Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so vieles in meinem Gemüth, was diese selten verstehn. Ich muß
also, wenn ich nicht auf wahre Freundschaft Verzicht thun will, was Du nun
doch auch nicht fordern wirst, auf diesem sonst so gefährlichen Standpunkte stehen
bleiben, der aber eben deswegen, weil ich so darauf stehe, nicht so gefähr¬
lich ist. Dessen will ich mich aber nicht überheben, sondern immer auf meiner
Hut sein." "Daß ein Mann mit einer rechtlichen Frau allein ist, Stunden
halbe Tage lang, ist wol gar nichts Auffallendes in der Welt und niemand
sucht einen bösen Schein dahinter. Eine Frau eigentlich zur Freundin zu
haben, ist schon übler, und daß die Herz grade eine Jüdin ist, gereicht gewiß
vielen zum Anstoß; aber das ist eben eins von den jämmerlichsten Vorurtheilen."
Endlich 12. Febr. 1801: "Daß Du Dir. ohne es zu sehn, mein Wesen und
Verhältniß mit der Herz nicht denken kannst, ist eigen. Es ist eine recht ver¬
traute und herzliche Freundschaft, wobei von Mann und Frau aber auch gar
nicht die Rede ist; ist das nicht leicht sich vorzustellen? Warum gar nichts
Andres sich hineingemischt hat und sich nie hineinmischen wird, das ist
freilich wieder eine andere Frage; aber auch das ist nicht schwer zu erklären.
Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in dieser Ruhe des
Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruck des Innern
versteht, der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftsloses Wesen, und wenn ich
auch blos dem Einfluß des Aeußern Raum geben wollte, so hat sie für
mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön ist. und
ihre kolossale königliche Figur ist so sehr das Gegentheil der meinigen,
daß, wenn ich mir vorstellte, wir wären beide frei und liebten einander und
heiratheten einander, ich immer von dieser Seite etwas Lächerliches und Ab¬
geschmacktes darin finden würde, worüber ich mich nur sehr überwiegender
Gründe wegen hinwegsetzen könnte." Dieser letzte Punkt ist wol am meisten
geeignet die Sache aufzuklären; auch Henriette legt in ihren Notizen vor¬
zügliches Gewicht darauf.

Henriettens nächste Freundin war damals Dorothee Veit, die Tochter
Mendelssohns. Durch sie lernte Schleiermacher im Sommer 1797 den jun¬
gen Friedrich Schlegel kennen, der ihm seit dem October naher trat. "Er
ist ein junger Mann von so ausgebreiteten Kenntnissen, daß man nicht be¬
greifen kann, wie es möglich ist, bei solcher Jugend so viel zu wissen, von
einem originellen Geist, der hier, wo es doch- viel Geist und Talente gibt,
alles sehr weit überragt, und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offen¬
heit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allen viel¬
leicht das Wunderbarste ist. Er ist überall, wo er hinkommt, wegen seines
Witzes sowol, als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste Gesellschafter,
mir aber ist er mehr als das. er ist mir von sehr großem, wesentlichen
Nutzen. Er gleicht mir auch in manchen Naturmängeln, er ist nicht musika-


so vieles in meinem Gemüth, was diese selten verstehn. Ich muß
also, wenn ich nicht auf wahre Freundschaft Verzicht thun will, was Du nun
doch auch nicht fordern wirst, auf diesem sonst so gefährlichen Standpunkte stehen
bleiben, der aber eben deswegen, weil ich so darauf stehe, nicht so gefähr¬
lich ist. Dessen will ich mich aber nicht überheben, sondern immer auf meiner
Hut sein." „Daß ein Mann mit einer rechtlichen Frau allein ist, Stunden
halbe Tage lang, ist wol gar nichts Auffallendes in der Welt und niemand
sucht einen bösen Schein dahinter. Eine Frau eigentlich zur Freundin zu
haben, ist schon übler, und daß die Herz grade eine Jüdin ist, gereicht gewiß
vielen zum Anstoß; aber das ist eben eins von den jämmerlichsten Vorurtheilen."
Endlich 12. Febr. 1801: „Daß Du Dir. ohne es zu sehn, mein Wesen und
Verhältniß mit der Herz nicht denken kannst, ist eigen. Es ist eine recht ver¬
traute und herzliche Freundschaft, wobei von Mann und Frau aber auch gar
nicht die Rede ist; ist das nicht leicht sich vorzustellen? Warum gar nichts
Andres sich hineingemischt hat und sich nie hineinmischen wird, das ist
freilich wieder eine andere Frage; aber auch das ist nicht schwer zu erklären.
Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in dieser Ruhe des
Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruck des Innern
versteht, der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftsloses Wesen, und wenn ich
auch blos dem Einfluß des Aeußern Raum geben wollte, so hat sie für
mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön ist. und
ihre kolossale königliche Figur ist so sehr das Gegentheil der meinigen,
daß, wenn ich mir vorstellte, wir wären beide frei und liebten einander und
heiratheten einander, ich immer von dieser Seite etwas Lächerliches und Ab¬
geschmacktes darin finden würde, worüber ich mich nur sehr überwiegender
Gründe wegen hinwegsetzen könnte." Dieser letzte Punkt ist wol am meisten
geeignet die Sache aufzuklären; auch Henriette legt in ihren Notizen vor¬
zügliches Gewicht darauf.

Henriettens nächste Freundin war damals Dorothee Veit, die Tochter
Mendelssohns. Durch sie lernte Schleiermacher im Sommer 1797 den jun¬
gen Friedrich Schlegel kennen, der ihm seit dem October naher trat. „Er
ist ein junger Mann von so ausgebreiteten Kenntnissen, daß man nicht be¬
greifen kann, wie es möglich ist, bei solcher Jugend so viel zu wissen, von
einem originellen Geist, der hier, wo es doch- viel Geist und Talente gibt,
alles sehr weit überragt, und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offen¬
heit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allen viel¬
leicht das Wunderbarste ist. Er ist überall, wo er hinkommt, wegen seines
Witzes sowol, als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste Gesellschafter,
mir aber ist er mehr als das. er ist mir von sehr großem, wesentlichen
Nutzen. Er gleicht mir auch in manchen Naturmängeln, er ist nicht musika-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106119"/>
          <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840"> so vieles in meinem Gemüth, was diese selten verstehn. Ich muß<lb/>
also, wenn ich nicht auf wahre Freundschaft Verzicht thun will, was Du nun<lb/>
doch auch nicht fordern wirst, auf diesem sonst so gefährlichen Standpunkte stehen<lb/>
bleiben, der aber eben deswegen, weil ich so darauf stehe, nicht so gefähr¬<lb/>
lich ist. Dessen will ich mich aber nicht überheben, sondern immer auf meiner<lb/>
Hut sein." &#x201E;Daß ein Mann mit einer rechtlichen Frau allein ist, Stunden<lb/>
halbe Tage lang, ist wol gar nichts Auffallendes in der Welt und niemand<lb/>
sucht einen bösen Schein dahinter. Eine Frau eigentlich zur Freundin zu<lb/>
haben, ist schon übler, und daß die Herz grade eine Jüdin ist, gereicht gewiß<lb/>
vielen zum Anstoß; aber das ist eben eins von den jämmerlichsten Vorurtheilen."<lb/>
Endlich 12. Febr. 1801: &#x201E;Daß Du Dir. ohne es zu sehn, mein Wesen und<lb/>
Verhältniß mit der Herz nicht denken kannst, ist eigen. Es ist eine recht ver¬<lb/>
traute und herzliche Freundschaft, wobei von Mann und Frau aber auch gar<lb/>
nicht die Rede ist; ist das nicht leicht sich vorzustellen? Warum gar nichts<lb/>
Andres sich hineingemischt hat und sich nie hineinmischen wird, das ist<lb/>
freilich wieder eine andere Frage; aber auch das ist nicht schwer zu erklären.<lb/>
Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in dieser Ruhe des<lb/>
Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruck des Innern<lb/>
versteht, der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftsloses Wesen, und wenn ich<lb/>
auch blos dem Einfluß des Aeußern Raum geben wollte, so hat sie für<lb/>
mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön ist. und<lb/>
ihre kolossale königliche Figur ist so sehr das Gegentheil der meinigen,<lb/>
daß, wenn ich mir vorstellte, wir wären beide frei und liebten einander und<lb/>
heiratheten einander, ich immer von dieser Seite etwas Lächerliches und Ab¬<lb/>
geschmacktes darin finden würde, worüber ich mich nur sehr überwiegender<lb/>
Gründe wegen hinwegsetzen könnte." Dieser letzte Punkt ist wol am meisten<lb/>
geeignet die Sache aufzuklären; auch Henriette legt in ihren Notizen vor¬<lb/>
zügliches Gewicht darauf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_842" next="#ID_843"> Henriettens nächste Freundin war damals Dorothee Veit, die Tochter<lb/>
Mendelssohns. Durch sie lernte Schleiermacher im Sommer 1797 den jun¬<lb/>
gen Friedrich Schlegel kennen, der ihm seit dem October naher trat. &#x201E;Er<lb/>
ist ein junger Mann von so ausgebreiteten Kenntnissen, daß man nicht be¬<lb/>
greifen kann, wie es möglich ist, bei solcher Jugend so viel zu wissen, von<lb/>
einem originellen Geist, der hier, wo es doch- viel Geist und Talente gibt,<lb/>
alles sehr weit überragt, und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offen¬<lb/>
heit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allen viel¬<lb/>
leicht das Wunderbarste ist. Er ist überall, wo er hinkommt, wegen seines<lb/>
Witzes sowol, als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste Gesellschafter,<lb/>
mir aber ist er mehr als das. er ist mir von sehr großem, wesentlichen<lb/>
Nutzen.  Er gleicht mir auch in manchen Naturmängeln, er ist nicht musika-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] so vieles in meinem Gemüth, was diese selten verstehn. Ich muß also, wenn ich nicht auf wahre Freundschaft Verzicht thun will, was Du nun doch auch nicht fordern wirst, auf diesem sonst so gefährlichen Standpunkte stehen bleiben, der aber eben deswegen, weil ich so darauf stehe, nicht so gefähr¬ lich ist. Dessen will ich mich aber nicht überheben, sondern immer auf meiner Hut sein." „Daß ein Mann mit einer rechtlichen Frau allein ist, Stunden halbe Tage lang, ist wol gar nichts Auffallendes in der Welt und niemand sucht einen bösen Schein dahinter. Eine Frau eigentlich zur Freundin zu haben, ist schon übler, und daß die Herz grade eine Jüdin ist, gereicht gewiß vielen zum Anstoß; aber das ist eben eins von den jämmerlichsten Vorurtheilen." Endlich 12. Febr. 1801: „Daß Du Dir. ohne es zu sehn, mein Wesen und Verhältniß mit der Herz nicht denken kannst, ist eigen. Es ist eine recht ver¬ traute und herzliche Freundschaft, wobei von Mann und Frau aber auch gar nicht die Rede ist; ist das nicht leicht sich vorzustellen? Warum gar nichts Andres sich hineingemischt hat und sich nie hineinmischen wird, das ist freilich wieder eine andere Frage; aber auch das ist nicht schwer zu erklären. Sie hat nie eine Wirkung auf mich gemacht, die mich in dieser Ruhe des Gemüths hätte stören können. Wer sich etwas auf den Ausdruck des Innern versteht, der erkennt gleich in ihr ein leidenschaftsloses Wesen, und wenn ich auch blos dem Einfluß des Aeußern Raum geben wollte, so hat sie für mich gar nichts Reizendes, obgleich ihr Gesicht unstreitig sehr schön ist. und ihre kolossale königliche Figur ist so sehr das Gegentheil der meinigen, daß, wenn ich mir vorstellte, wir wären beide frei und liebten einander und heiratheten einander, ich immer von dieser Seite etwas Lächerliches und Ab¬ geschmacktes darin finden würde, worüber ich mich nur sehr überwiegender Gründe wegen hinwegsetzen könnte." Dieser letzte Punkt ist wol am meisten geeignet die Sache aufzuklären; auch Henriette legt in ihren Notizen vor¬ zügliches Gewicht darauf. Henriettens nächste Freundin war damals Dorothee Veit, die Tochter Mendelssohns. Durch sie lernte Schleiermacher im Sommer 1797 den jun¬ gen Friedrich Schlegel kennen, der ihm seit dem October naher trat. „Er ist ein junger Mann von so ausgebreiteten Kenntnissen, daß man nicht be¬ greifen kann, wie es möglich ist, bei solcher Jugend so viel zu wissen, von einem originellen Geist, der hier, wo es doch- viel Geist und Talente gibt, alles sehr weit überragt, und in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Offen¬ heit und kindlichen Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allen viel¬ leicht das Wunderbarste ist. Er ist überall, wo er hinkommt, wegen seines Witzes sowol, als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste Gesellschafter, mir aber ist er mehr als das. er ist mir von sehr großem, wesentlichen Nutzen. Er gleicht mir auch in manchen Naturmängeln, er ist nicht musika-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/308>, abgerufen am 23.07.2024.