Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.zu werden, ist sehr natürlich; ich faßte sogar den Entschluß, wenn mir der zu werden, ist sehr natürlich; ich faßte sogar den Entschluß, wenn mir der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0304" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106115"/> <p xml:id="ID_836" prev="#ID_835" next="#ID_837"> zu werden, ist sehr natürlich; ich faßte sogar den Entschluß, wenn mir der<lb/> Eintritt in das Pädagogium versagt werden sollte, lieber in der Gemeinde<lb/> eine ehrbare Hnndthierung zu erlernen, als außer derselben den Weg zu dem<lb/> gelehrten Nuhm zu betreten, und dieser Entschluß setzte mich, als ich ihn recht<lb/> lebhaft in seiner ganzen Größe dachte, zum erstenmal in Versuchung, etwas<lb/> in mir für eine übernatürliche Wirkung zu halten." Diese Erzählungen der<lb/> Selbstbiographie werden durch die Briefe ergänzt, in denen von Seiten der<lb/> Eltern, des Sohnes und der Schwester fast von nichts Anderm die Rede ist<lb/> als vom Lamm Gottes und ähnlichen Dingen. Sein Oheim mütterlicher<lb/> Seite, Professor Stubenrauch in Halle, ein wahrhaft frommer Mann, fühlte<lb/> sich doch zuweilen veranlaßt, ihn vor den Uebertreibungen der Herrenhuter zu<lb/> warnen. So kam Schleiermacher mit seinem innigsten Freunde Albertini,<lb/> mit dem er eifrig die griechischen Klassiker studirt, 1785 auf das Seminar<lb/> zu Barby, die eigentliche Universität der Brüdergemeinde. „So glücklich wir<lb/> bei unserer gemeinschaftlichen Thätigkeit und im Gefühl unserer Freundschaft<lb/> waren, so unglücklich machte uns jeder Augenblick eines strengen Nachdenkens.<lb/> Wir jagten immer noch vergeblich nach den übernatürlichen Gefühlen und<lb/> dem. was in der Sprache jener Gesellschaft der Umgang mit Jesu hieß; die<lb/> gewaltsamen Anstrengungen unserer Phantasie waren unfruchtbar und die un¬<lb/> freiwilligen Hilfsleistungen derselben zeigten sich immer als Betrug." Der<lb/> Umschlag konnte nicht ausbleiben. Schon Juli 1786 finden sich in einem<lb/> Brief an seinen Vater Andeutungen von dem Wunsch, die Einwendungen der<lb/> Neuerer gegen die Dogmata kennen zu lernen. „Vermeide diesen Baum des<lb/> Erkenntnisses", — antwortet ihm der Vater, „und die gefährlichen Lockungen<lb/> zu demselben unter dem Schein der Gründlichkeit. Ich habe fast alle Wider¬<lb/> legungen des Unglaubens gelesen; sie haben mich aber nicht überzeugt, son¬<lb/> dern ich Habs erfahren, daß der Glaube ein Regale der Gottheit und ein<lb/> pur lauteres Werk ihres Erbarmens sei. Du willst ja überdem kein eitler<lb/> Theolog/ werden, sondern dich nur geschickt machen, dem Heiland Seelen zu¬<lb/> zuführen, und dazu brauchst Du das alles nicht, und kannst es deinem Hei¬<lb/> land nie genug verdanken, daß er Dich hat zur Brüdergemeinde gebracht, da<lb/> Du dessen gar wohl entbehren kannst." Es war zu spät. Schon im Januar<lb/> 1737 bekennt der Sohn mit einer Herzensangst, die etwas unendlich Rühren¬<lb/> des hat, dem geliebten Vater die vollständige Umwandlung seiner Ueberzeu¬<lb/> gungen. „Ach bester Vater, wenn Sie glauben, daß ohne diesen Glauben<lb/> keine, wenigstens nicht die Seligkeit in jenem, nicht die Ruhe in diesem Leben<lb/> ist. o, so bitten Sie Gott, daß er mir ihn schenke, denn für mich ist es jetzt<lb/> verloren." „Der tiefe durchdringende Schmerz, den ich beim Schreiben dieses<lb/> Briefes empfinde, hindert mich, Ihnen die Geschichte meiner Seele in Absicht<lb/> aus meine Meinungen und alle meine starken Gründe für dieselben umstand-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0304]
zu werden, ist sehr natürlich; ich faßte sogar den Entschluß, wenn mir der
Eintritt in das Pädagogium versagt werden sollte, lieber in der Gemeinde
eine ehrbare Hnndthierung zu erlernen, als außer derselben den Weg zu dem
gelehrten Nuhm zu betreten, und dieser Entschluß setzte mich, als ich ihn recht
lebhaft in seiner ganzen Größe dachte, zum erstenmal in Versuchung, etwas
in mir für eine übernatürliche Wirkung zu halten." Diese Erzählungen der
Selbstbiographie werden durch die Briefe ergänzt, in denen von Seiten der
Eltern, des Sohnes und der Schwester fast von nichts Anderm die Rede ist
als vom Lamm Gottes und ähnlichen Dingen. Sein Oheim mütterlicher
Seite, Professor Stubenrauch in Halle, ein wahrhaft frommer Mann, fühlte
sich doch zuweilen veranlaßt, ihn vor den Uebertreibungen der Herrenhuter zu
warnen. So kam Schleiermacher mit seinem innigsten Freunde Albertini,
mit dem er eifrig die griechischen Klassiker studirt, 1785 auf das Seminar
zu Barby, die eigentliche Universität der Brüdergemeinde. „So glücklich wir
bei unserer gemeinschaftlichen Thätigkeit und im Gefühl unserer Freundschaft
waren, so unglücklich machte uns jeder Augenblick eines strengen Nachdenkens.
Wir jagten immer noch vergeblich nach den übernatürlichen Gefühlen und
dem. was in der Sprache jener Gesellschaft der Umgang mit Jesu hieß; die
gewaltsamen Anstrengungen unserer Phantasie waren unfruchtbar und die un¬
freiwilligen Hilfsleistungen derselben zeigten sich immer als Betrug." Der
Umschlag konnte nicht ausbleiben. Schon Juli 1786 finden sich in einem
Brief an seinen Vater Andeutungen von dem Wunsch, die Einwendungen der
Neuerer gegen die Dogmata kennen zu lernen. „Vermeide diesen Baum des
Erkenntnisses", — antwortet ihm der Vater, „und die gefährlichen Lockungen
zu demselben unter dem Schein der Gründlichkeit. Ich habe fast alle Wider¬
legungen des Unglaubens gelesen; sie haben mich aber nicht überzeugt, son¬
dern ich Habs erfahren, daß der Glaube ein Regale der Gottheit und ein
pur lauteres Werk ihres Erbarmens sei. Du willst ja überdem kein eitler
Theolog/ werden, sondern dich nur geschickt machen, dem Heiland Seelen zu¬
zuführen, und dazu brauchst Du das alles nicht, und kannst es deinem Hei¬
land nie genug verdanken, daß er Dich hat zur Brüdergemeinde gebracht, da
Du dessen gar wohl entbehren kannst." Es war zu spät. Schon im Januar
1737 bekennt der Sohn mit einer Herzensangst, die etwas unendlich Rühren¬
des hat, dem geliebten Vater die vollständige Umwandlung seiner Ueberzeu¬
gungen. „Ach bester Vater, wenn Sie glauben, daß ohne diesen Glauben
keine, wenigstens nicht die Seligkeit in jenem, nicht die Ruhe in diesem Leben
ist. o, so bitten Sie Gott, daß er mir ihn schenke, denn für mich ist es jetzt
verloren." „Der tiefe durchdringende Schmerz, den ich beim Schreiben dieses
Briefes empfinde, hindert mich, Ihnen die Geschichte meiner Seele in Absicht
aus meine Meinungen und alle meine starken Gründe für dieselben umstand-
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