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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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mit Kopf und Händen ersetzten nicht nur die Sprache, sondern auf sie beschränkte
sich auch das Spiel großentheils, ein Ballettanz im modernen Sinne war es
nicht. Erst in der letzten Zeit des Alterthums schienen namentlich im Orient
Tnnzerkunststücke üblich geworden zu sein, wie wir sie auf unsern Bühnen zu
sehen gewohnt sind, die Pantomimen drehten sich z. B. blitzschnell im Kreise,
wobei sie den Oberkörper so weit rückwärts überbogen, daß ihre langen Haare
den Boden hegten, standen mitten in der heftigsten Bewegung wie angewurzelt,
oder Keßen den Körper auf dem rechten Beine ruhen, während sie mit dem
linken künstliche Linien beschrieben u. tgi. Doch scheinen dergleichen Produc-
tionen nur zum Schluß der pantomimischen Darstellung stattgefunden zu haben,
zum Beweise, daß die Kraft der Darsteller noch nicht erschöpft sei; in den
ersten Jahrhunderten waren sie, so viel wir wissen, auf römischen und griechi¬
schen Bühnen unerhört.

Von der Virtuosität des pantomimischen Ausdrucks erzählt Lucian noch
eine zweite Anekdote. Ein Fürst einer Völkerschaft am schwarzen Meer, die
von griechischer Civilisation nur oberflächlich berührt war, kam nach Rom,
um persönlich eine Angelegenheit bei Nero zu betreiben. Er wurde ins Theater
geführt und sah dort denselben Pantomimen, der den Cyniker Demetrius zur
Bewunderung hingerissen hatte. Als ihm Nero nachher freistellte, eine Bitte
zu thun, soll er sich diesen Künstler erbeten haben, er werde dann ganz der
Dolmetscher entbehren können, deren er zur Verständigung mit den anders reden¬
den Nachbarstämmen bisher bedurft habe. Ueber die Art, in welcher die Panto¬
mimen die Worte des Textes ausdrückten, haben wir nur eine dürftige Andeu¬
tung. Ein Schüler des Pylades, Hylas, tanzte ein Solo, dessen Text mit
den Worten schloß: "den großen Agamemnon". Bei. dieser Stelle richtete
sich Hylas hoch aus. Pylades, der sich unter dem Publicum befand, rief ihm
ZU: Du machst ihn lang, aber nicht groß. Die Zuschauer verlangten darauf
die Darstellung derselben Scene von ihm. Als er an die getadelte Stelle
kam, nahm er die Haltung eines Nachdenkenden an, da er es für die am
meisten charakteristische Eigenschaft eines großen Feldherrn hielt, für alle zu
denken. Und als Hylas einmal den blinden Oedipus mit zu großer Sicherheit
der Bewegungen darstellte, rief ihm Pylades zu: du bist sehend. Wenn diese
Anekdoten, wahr oder erfunden, auf eine sehr sein charakterisirende Darstellung
der besten Künstler schließen lassen, so fehlte es andrerseits auch nicht an grober
Coulissenreißerei. Ein rasender Ajax zerriß einem der begleitenden Musiker
das Kleid.-entriß einem andern die Flöte und führte damit einen Schlag auf
den Kopf eines Statisten, der den Odysseus darstellte, der diesem fast das
Leben gekostet hätte, und stieg endlich von der Bühne in den Halbkreis der
Senatoren herab, wo er sich zwischen zwei Consularen setzte; diese waren be¬
greiflicherweise in nicht geringer Furcht, in die Darstellung auf unangenehme


mit Kopf und Händen ersetzten nicht nur die Sprache, sondern auf sie beschränkte
sich auch das Spiel großentheils, ein Ballettanz im modernen Sinne war es
nicht. Erst in der letzten Zeit des Alterthums schienen namentlich im Orient
Tnnzerkunststücke üblich geworden zu sein, wie wir sie auf unsern Bühnen zu
sehen gewohnt sind, die Pantomimen drehten sich z. B. blitzschnell im Kreise,
wobei sie den Oberkörper so weit rückwärts überbogen, daß ihre langen Haare
den Boden hegten, standen mitten in der heftigsten Bewegung wie angewurzelt,
oder Keßen den Körper auf dem rechten Beine ruhen, während sie mit dem
linken künstliche Linien beschrieben u. tgi. Doch scheinen dergleichen Produc-
tionen nur zum Schluß der pantomimischen Darstellung stattgefunden zu haben,
zum Beweise, daß die Kraft der Darsteller noch nicht erschöpft sei; in den
ersten Jahrhunderten waren sie, so viel wir wissen, auf römischen und griechi¬
schen Bühnen unerhört.

Von der Virtuosität des pantomimischen Ausdrucks erzählt Lucian noch
eine zweite Anekdote. Ein Fürst einer Völkerschaft am schwarzen Meer, die
von griechischer Civilisation nur oberflächlich berührt war, kam nach Rom,
um persönlich eine Angelegenheit bei Nero zu betreiben. Er wurde ins Theater
geführt und sah dort denselben Pantomimen, der den Cyniker Demetrius zur
Bewunderung hingerissen hatte. Als ihm Nero nachher freistellte, eine Bitte
zu thun, soll er sich diesen Künstler erbeten haben, er werde dann ganz der
Dolmetscher entbehren können, deren er zur Verständigung mit den anders reden¬
den Nachbarstämmen bisher bedurft habe. Ueber die Art, in welcher die Panto¬
mimen die Worte des Textes ausdrückten, haben wir nur eine dürftige Andeu¬
tung. Ein Schüler des Pylades, Hylas, tanzte ein Solo, dessen Text mit
den Worten schloß: „den großen Agamemnon". Bei. dieser Stelle richtete
sich Hylas hoch aus. Pylades, der sich unter dem Publicum befand, rief ihm
ZU: Du machst ihn lang, aber nicht groß. Die Zuschauer verlangten darauf
die Darstellung derselben Scene von ihm. Als er an die getadelte Stelle
kam, nahm er die Haltung eines Nachdenkenden an, da er es für die am
meisten charakteristische Eigenschaft eines großen Feldherrn hielt, für alle zu
denken. Und als Hylas einmal den blinden Oedipus mit zu großer Sicherheit
der Bewegungen darstellte, rief ihm Pylades zu: du bist sehend. Wenn diese
Anekdoten, wahr oder erfunden, auf eine sehr sein charakterisirende Darstellung
der besten Künstler schließen lassen, so fehlte es andrerseits auch nicht an grober
Coulissenreißerei. Ein rasender Ajax zerriß einem der begleitenden Musiker
das Kleid.-entriß einem andern die Flöte und führte damit einen Schlag auf
den Kopf eines Statisten, der den Odysseus darstellte, der diesem fast das
Leben gekostet hätte, und stieg endlich von der Bühne in den Halbkreis der
Senatoren herab, wo er sich zwischen zwei Consularen setzte; diese waren be¬
greiflicherweise in nicht geringer Furcht, in die Darstellung auf unangenehme


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[0295] mit Kopf und Händen ersetzten nicht nur die Sprache, sondern auf sie beschränkte sich auch das Spiel großentheils, ein Ballettanz im modernen Sinne war es nicht. Erst in der letzten Zeit des Alterthums schienen namentlich im Orient Tnnzerkunststücke üblich geworden zu sein, wie wir sie auf unsern Bühnen zu sehen gewohnt sind, die Pantomimen drehten sich z. B. blitzschnell im Kreise, wobei sie den Oberkörper so weit rückwärts überbogen, daß ihre langen Haare den Boden hegten, standen mitten in der heftigsten Bewegung wie angewurzelt, oder Keßen den Körper auf dem rechten Beine ruhen, während sie mit dem linken künstliche Linien beschrieben u. tgi. Doch scheinen dergleichen Produc- tionen nur zum Schluß der pantomimischen Darstellung stattgefunden zu haben, zum Beweise, daß die Kraft der Darsteller noch nicht erschöpft sei; in den ersten Jahrhunderten waren sie, so viel wir wissen, auf römischen und griechi¬ schen Bühnen unerhört. Von der Virtuosität des pantomimischen Ausdrucks erzählt Lucian noch eine zweite Anekdote. Ein Fürst einer Völkerschaft am schwarzen Meer, die von griechischer Civilisation nur oberflächlich berührt war, kam nach Rom, um persönlich eine Angelegenheit bei Nero zu betreiben. Er wurde ins Theater geführt und sah dort denselben Pantomimen, der den Cyniker Demetrius zur Bewunderung hingerissen hatte. Als ihm Nero nachher freistellte, eine Bitte zu thun, soll er sich diesen Künstler erbeten haben, er werde dann ganz der Dolmetscher entbehren können, deren er zur Verständigung mit den anders reden¬ den Nachbarstämmen bisher bedurft habe. Ueber die Art, in welcher die Panto¬ mimen die Worte des Textes ausdrückten, haben wir nur eine dürftige Andeu¬ tung. Ein Schüler des Pylades, Hylas, tanzte ein Solo, dessen Text mit den Worten schloß: „den großen Agamemnon". Bei. dieser Stelle richtete sich Hylas hoch aus. Pylades, der sich unter dem Publicum befand, rief ihm ZU: Du machst ihn lang, aber nicht groß. Die Zuschauer verlangten darauf die Darstellung derselben Scene von ihm. Als er an die getadelte Stelle kam, nahm er die Haltung eines Nachdenkenden an, da er es für die am meisten charakteristische Eigenschaft eines großen Feldherrn hielt, für alle zu denken. Und als Hylas einmal den blinden Oedipus mit zu großer Sicherheit der Bewegungen darstellte, rief ihm Pylades zu: du bist sehend. Wenn diese Anekdoten, wahr oder erfunden, auf eine sehr sein charakterisirende Darstellung der besten Künstler schließen lassen, so fehlte es andrerseits auch nicht an grober Coulissenreißerei. Ein rasender Ajax zerriß einem der begleitenden Musiker das Kleid.-entriß einem andern die Flöte und führte damit einen Schlag auf den Kopf eines Statisten, der den Odysseus darstellte, der diesem fast das Leben gekostet hätte, und stieg endlich von der Bühne in den Halbkreis der Senatoren herab, wo er sich zwischen zwei Consularen setzte; diese waren be¬ greiflicherweise in nicht geringer Furcht, in die Darstellung auf unangenehme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/295>, abgerufen am 23.07.2024.