Doppclgcsicht sich in die Mitte stellend, die
bisherige Militärakademie jenen Kulminationspunkt im laufenden Jahr mit
dem Preis ihrer höchsten Ehre, dem kaiserlichen Diplom ihrer Erhöhung zur
Hochschule, d. d. 22. Dec., ersteigen und im anbrechenden das Fest ihrer Weihe
als Karls Hohe Schule aus den Flügeln Aurorens anrücken sah." Oder I.B.
S. 52: „Das widerliche, übertriebene, selbst unwahre Selbstlob der Voll¬
kommenheit." 2. B. S. 102: „Das mißtrauisch sich erwiesene Volt" u.a.
Noch weniger aber als mit dem Stil können wir mit Herrn Wagners Dar¬
stellung von Verhältnissen und Persönlichkeiten durchweg uns einverstanden
erklären.

Die Hohe Karlsschule steht nicht isolirt da, sondern ist neben aller
schöpferischen Genialität ihres Stifters das Kind ihrer Zeit. Grade im Gegen¬
satz zu den Sturm- und Drangbewcgungen, die in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts sich geltend machten, insbesondere zu den pädagogischen
Revolutionen, die in Rousseau und Basedow ihre Stimmführer hatten, wollte
Herzog Karl die seine höfische Sitte und Bildung in seiner Akademie verwirk¬
lichen und zum Gemeingut derjenigen machen, die überhaupt für eine höhere
Bildung berufen waren. Das erste Mittel hierfür war unstreitig die Krone
der ganzen Anstalt, nämlich Karls persönliche Betheiligung bei derselben.
War er doch nicht blos Stifter, sondern auch Rector und zwar nicht allein
Magnisicentissimus, sondern selbst Subtilissimus, der sich alle, auch die kleinsten
Einzelnheiten seiner Lieblingsstiftung zur Entscheidung vorbehalten hatte und
jede Erziehungs- und Bildungsfrage selbst leitete, insbesondere bei den
Prüfungen durch Fragestellung, Opposition und Vertheidigung von Thesen sich
betheiligte. Und nicht blos das. Karl Eugen war der Vater seiner Akademisten,
der sie als seine „liebsten Söhne" anredete, täglich an der Seite seiner Ge¬
mahlin, Franziska, lobend, rügend, strafend, sogar neckend unter ihnen weilte
und sich ebenso sehr zu ihnen herabließ, als er sie zu sich hinanzog.

Das alles geschah freilich innerhalb der Schranken strenger militärischer
Formen. Die höfische Sitte, die damals den Fürsten wie ein höheres Wesen
ansah, dem unbedingter Gehorsam zu leisten ist, drückte sich im militärischen
Gehorsam am sichtbarsten aus. Demgemäß heißt es im Reglement für die
Garten- und Stuccatorsknaben vom 5. Febr. 1770 Art. 5: „Se. herzogliche
Durchlaucht sind die erste und höchste Person, welcher ein jeglicher den aller¬
größten Respect und Untertänigkeit schuldig ist. Es soll demnach keiner auch
nur den Namen „Herzog" ohne die größte Verehrung aussprechen, sondern
alle Augenblicke eingedenk sein, daß von Höchst-Erlaucht-Deroselben Gnade
sein Leben, sein Glück und seine Erhaltung, ohne welche wol die meisten dar¬
ben und betteln müßten, abHange." Aehnlich lautet es im Entwurf des Regie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/330>, abgerufen am 25.08.2024.